Bei 250 Km/h vom Motorrad heruntergerissen

Interview. Jan Mohr fährt Motorradrennen. Im Jahr 2022 ist er schwer gestürzt, brach sich drei Rückenwirbel. Im April letzten Jahres sprach der 26-Jährige mit der NEUE am Sonntag über den Unfall, befand sich damals gerade in der Reha. Über seinen Weg zurück in den Rennsport hat er nun einen Film gedreht.
Bei unserem letzten Treffen im April 2023 haben Sie sich mitten in der Reha befunden, um sich von Ihrem schweren Unfall zu erholen. Sie sprachen von Angst, wussten nicht, ob Sie sich jemals wieder auf ein Motorrad setzen würden. Was hat sich seit damals getan?
Jan Mohr: Nun, vorab, ich habe mich entschieden, es noch einmal zu versuchen. Bald nach unserem letzten Treffen bin ich wieder auf ein kleines Motorrad gesessen. Das ging recht gut, ich habe nicht gemerkt, dass ich über ein Jahr nicht mehr gefahren bin. Dann bin ich Anfang Juni das erste Mal wieder auf die Rennstrecke gegangen. Mit der 1000er, dem großen Motorrad. Ich habe mich nach zwei, drei Runden wieder relativ wohlgefühlt, habe von meiner Verletzung nichts mehr gespürt.
Die Angst war also auf Anhieb wieder weg?
Mohr: Es war auf jeden Fall so, dass mich die Geschwindigkeit auf Anhieb wieder fasziniert hat. Es hat sich angefühlt, als wäre ich erst am Vortag ein Rennen gefahren. Ich hatte recht schnell wieder ein Auge für die Geschwindigkeit, ein Gefühl für das Verhalten des Motorrads. Das hat mich schon etwas überrascht. Es hat aber schon seine Zeit gebraucht, bis ich wieder ans Limit gehen konnte. Bis ich mich zum Beispiel nicht mehr erschreckt habe, wenn ich einen Rutscher hatte. Aber rein vom Speed, da war alles schnell wieder da.

Sie waren während Ihrer Rehabilitationszeit Zuschauer bei einem Rennen, bei dem Ihr Fahrerkollege Leon Langstädtler auf tragische Weise ums Leben gekommen ist. Was hat das in Ihnen ausgelöst?
Mohr: Ich habe mich genau an dem Tag, als Leon verunglückt ist, entschieden, nicht mehr weiterzumachen. Als ich das sah, dachte ich, das war’s. Aber über die Zeit, als ich wieder fitter geworden bin, wusste ich sicher, ich muss es noch mal probieren.
Welche Erinnerungen haben Sie an den Tag, an dem Sie gestürzt sind beziehungsweise an den Unfall selbst?
Mohr: Ich weiß alles noch ganz genau, weil ich nicht ohnmächtig war. Es ist bei einem Sturz mit dem Motorrad immer dasselbe. In dem Moment, in dem es passiert, weiß man: Okay, das halte ich nicht mehr, jetzt ist es soweit. Dann hoffst du einfach, dass es nicht so schlimm wird. In diesem Moment habe ich damals gewusst, dass es richtig schlecht wird. Bevor ich mit meinem Kollegen kollidiert bin, waren wir gerade richtig schnell. Etwa 250 Stundenkilometer. Und ich wusste, an dieser Stelle der Strecke ist nicht viel Platz zum Fahrbahnrand und sehr wenig Auslaufzone. Dann hat es mich vom Motorrad heruntergerissen. Ich dachte, ich würde mit 100 Stundenkilometer einschlagen. Aber das war zum Glück nicht so. Dann habe ich gemerkt, dass ich keine Luft mehr bekomme und mir alles weht tut. Es war sehr schmerzhaft. Als dann der Helikopter gelandet ist, wusste ich, dass es doch recht schlimm war. Aber das Adrenalin im Körper hat erst einmal geholfen. Nach dem Röntgen wurde mir dann gesagt, dass ich drei Rückenwirbel gebrochen hatte.

Wann hatten Sie das erste Mal wieder Kontakt mit Ihrer Familie, die ja nicht dabei war?
Mohr: Am Tag des Unfalls war alles noch recht chaotisch. Die Kommunikation war schwierig, weil wir zwei Verletzte waren. Meine Eltern waren zu Hause und haben den Unfall im Fernsehen gesehen. Mein Bruder war vor Ort und ist mit meinem Wohnmobil zum Krankenhaus gefahren. Es hat dann alles sehr lang gedauert, und ich habe erst am Abend, als ich auf der Intensivstation war, mit meinem Vater telefoniert. Da konnte ich ihm zum ersten Mal sagen, dass es mir den Umständen entsprechend gut geht. Aber es war natürlich ein riesiger Schock für meine ganze Familie.
Sie haben mit Ihrem Bruder Ken einen Film über das Erlebte gedreht. Hat Ihnen die Arbeit daran geholfen, die ganze Sache besser verarbeiten zu können?
Mohr: Auf jeden Fall. Natürlich ist es wild, wenn man sich so von außen sieht, schwer verletzt. Aber je öfter ich es gesehen habe, desto weniger schlimm wurde es. Man gewöhnt sich eben an alles. Aber als ich nach dem Unfall die Szenen nochmals angeschaut habe, habe ich gemerkt, dass ich sehr nervös werde. Vor der Runde, in der es passiert ist. Da konnte ich kaum hinschauen. Ich habe es im Zuge der Arbeiten am Film dann sehr oft gesehen, und es ist immer „normaler“ geworden.

Der Film ist mittlerweile über 200.000 Mal gesehen worden. Was haben Sie für Rückmeldungen bekommen?
Mohr: Der Film hat sehr vielen Leuten richtig gut gefallen. Auch bei der Premiere im Federmannsaal in Hohenems. Da waren Freunde, Familie und einige meiner Sponsoren. Auch bei den Fahrerkollegen habe ich nur positive Stimmen gehört. Wir haben den Film zwei Tage vor dem IDM-Finale in Hockenheim veröffentlicht. Als wir dann durch das Fahrerlager gelaufen sind, habe ich vom einen Ende zum anderen sicher eine Stunde gebraucht, weil mich alle auf den Film angesprochen haben. Das hat mich sehr gefreut, dass wir aus der Fahrer-Community so positives Feedback für unsere Arbeit an dem Film bekommen haben.

Wie war das Jahr 2024?
Mohr: Sehr durchwachsen. Ich habe mich im ersten Lauf im Mai wieder verletzt, habe mir das Schulterblatt gebrochen. Also wieder zwei Monate Reha. Dann bin ich das erste Rennen wieder in Schleitz, dem Ort meines Unfalls, gefahren. Das war nicht einfach. Aber auch sehr befreiend, als ich ins Ziel gekommen bin. Insgesamt bin ich in diesem Jahr zehn Rennen gefahren.
Gibt es schon Pläne für nächstes Jahr?
Mohr: Nun, als ich mich wieder verletzt hatte, dachte ich, das war es wohl. Dann habe ich aber gute Ergebnisse erzielt, bin zum Beispiel in Hockenheim Vierter geworden. Aktuell sind wir in Gesprächen, aber ich kann noch nicht sagen, was es genau wird. Aber es wird sehr wahrscheinlich wieder ein Vertrag bei einem Team in der IDM, und auch bei der Langstrecken-Weltmeisterschaft möchten wir wieder dabei sein. Das hat momentan allerhöchste Priorität. Und natürlich will ich verletzungsfrei bleiben.

Film “comeback”
Von Ken und Jan Mohr
Der Film erzählt die Geschichte von Jan Mohrs schwerem Motorradunfall, seiner Leidenszeit danach und dem Wiedereinstieg in den Rennsport. Der Titel „ComeBACK“ wird so geschrieben, weil sich Mohr am Rücken (Englisch: Back) verletzt hatte. Der Film steht auf Youtube frei zur Verfügung.
Hier gehts zum Film: