„Das wird dich ein Leben lang begleiten“

Auf Initiative der NEUE trafen sich in Lech die beiden Vorarlberger Olympiasieger Toni Innauer und Lukas Mähr. Es entwickelte sich ein Gespräch in privater Atmosphäre, das von NEUE-Sportchef Hannes Mayer begleitet wurde.
Zwei Olympiasieger, zwei Leben. Was wisst Ihr beiden voneinander?
Lukas Mähr: Da bin ich jetzt sehr gespannt, ich glaube, ich weiß mehr über Toni als er über mich.
Toni Innauer: (lächelt) Es besteht die Gefahr. Seit ich mich aus dem Sport so ein bisschen zurückgezogen habe, verfolge ich das Geschehen nicht mehr ganz so intensiv wie früher. Ich weiß relativ wenig über dich Lukas, aber vielleicht liegt genau darin auch ein Reiz. Von meinem Sohn Tobias, du kennst ihn vom Olympiazentrum, habe ich natürlich Informationen bekommen. Als du deine Goldmedaille gewonnen hast, hatte ich Corona. Ich hätte eigentlich für Tirol Werbung nach Paris sollen.
Mähr: Wirklich? Das ist ja interessant. Am Tag nachdem Lara und ich Olympiasieger wurden, hat der ÖOC im Österreich-Haus einen Tiroler Abend veranstaltet, bei dem wir unsere Medaille gefeiert haben.
Innauer: Es hätte sein können, dass ich da mit der Gitarre dabei gewesen wäre und mit zwei Musikanten gespielt hätte. Der Hintergrund ist, dass ich vor einigen Jahren das Buch „Die 12 Tiroler“ herausgebracht habe, das von der Tirol Werbung gefördert wurde, und so haben sie mich gefragt, ob ich mit nach Paris gehe. Ich sagte, wenn ich meine Musikanten mitnehmen darf, dann bin ich gerne dabei, dann machen wir uns eine Gaude. Da hätten wir uns getroffen. Leider habe ich zwei Tage vor der Abreise Corona bekommen und bin dann die nächsten sieben, acht Tage mit Fieber flachgelegen. Darum ist auch euer Wettbewerb so ein bisschen an mir vorbeigegangen. Als ich gemerkt habe, dass ihr auf Medaillenkurs seid, habe ich mich im Fieberdelirium natürlich informiert darüber, wie es bei euch läuft, und konnte immer jubeln. Als ihr Gold gewonnen habt, gab es von mir ein lautes Jaa! (lacht und ballt die Faust)
Mähr: Da schlägt bei dir noch das Vorarlberger Herz durch, obwohl du ja nicht mehr in Vorarlberg wohnst.
Innauer: Na ja, schon. Ich lebe zwar seit 50 Jahren in Tirol, weil ich mit 14 nach Stams gekommen bin und danach in Tirol geblieben bin – heute lebe ich in Thaur, das ist eine kleine Gemeinde bei Innsbruck. Aber ich bin und bleibe Vorarlberger. Um auf die Frage zurückzukommen, die uns Hannes gestellt hat: Ich weiß relativ wenig über dich, außer, dass ich Fan in letzter Sekunde geworden bin und Tobias zu mir sagte, dass du ein super Typ bist und ich dir unbedingt die Daumen drücken soll. Du musst halt so wie ich ein Buch schreiben, dann kann ich alles nachlesen. (beide lachen)

Mähr: Ich habe mir bei der Herfahrt einen Podcast von dir angehört: Frauenfragen – der Podcast mit Mari Lang.
Innauer: Uuuh, da hast du dir gleich den heißesten ausgesucht. Da haben wir ja auch über Sexualität gesprochen. (beide lachen herzlich)
Mähr: Ich habe mir einfach den neuesten Podcast mit dir angehört und habe das Gefühl, dass es eine gute Wahl war, weil ich relativ viel über dich erfahren habe. Du bist sehr persönlich geworden. Ich habe es sehr spannend gefunden, wie unheimlich stark deine Authentizität war, wie du ohne Scham über dein Leben gesprochen hast und einfach zu dir gestanden bist.
Innauer: Mit 66 Jahren tut man sich damit leichter.
Mähr: Nicht jeder. Mir hat das sehr imponiert, wie offen du über deine Vergangenheit redest, wie das zum Beispiel war, als du mit Tobi ganz jung zum ersten Mal Vater wurdest. Dieser Podcast war meine Vorbereitung auf dieses Gespräch, außerdem hatte ich das ein oder andere mit Eva Pinkelnig zu tun, die mir einiges über dich erzählt hat. Darüber hinaus arbeite ich seit 2007 mit dem Sportpsychologen Christian Uhl zusammen, den du ja bestens kennst.
Innauer: Dann hast du zwei sich ausgleichende Erfahrungsberichte erhalten. Mit Eva bin ich sehr gut ausgekommen, aber nicht nur, es gab auch schwierige Momente. Meine Verbindung zu Chris war und ist deutlich ausbalancierter.
Mähr: Es hat niemand auch nur ein schlechtes Wort über dich verloren. Es ging viel mehr darum, dass du für uns in Vorarlberg im Sport so ein bisschen über den Dingen stehst, man kennt dich, du bist eine Marke, das habe ich total spannend gefunden. Ich weiß, dass du Olympiasieger bist, dass du es einmal ganz knapp nicht geschafft hast und dass dir dieser Wahnsinnssprung gelungen ist. Aber das ist es irgendwie nicht, was dich ausmacht.
Innauer: Das ist alles auch schon ewig lange her, das ist vor 40, 50 Jahren passiert.
Mähr: Und trotzdem bist du noch sehr präsent, auch in meiner Familie. Mein Vater kauft deine Bücher, es gehört zum guten Ton, deine Bücher zu lesen, weil du ein Intellektueller bist. Wir Sportler werden ja gewöhnlich auf die Rolle des Athleten reduziert. Wir trainieren Kraft, trinken Eiweiß-Shakes und denken nur über Hundertstelsekunden nach. Aber es interessiert niemanden, wie wir über das Leben an sich denken oder welche Erfahrungen wir gemacht haben. Du hast den Absprung geschafft, du hast eine andere Richtung eingeschlagen.
Innauer: Gezwungenermaßen. Ich muss immer etwas aufpassen, dass ich nicht redundant werde, denn das alles steht ja in meinen Büchern. (lacht) Du bist 34, wie du mir bei der Begrüßung gesagt hast, in diesem Alter war ich schon seit zwölf Jahren nicht mehr aktiv. Ich habe mit 21 Jahren meinen letzten Wettkampf bestritten, im Winter danach habe ich mich schwer verletzt und musste meine Karriere beenden. Das hat mir die Chance gegeben, zu studieren. Wobei das in meinen Zeiten relativ üblich war, dass die Athleten früh ihre Karriere beendet haben, weil die Sportler in den olympischen Disziplinen nichts verdienen durften – es galt der Amateurstatus. Karl Schranz haben sie ja 1972 in Sapporo ausgeschlossen, weil er Werbung gemacht hatte. Jedenfalls hat mein frühes Karriereende natürlich meinen Weg verändert. Als ich studierte, war ich völlig raus aus dem Sport. Ich habe gearbeitet nebenbei, auch journalistisch oder für die italienische Firma Ellesse, die Hauptsponsor beim Skisprung-Weltcup war, so habe ich Italienisch gelernt. Ich konnte viel ausprobieren. Dadurch ist ein anderes Leben und ein anderer Typ Mensch herausgekommen als bei vielen Leistungssportlern, die nach mir im Sport aktiv waren. Man muss sich das mal vorstellen, Manuel Fettner wird nächstes Jahr 40 Jahre alt und springt immer noch. Da hast du natürlich eine andere Biografie, wenn dein Fokus darauf liegt, dass im Mai das Training wieder losgeht. Ich hatte dagegen unterschiedliche Lebensabschnitte.
Mähr: Ich weiß sehr genau, wovon du sprichst. Aber der Sport hat dich ja nicht losgelassen, du warst danach Trainer und Sportdirektor beim ÖSV.
Innauer: Mich hat der Sport auf keinen Fall losgelassen. Das Ende ist für mich zu früh gekommen. Ich hätte nach meinem Olympiasieg 1980 in Lake Placid schon noch gerne vier, fünf Jahre angehängt, weil ich in einer Reifephase war, in der ich gecheckt habe, wie ich mit mir umgehen muss. Darum bin ich später auch gerne Trainer gewesen, weil noch viel Restemotion da gewesen ist, die ich in dieser neuen Rolle mit meiner Ausbildung ausleben konnte. Ich habe Sport auf Lehramt mit Psychologie im Nebenfach studiert, wobei mein erstes Studienfach Philosophie war. Mein erstes Trainerjahr hat sich mit meinem letzten Studienjahr überschnitten, ich war 1987 beim C-Kader aktiv. Danach habe ich zwei oder drei Jahre in Stams unterrichtet, das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Wenn man ein ganzes Schuljahr lang 20 Gymnasiasten lehren, aber auch unterhalten soll, dann ist das schon eine Herausforderung. Es war ein weiter Weg vom scheuen Bregenzerwälder Bub zum Lehrer, der Freude hatte, vor einer Klasse zu stehen. Diese Erfahrungen haben mir dann später dabei geholfen, Vorträge zu halten. Nicht nur, dass man sich als Lehrer immer etwas Neues einfallen lassen musste, ich habe mich nicht immer an den Lehrplan gehalten, man muss es als Lehrer vor allem auch verstehen, die Informationen so zu komprimieren, dass sie in eine Schulstunde passen. Aber Lukas, lass uns über dich sprechen. Ich sehe, du hast das Bundesheer-Logo auf deinem Hemd. Das heißt, du bist Bundesheer-Leistungssportler?
Mähr: Ich bin schon länger beim Bundesheer, hinter mir liegt ein langer Weg. Aber bevor ich sehr gerne über diesen Weg erzähle, würde mich interessieren, wie das zu deiner Zeit war: Gab es da schon Bundesheer-Leistungssportler, und warst du einer?
Innauer: Wir waren damals die erste Generation Bundesheer-Leistungssportler, bei uns hieß es noch HSNS-Soldat. Wir sind bei Oberst Böhm in Saalfelden in der Jägerschule eingerückt. Hannes, ist das denn in deinem Sinne, dass wir diese thematischen Ausschweifungen machen? Ich weiß viel zu viele Geschichten. (lacht)

Mayer: Natürlich, so hatte ich mir das vorgestellt. Das ist ein Gespräch zwischen euch beiden, das wir als NEUE begleiten. Natürlich habe ich den ein oder anderen Themenkomplex als Leitplanke für euer Gespräch vorbereitet, doch es geht vor allem darum, was Ihr euch zu erzählen habt, und nicht wie in einer klassischen Interviewform darum, was ich von euch wissen möchte.
Mähr: Das ist so eine spannende Idee, das macht den Reiz dieser Zusammenkunft aus.
Innauer: Wir bewegen uns tatsächlich wohltuenderweise weitab von der Norm. Lukas, wir müssen nur bedenken, dass bei aller privaten Atmosphäre das Gespräch veröffentlicht wird. (lacht)
Mähr: Daran habe ich auch schon gedacht.
Innauer: Ich weiß gar nicht, ob ich das alles erzählen kann. Hupo Neuper, Bernhard Flaschberger, Robert Zoller, Armin Kogler, Harti Weirather – wir waren damals alle in einem Zug beim Bundesheer. Wir hatten eine so lustige Zeit zusammen, da wir eben der erste HSNS-Zug überhaupt waren, wusste keiner, was auf uns zukommt. Unser Grundwehrdienst in der Jägerschule hat zweieinhalb Monate gedauert, wir sind voll ausgebildete Gebirgsjäger mit allem Drum und Dran. Hupo Neuper und ich haben damals ungewollt für Aufsehen gesorgt. Wir waren nämlich bei der sehr populären TV-Sendung „Dalli, Dalli“ mit Hans Rosenthal dabei und haben als Militärler bei der Sendung den Wettstreit mit den anderen Kandidaten gewonnen. Beim Ministerium in Wien hatten sie so eine große Freude darüber, dass wir beide, obwohl wir in der Grundausbildung waren, einen Stern bekommen haben und Gefreite wurden. Nicht mal unsere Ausbildner waren Gefreite. Wir sind dann am nächsten Tag mit dem Stern wieder zum Zug gestoßen, und da hieß es dann: Das geht so nicht, das müssen wir anders machen. Nehmen S’ sofort den Stern runter, das ist ja Blasphemie! (alle lachen laut) Na, na, habe ich gesagt, wir sind Gefreiter, das hat uns Emil Spannocchi vom Bundesministerium für Landesverteidigung geschrieben.
Mähr: Eine herrliche Geschichte.

Innauer: Aber Lukas, du wolltest von deinem Weg zum Olympiasieg erzählen.
Mähr: Der Weg war lange. Ich hätte diesen Erfolg sehr gerne früher und nicht erst mit 34 gefeiert.
Innauer: Es ist schon sehr schade, wenn man am Zenit ist, seinen Sport so richtig beherrscht und dann vielleicht aufgrund der Lebensumstände oder so wie ich damals durch eine Verletzung seine Karriere beenden muss.
Mähr: Wie es auch weitergeht bei mir, Lara und ich haben ein riesengroßes Ziel erreicht, von dem die allerallermeisten Athleten nur träumen können – der Weg, wie man so ein Ziel erreicht, ist sehr individuell und gehört zum Lebens- und Erfolgsweg dazu.
Innauer: Du hast ja auch schon vor deinem Olympiasieg große Erfolge gefeiert.
Mähr: Richtig, ich habe WM- und Weltcupmedaillen gewonnen.
Innauer: Aber nicht in dieser Besetzung?
Mähr: Nein, mit David Bargehr aus Bregenz. Ich habe mit sieben Jahren mit dem Segeln angefangen, war mit acht das erste Mal lange am Gardasee.
Innauer: Das habe ich natürlich schon mitbekommen, wie deine Vereinskollegen deinen Olympiasieg gefeiert haben und erzählten, wie du als kleiner Bub angefangen hast. Diese Geschichten tauchen nach einem solchen Erfolg natürlich alle auf. Es ist ja auch wunderschön, das war bei mir auch so, man merkt dann nämlich, dass die Trainer und Vereinsleute dich als jungen Nachwuchssportler über so viele Jahre unterstützt haben – ehrenamtlich, um es beim Namen zu nennen, denn auf dieser Ebene sprechen wir ja nicht von bezahlten Strukturen.
Mähr: Das ist so ein wichtiger Aspekt. Ich weiß nicht, wie du das erlebst, ich bin bei diesem Thema recht breit aufgestellt, weil wir uns beim Segelverband sehr intensiv damit beschäftigen, wie wir den Segelsport in die Zukunft bringen und wie schwierig es geworden ist, in den Klubs das Ehrenamt zu erhalten. Im Rückblick wird mir klar, wie selbstverständlich es für einen als Jugendlichen war, dass Fritz Trippolt, unser Jugendwart, mit acht Buben und Mädchen zum Mattsee, dem Attersee und bis zum Neusiedlersee gefahren sind, um mit uns zu trainieren.

Innauer: Jetzt musst du dir das Glück vor Augen führen, das wir beide hatten: Du findest nämlich vielleicht jemanden, der das alles macht, was du gerade aufgezählt hast, und noch vieles mehr. Aber damit derjenige, der das auf sich nimmt, fachlich und menschlich dafür auch geeignet ist, dass er den gewissen Schmäh mitbringt, den es braucht, um dich als jungen Menschen zu begeistern – dafür muss wirklich alles zusammengekommen. Das ist ein Glücksfall.
Mähr: Es ist so groß, ein Ehrenamt so ausfüllen, dass du in deiner Privatzeit mit Kindern trainieren gehst: Fritz war mit uns zehn Tage am Gardasee, das war sein Urlaub. Sein großer Einsatz ist mit nichts aufzuwiegen. Du hat es richtig gesagt, Toni: Was da Menschen in Sportvereinen ehrenamtlich auf sich nehmen, ist eine Sensation. Ohne Fritz Trippolt würde ich jetzt nicht an diesem Tisch sitzen.
Innauer: Was uns zu der schon seit Jahren bestehenden Problematik führt, die daraus entsteht, dass beide Elternteile arbeiten gehen. Auch dadurch wird nämlich in den Familien eine solche Vereinsmeierei, die ein Ehrenamt im Sport mit sich bringt, sehr oft nicht mehr mitgetragen.
Mähr: Das ist genau der Punkt. Weißt du, bei uns damals war das ja eigentlich nur eine Träumerei, um nicht zu sagen eine romantische Traumwelt. Fritz sagte so um 1997 herum zu uns Kindern, dass es sein Traum wäre, dass es einer von uns mal zu Olympia schafft. Er war ein super Segler am Bodensee, aber unsere Sportart spielt sich eben auf den Meeren ab.
Innauer: Das heißt, es war überhaupt nicht absehbar, dass es einer von euch jungen Burschen und Mädchen auch nur ansatzweise in die erweiterte Weltspitze schafft?
Mähr: Überhaupt nicht, wir waren als Österreicher Außenseiter. Hubert Raudaschl war als zehnfacher Olympia-Teilnehmer natürlich jahrzehntelang ein Vorreiter in Österreich und sogar weltweit eine Ikone, aber damals, als er seine Erfolge gefeiert hat, war das Segeln praktisch ein reiner Amateursport. Durch diese völlig anderen Voraussetzungen war es schwierig, ihn als Vorbild zu nehmen. Roman Hagara hat es dann im Jahr 2000 in Sydney zusammen mit Hans-Peter Steinacher vorgezeigt, dass man als Österreicher im professionalisierten Segelsport Olympiagold gewinnen kann. Vier Jahre später haben die beiden diesen Erfolg sogar wiederholt.

Innauer: Den Bruder von Roman, Andreas Hagara, treffe ich hin und wieder, er ist der Golfklubmanager am Attersee. Mit Roman habe ich mal ein längeres Telefongespräch geführt, er ist schon einer, der den Durchblick hat – Roman ist beim österreichischen Segelverband ein großer Macher?
Mähr: Roman ist keiner, der einen Antrag für ein Ministerium schreibt, wenn du weißt, was ich meine. Aber er lebt für den Sport, er hat ein irrsinniges technisches Verständnis. Wenn ich eine Idee habe, kann ich ihn jederzeit anrufen und bin sofort im Detail im Austausch mit ihm. Ich kann ihn auch immer fragen, wo ich ein gewisses Material bekomme. Er liebt alle technischen Herausforderungen.
Innauer: Den Überblick bei so vielen Bootsklassen zu behalten, ist schon beeindruckend. Hat es Roman eigentlich auch mal zu diesem großen Ocean-Race-Rennen geschafft, wie heißt das Rennen noch mal?
Mähr: America’s Cup. Das Rennen hätte ihn sehr gereizt, aber diese Möglichkeit hat sich nie für ihn aufgetan, er hat nie den Einstieg geschafft.
Innauer: Was sicherlich eine Geldfrage war.
Mähr: Es war eine Geldfrage, aber auch eine Frage des sich Vermarktenkönnens. Ich schätze Roman vielleicht gerade deshalb so sehr, weil er kein Verkäufer ist. Er ist Doppelolympiasieger, der seinen Olympiasieg bei zwei aufeinanderfolgenden Spielen wiederholt hat, was, glaube ich, in Österreich ansonsten nur Peter Seisenbacher gelungen ist und auch weltweit eine sehr große Seltenheit ist.
Mayer: Das mit der Seltenheit stimmt natürlich, dennoch gibt es sogar eine Athletin aus diesem Ort, die zwei Mal nacheinander Olympiasiegerin wurde: Trude Jochum-Beiser. Sie wurde 1948 Olympiasiegerin in der Kombination und 1952 Olympiasiegerin in der Abfahrt. Das heißt also, die einzige Einschränkung bei ihr ist, dass es ihr nicht in derselben Disziplin zwei Mal in Folge gelungen ist. In derselben Disziplin war Alberto Tomba der erste Skirennläufer, der seinen Olympiasieg vier Jahre später wiederholt hat. Das war 1988 und 1992 im Riesentorlauf.
Innauer: Hannes, das wandelnde Lexikon. (lacht) Gestern habe ich übrigens Edith Zimmermann getroffen, inzwischen heißt sie längst Edith Rhomberg, sie ist dir bestimmt auch ein Begriff.
Mayer: Natürlich, ihre Schwester Heidi war auch eine große Skirennläuferin.
Mähr: Ich höre euch beiden fasziniert zu.
Innauer: Lebt Trude denn noch?
Mayer: Ja, sie ist inzwischen weit über 90. Ich habe mit ihr im Jänner 2010 eines meiner ersten Interviews für die NEUE geführt, sie hat damals erst gezögert, weil sie eigentlich keine Interviews mehr geben wollte. Wir haben uns schließlich auf ein Gespräch ohne Fotografen geeinigt.
Innauer: Wenn ich an Trude Jochum-Beiser denke, fällt mir immer ein, dass wir vor mindestens zehn Jahren am Arlberg ein Treffen der Vorarlberger Olympiasieger veranstaltet haben, wahrscheinlich wird das Treffen sogar vor deinem Interview gewesen sein, Hannes. Denn damals ist Trude sogar noch Ski gefahren. Ich sehe noch vor mir, wie sie einen Hang runtergeblasen ist wie eine junge Läuferin. Ich habe zu ihr gesagt: Trude, fahr langsam! Aber sie kannte da gar nichts. Ich hatte wirklich Angst um sie. (alle lachen) Trude war da schon über 80. Auf was für Themen wir zu sprechen kommen, herrlich!

Das ist der Punkt, an dem ich tatsächlich kurz in die Rolle des Gesprächsleiters schlüpfe und euch bitte, euch von eurem Olympiasieg zu erzählen – und zwar von der Geschichte hinter der Geschichte.
Mähr: Bei mir sind die Erinnerungen frischer als bei dir, Toni. (alle lachen)
Innauer: Ich würde sagen, fang du mal an, beim Zuhören fallen mir bestimmt einige spezielle Begebenheiten ein.
Mähr: Ich habe die Goldmedaille mitgebracht, weil sich das Hannes so für die Fotos gewünscht hat. Das gibt ja auch bestimmt was her, wenn wir beide unsere Goldmedaillen zusammen in die Kamera halten. Aber jetzt mal abgesehen von Presseterminen habe ich die spannende Beobachtung gemacht, dass ich selbst irgendwie nur noch 50 Prozent wert bin. Jeder fragt, ob ich die Medaille dabei habe, die Medaille zu sehen ist vielen mindestens gleich wichtig, wie mich zu treffen. Ich verstehe das, aber ich muss noch lernen, damit umzugehen.
Innauer: Das wird dich ein Leben lang begleiten. Das ist der Unterschied zu einem Weltmeistertitel, der natürlich auch cool ist, aber ein Olympiasieg hat eine völlig andere Dimension. Wenn du in Australien Urlaub machst und du erzählst, dass du Olympiasieger bist, dann bekommst du die Antwort: Olympiachampion – nicht nur Teilnehmer? Die Marke Olympia strahlt weltweit.
Mähr: Das ist auch meine Erfahrung. Wir waren viel in Miami und haben viele Freunde in den USA – ich finde es so geil, wie die Amerikaner olympische Spiele leben und die Champions feiern.
Innauer: Wir waren mal für einen Urlaub in Miami, als einige Leute dort begriffen haben, dass ich früher Sportler gewesen bin. Einer sagte zu mir: Ich dachte, du bist ein Rechtsanwalt.
Mähr: Wie ist das Gespräch weitergegangen? Sprichst du in so einer Situation von selbst deine Goldmedaille an?
Innauer: Nein, nein, man darf da nicht so vorpreschen. (lacht) Ich lasse die Leute immer Frage um Frage stellen – und beobachte dann, wie sie nach und nach merken, dass ich als Sportler ein bisschen was zusammengebracht habe. So ist es viel besser. (alle lachen)
Mähr: Es gibt viele Sportler, die gerne vorpreschen.
Innauer: Wobei das eine Altersfrage ist. Als ich das erste Mal österreichischer Meister geworden bin, konnte ich es kaum erwarten, das in einem Gespräch erwähnen zu können. Mit 12 oder 13 tut einem das sehr gut. Aber wir schweifen schon wieder ab, wir waren bei deinen Erinnerungen an deinen Olympiasieg. Mir stellt sich die Frage, wie das am Schlusstag für euch war. Ihr hattet ja das Medal Race, bei dem noch allerhand hätte passieren können. Da du mit Chris Uhl zusammenarbeitest, gehe ich davon aus, dass du grundsätzlich wusstest, worauf du deine Energie lenkst. Das ist ja die verrückteste Situation, in der sich ein Sportler überhaupt befinden kann, wenn du weißt: Es besteht eine reelle Chance auf den Olympiasieg. Ich habe diese Situation beim ersten Mal nicht gemeistert, in Innsbruck 1976, ansonsten wäre ich in der Liga von Seisenbacher und Hagara und könnte nachher zwei Goldmedaillen auf den Tisch legen. (lacht) Ich habe in Innsbruck nach dem ersten Durchgang mit einem enormen Vorsprung geführt und habe es geschafft, es zu vergeigen. Weil ich dem Ganzen nicht gewachsen war. Darum weiß ich, wie brisant die Lage ist. Du weißt: Die Hälfte des Rennens oder noch mehr ist geschrieben, es geht eigentlich nur mehr darum, den Vorsprung ins Ziel zu bringen. Mich interessiert brennend, wie du auf diese völlig neue Situation am Entscheidungstag vorbereitet warst.
Mähr: Da gibt es mehrere Erzählstränge. Im Segelsport gibt es sieben Wettkampftage, wir hatten das Glück, aber auch die Last zu tragen, dass wir ab dem zweiten Tag führten. Was zu einer krassen Situation führte. Normalerweise interessieren sich die Medien und die Öffentlichkeit nicht sonderlich für uns Segler. Bei den Spielen in Marseille war es plötzlich so, dass ab dem zweiten Tag alle Schlange standen und eine enorme Erwartungshaltung aufgebaut haben.
Innauer: Einem Peter Mennel steht es ins Gesicht geschrieben, was für ein Stein ihm vom Herzen fallen würde, wenn es endlich mit den ersten Medaillen klappen würde.
Mähr: Du sagt es. Ein super Thema, zu dem ich einiges zu sagen habe, aber etwas ausholen muss. Wir hatten natürlich ein Konzept für das Medal Race. Uns hat in gewisser Weise gerettet, dass wir bescheiden geblieben sind, nachdem wir die Führung übernommen hatten. Lara und ich haben zu hart auf die Spiele hingearbeitet, um abzuheben und uns damit alles zu versauen. Für mich war es die vierte Olympiakampagne, aber die ersten Spiele, bei denen ich als Athlet dabei war. Ich hatte mich 2012 und 2016 zusammen mit David Bargehr qualifiziert, wir verloren aber beide Male die interne Qualifikation. 2021 haben David und ich die Kriterien für Tokio nicht erfüllt, was vor allem an den Corona-Einschränkungen lag, als wir kaum zum Trainieren kamen und es auch viele Verschiebungen gab. 2016 war ich allerdings als Trainer dabei.
Innauer: Da muss ich jetzt im Stile von Hannes einhaken. (lacht) Zu meiner Zeit wärst du gesperrt worden, denn als Trainer wirst du in Rio ja mit dem Segelsport Geld verdient haben?
Mähr: Ich habe Geld vom Bundesheer bekommen.
Innauer: Damals waren die Amateurregeln so strikt, dass das ausgereicht hätte. Du durftest als Athlet kein Geld mit deinem Sport verdienen.
Mähr: Von was hat man denn damals gelebt?
Innauer: Du musstest einen anderen Beruf haben, der allerdings nichts mit deinem Sport zu tun haben durfte.

Mayer: Wir haben ja schon über den Olympia-Ausschluss von Karl Schranz gesprochen. Weniger bekannt ist in Österreich, dass 1984 die Winterspiele in Sarajevo ohne die beiden besten Skirennläufer jener Zeit stattfanden: Ingemar Stenmark und Hanni Wenzel durften nicht an den Spielen teilnehmen. Beide hatten eine sogenannte B-Lizenz, mit der sie persönliche Werbeverträge abschließen durften, ohne ihren nationalen Skiverband an den Einnahmen beteiligen zu müssen. Wenzel hatte ihre B-Lizenz bereits 1982 zurückgegeben, ohne je einen persönlichen Werbevertrag abgeschlossen zu haben – und durfte trotzdem nicht nach Sarajevo. Stenmark löste die B-Lizenz 1980 nach seinen beiden Olympiasiegen im vollen Bewusstsein, dass er dadurch nahezu sicher die kommenden olympischen Spiele verpasst. Die Alpinbewerbe in Sarajevo waren extrem entwertet, weil beide vor den Spielen in Serie Rennen gewonnen hatten.
Mähr: So bitter das für die beiden war, ich könnte mir aber vorstellen, dass dieser Vorfall einige beim IOC zum Umdenken bewegt hat.
Mayer: Es gäbe eine sehr umfangreiche Antwort zu dieser Thematik, die mit dem Amateurwahn des jahrzehntelangen IOC-Bosses Avery Brundage zu tun hätte, in Kurzform lautet die Antwort: Ja, 1988 bei den Winterspielen in Calgary waren Profis erlaubt.
Innauer: Ich wollte die B-Lizenz auch lösen. Ich hatte seinerzeit Kontakt mit Christian Knauth, damals noch bei Mäser, der später FIS-Marketingleiter wurde. Die Korrespondenz habe ich heute noch, wie wir ausgelotet haben, ob ich das riskieren kann und wie ich vorgehen sollte. Dann entschlossen sich, wie Hannes das ausgeführt hat, Hanni und Ingemar, die B-Lizenz zu lösen – da war für mich klar, dass ich auch dabei bin. Ich dachte, ich muss jetzt langsam etwas Geld verdienen mit dem Sport. Aber dann habe ich mich schwer verletzt, und dadurch war alles hinfällig. Jetzt haben wir die nächste Abzweigung genommen. (alle lachen)
Mähr: Diese Zusammenhänge sind enorm spannend. Der Zusammenhang, auf den ich hinaus wollte: Durch meine Trainertätigkeit in Rio habe ich live miterlebt, wie viele Sportler an ihren eigenen Erwartungen gescheitert sind. Ich sehe noch heute keinen Sinn darin, als Sportler vor einem Wettkampf zu sagen: Ich gewinne, weil ich der Tollste und Geilste bin oder weil es mein Schicksal ist. Ich kann natürlich nur für uns Segler sprechen, aber jeder, der es von uns zu den Spielen schafft, der brennt für die Medaille, da muss keiner motiviert werden. Es geht viel mehr darum, geschickt mit allen Herausforderungen umzugehen – und dabei ist der Druck eine ganz besondere Komponente. Darum haben Lara und ich von Tag eins an versucht, nach unserer Olympia-Qualifikation die Erwartungen zu dämpfen. Der ÖOC will natürlich vor den Spielen die Medaillenfavoriten benennen, um Olympia bewerben zu können, was ja völlig verständlich ist. Aber wir hatten eine völlig andere Perspektive. Wir sagten: Wir wollen, dass es beim Medal Race um etwas geht für uns.
Innauer: Die Art von Sportler kenne ich so kaum. Das ist so eine vielschichtige Sicht, die du hast, du bist 34 Jahre und hast schon bei einem Großereignis als Trainer gearbeitet. Das ist etwas, das im Normalfall nicht vorkommt. Ich bin 1982, Hannes, du wirst es wissen, zwei Jahre nach meinem Karriereende bei der WM in Oslo an den Start gegangen. Ich war im Dezember 1981 bei einer ÖSV-Weihnachtsfeier in Rum, als mir Sprungtrainer Max Golser so nebenbei erzählt hat, dass ich bei der WM an den Start gehen könnte. Ich sagte: Mach einen Scherz, wieso? Da erklärte er mir, dass ein neues FIS-Reglement besagte, dass der Titelverteidiger automatisch qualifiziert ist, was mich als amtierender Weltmeister betraf. Ich arbeitete damals eben für die italienische Firma Ellesse und wollte einen Werbegag daraus machen und sagte: Ich trete an. Am nächsten Tag war ich auf der Titelseite, Innauer startet bei der WM. Ich habe zu keiner Sekunde daran gedacht, wirklich zu starten, aber die Sache hat so eine Dynamik aufgenommen, dass es mir peinlich wurde. Daraufhin habe ich einen Testsprung gemacht, um zu schauen, ob der Fuß die Belastung aushalten würde. Ich bin beim Training zum Europacupbewerb in Seefeld angetreten und war in allen drei Trainingsdurchgängen der Weiteste. Also bin ich tatsächlich in Oslo gesprungen, gerissen habe ich nichts, weil mir alles zu viel wurde. Aber aus dieser Erfahrung heraus, dass ich aus Jux und Tollerei aus dem Studium heraus bei der WM gestartet bin, habe ich sehr viel darüber gelernt, was sich im Kopf eines Athleten abspielt. Das hat mir später als Trainer sehr geholfen, dass ich beide Perspektiven kannte, die ein Sportler haben kann: Ich trete an, nehme es aber nicht ernst – und ich trete an, und will unbedingt gewinnen oder es zumindest mir selbst beweisen.
Mähr: Darauf wollte ich hinaus. Wir haben das im Verband lange diskutiert: Wie kann der Verband oder ein Trainer das immer wiederkehrende Muster nutzen, dass ein Segler aus einer Verletzung viel stärker zurückkommt, als er es davor war – weil er als Comebacker ohne Druck segeln kann und so seine Qualitäten umsetzen kann. Das habe ich selbst auch an der Seite von David Bargehr erleben dürfen. Und das ist eben die Frage: Wie kann ein Trainer ein Klima der Unbeschwertheit schaffen, dass ein Segler dauerhaft sein Potenzial umsetzt, und nicht nur dann, wenn die Umstände günstig sind? Ich wollte unbedingt zu den Spielen, hätte das aber, wie ich vorhin schon mal anklingen habe lassen, gerne früher erreicht. Ich habe in meinem Leben so viele Menschen getroffen, die zu mir gesagt haben: Lukas, mach endlich was aus dir, beim Bundesheer bist du auch noch. Willst du dir nicht endlich mal einen richtigen Job suchen? Das sind genau diejenigen, die heute zu mir sagen: Ich habe es immer gewusst, dass du es schaffst, dein Talent war offensichtlich.
Innauer: Genau so sind die Leute.
Toni Innauer
Geboren am: 1. April 1958 in Bezau
Wohnhaft: Thaur in Tirol
Familie: Verheiratet mit Marlene, insgesamt vier Kinder
Sportart: Skispringen
Verein: SC Bezau
Größte Erfolge, Auswahl: Olympiasieg auf der Normalschanze (1980), Olympiasilber auf der Großschanze (1976); Weltmeister (1980); zweifacher Skiflug-Weltrekord (5. und 7. März 1976 in Oberstdorf, 174 bzw. 176 Meter); erster Skispringer der Geschichte mit der Haltungsnote fünf Mal 20,0 (6. März 1976 in Oberstdorf)
Lukas Mähr
Geboren am: 23. April 1990 in Bregenz
Wohnhaft: Bei Wiener Neustadt
Familie: Verheiratet mit Christine, zwei Kinder
Sportart: 470er-Segler
Verein: Yachtclub Bregenz
Segelpartner: Bis 2021 David Bargehr, seit Herbst 2021 Lara Vadlau
Größte Erfolge: Olympiasieg (2024); WM-Bronze (2017)
Nächsten Sonntag: Schulterklopfer, Trainertypen, Instinkte.