„Uli wollte Bruno zum FC Bayern holen“

Am 3. Februar wäre Bruno Pezzey 70 Jahre alt geworden. Zum Abschluss der Serie über den Lauteracher, der am 31. Dezember 1994 verstarb, erinnert sich Bayern-Legende Karl-Heinz Rummenigge (69) exklusiv an Pezzey.
Bruno Pezzey und Sie sind beide im Jahr 1955 geboren. Was hat Sie darüber hinaus verbunden?
Karl-Heinz Rummenigge: Wir haben jahrelang in der deutschen Bundesliga und mit unseren Nationalmannschaften gegeneinander gespielt, auch bei der WM 1978 und 1982. Was uns kurioserweise am meisten verbunden hat, war aber, dass Paul Breitner und ich nach unserer aktiven Karriere eine Fußballschule gegründet haben – und bei der Fußballschule war Bruno fester Bestandteil als Trainer.
Wie ist es dazu gekommen, dass Bruno in Ihrer Fußballschule Trainer wurde?
Rummenigge: Paul und ich kannten ihn gut und hatten auch regelmäßig Kontakt mit ihm. In der Zeit haben wir ihn mal gefragt, ob er Lust hätte, bei uns mitzumachen, das hat er bejaht, und so war er dabei. Bruno war ein sehr angenehmer Mensch. Er war nicht nur ein Fußballer der Extraklasse, er hatte auch als Mensch hohe Qualitäten. Wenn wir abends in der Fußballschule beim Essen zusammengesessen sind, hat er seinen österreichischen Schmäh ausgepackt, und ich muss sagen, er konnte Witze erzählen wie kein zweiter. Er war extrem beliebt. Ich werde es mein Leben lang nie vergessen, als ich seine Todesnachricht bekam: Ich war mit meiner Familie während der Weihnachtsfeiertage auf Urlaub in Hochgurgl, als mich am Silvestertag Hansi Müller anrief. Ich war geschockt. Ich war fassungslos. Auch, wie es dazu gekommen war. Beim Eishockey zusammengebrochen. Schrecklich. Bruno war so ein netter, lieber, feiner Mensch, sein Tod hat uns wirklich tief getroffen.
Diese Worte wird alle freuen, die Bruno nahestanden und ihn schätzten. Was hat Bruno Pezzey als Fußballer ausgezeichnet?
Rummenigge: Er hat ja zunächst in Frankfurt gespielt, und Frankfurt war für uns beim FC Bayern jahrelang ein schweres Pflaster. Bruno war einer der Gründe dafür. In der Defensive war er unglaublich stabil, ich habe immer versucht, ihn mit meiner Schnelligkeit und meinem Dribbelvermögen auszuspielen, aber das schwierig, weil er sehr clever war. Bruno war einer der besten Abwehrspieler seiner Zeit. Außerdem war er ja auch so stark in der Offensive. Das hat ihn so komplett gemacht. Bei Standardsituationen ist der lange Lulatsch immer mit nach vorne aufgerückt – und dann hieß es aufpassen, weil Bruno durch seine Größe immer für Tore gut war. Ich erinnere mich noch leidvoll an das UEFA-Cup-Halbfinalrückspiel im Jahr 1980, als uns Bruno ein Bein gestellt hat.
Bayern hat damals das Hinspiel mit 2:0 gewonnen, im Rückspiel erzwang Bruno Pezzey mit zwei Toren die Verlängerung. Das 2:0 fiel kurz vor Schluss.
Rummenigge: Wir dachten schon, wir würden es packen, aber dann kam Bruno. Natürlich hat er beide Tore nach Eckbällen erzielt, das zweite, wie Sie richtig sagen, kurz vor Schluss der regulären Spielzeit. Wir sind dann in der Verlängerung ausgeschieden, und Frankfurt hat am Ende den UEFA-Cup gewonnen.

Sie haben natürlich auch mit der deutschen Nationalmannschaft große Partien gegen Bruno Pezzey und das ÖFB-Team gespielt.
Rummenigge: Cordoba 1978, ein geschichtsträchtiges Spiel, speziell aus österreichischer Sicht. Ihr habt 3:2 gewonnen, das ist ja alles bekannt, aber als ich damals vom Platz gegangen bin, habe ich zu Bruno gesagt: Das war das letzte Mal, dass ihr gegen uns gewonnen habt, solange ich noch Fußball spiele.
Was hat Bruno geantwortet?
Rummenigge: Er hat mich angeschmunzelt und gesagt: Schau’n mer mal.
Kaiserlich.
Rummenigge: (lacht) Ja, kaiserlich. Ich habe aber Wort gehalten, wir haben mit mir als Nationalspieler kein Spiel mehr verloren gegen Österreich.
Die Partie in Cordoba war das letzte Spiel der zweiten Gruppenphase. Deutschland wäre bei einem Sieg mit fünf Toren Differenz ins Finale eingezogen. Hat man beim deutschen Team noch ans Finale geglaubt?
Rummenigge: Offen gesagt nicht wirklich. Wir hatten im Spiel zuvor gegen die Niederlande zwei Mal geführt, spielten aber nur Unentschieden. Da haben wir es verpasst, mit einem Sieg die Tür zuzumachen. Ich muss aber korrekterweise sagen, die Österreicher haben in Cordoba verdient gewonnen, weil sie mehr fürs Spiel getan haben und vorne Hans Krankl den Unterschied ausgemacht hat an dem Tag.

Bei der WM 1982 hat Deutschland am letzten Spieltag der ersten Gruppenphase mit 1:0 gegen Österreich gewonnen. Das war das einzige Ergebnis, mit dem sich beide Mannschaften für die zweite Gruppenphase qualifizierten. So lief das Spiel dann auch in der zweiten Hälfte, ging als „Schande von Gijon“ in die Geschichte ein.
Rummenigge: Das Spiel hat heftige Kritik ausgelöst, aber es hat nie eine Absprache gegeben. Ich bin irgendwann in der zweiten Halbzeit ausgewechselt worden, weil ich Muskelprobleme hatte. Etwa zu dem Zeitpunkt hast du gemerkt, dass keiner riskieren will rauszufliegen. Dadurch ist ein Spiel zustande gekommen, das nicht attraktiv war und eben zu diesen kritischen Bemerkungen geführt hat. Aber auf der anderen Seite: Wenn bei einem Resultat beide weiter sind, und wir sprechen hier von einer WM, die nur alle vier Jahr stattfindet, dann darf man das auch keiner der beiden Mannschaften vorwerfen. Man muss sich mal vorstellen, was im Nachhinein los gewesen wäre, wenn eine der beiden Mannschaften rausgeflogen wäre. Die Kritik wäre in Deutschland oder Österreich riesig gewesen.
Es hätte geheißen: Wie kann man nur?
Rummenigge: Ich erhöhe auf: Wie kann man nur so blöd sein? Das hätte es überall geheißen.
Um kurz auf Ihre Muskelverletzung von damals zurückzukommen: Sie konnten später im Halbfinale gegen Frankreich nicht beginnen, alle glaubten, das Turnier wäre für Sie beendet. Als Sie dann doch eingewechselt wurden, soll der französische Staatspräsident François Mitterrand gestöhnt haben: „Mon dieu, Rümmenisch!“ Deutschland glich in der Verlängerung noch einen 1:3-Rückstand aus und kam weiter.
Rummenigge: Genau: Mon dieu, Rümmenisch! (lacht) Ich kam in der Verlängerung rein, habe ein Tor erzielt und konnte dann auch im Elfmeterschießen helfen, dass wir ins Finale aufstiegen.
Bleiben wir im Jahr 1982: Da gab es auch in der Bundesliga eine denkwürdige Partie zwischen Frankfurt und Bayern, die Frankfurt mit 4:3 gewonnen hat. Die Niederlage hatte maßgeblichen Anteil daran, dass Bayern der Titelhattrick in der Bundesliga nicht gelang: Auch in dieser Partie traf Pezzey.
Rummenigge: Ich habe bis heute keine Erklärung dafür, warum wir uns in Frankfurt so schwer getan haben. Wir haben da jahrelang nicht gewonnen, es war wie verhext. Schon die ganz große Mannschaft um Franz Beckenbauer, Sepp Maier und Gerd Müller konnte dort nichts holen, Frankfurt hat gegen uns immer wieder große Spiele gemacht, das hat dann die Generation um Bruno Pezzey Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre fortgesetzt. In Frankfurt haben sie schon Späße gemacht, wenn wir am Flughafen ankamen. Da hieß es dann: Morgen gibt es wieder eine Abreibung. Und ja, dieses 3:4 war schmerzhaft.

Wenn ich mich nicht irre, hat Frankfurt 1974 das erste Triple des FC Bayern verhindert: Bayern wurde damals Meister, gewann den Europapokal, schied aber im Pokalhalbfinale in Frankfurt aus?
Rummenigge: Sie irren sich nicht, Bayern ist damals in Frankfurt rausgeflogen. Ich war noch nicht dabei, aber das habe ich immer gehört, wie stocksauer Franz und Sepp danach waren. Schiedsrichter Heinz Aldinger hat damals kurz vor Schluss einen fragwürdigen Elfmeter gepfiffen, der zum Sieg von Frankfurt geführt hat. Franz hat geschimpft wie ein Rohrspatz. So ist das manchmal im Fußball, es gibt Gegner, speziell auswärts, da kommt alles zusammen. Frankfurt war so ein Gegner, und Bruno hat die Sache für uns nicht leichter gemacht.
1982 soll Uli Hoeneß versucht haben, Pezzey zum FC Bayern zu holen. Wäre Bruno einer für den FC Bayern gewesen?
Rummenigge: Absolut. Wir hatten zwar mit Klaus Augenthaler auch einen guten Mann in der Innenverteidigung, aber Bruno hätte auch prima zu uns gepasst. Uli wollte daher Bruno zum FC Bayern holen, das hat aber leider nicht geklappt.
Der FC Bayern war damals finanziell ja nicht auf Rosen gebettet, und Eintracht Frankfurt forderte eine sehr hohe Ablöse. Ich meine, es lag daran, dass der Transfer finanziell nicht zu stemmen war für Bayern?
Rummenigge: Das kann tatsächlich so gewesen sein.
Bayern hat damals unter Pal Csernai schon Raumdeckung gespielt. Ein so offensivstarker Abwehrspieler wie Bruno: Hat der Stress im Pal-System, wie es genannt wurde, erzeugt, ist man bei Bayern bei den Spielbesprechungen eigens darauf eingegangen, wie Pezzey zu verteidigen ist?
Rummenigge: Wir waren damals, glaube ich, die erste Mannschaft in Deutschland, die mit Raumdeckung gespielt hat. Davor gab es nur Manndeckung, also Mann gegen Mann. Wir haben unter Csernai schon in Zonen gespielt. Wenn Bruno nach vorne kam, haben wir ihn übergeben. Ich hatte die Aufgabe, ihn bis zur Mittellinie langsamer zu machen oder zu stoppen, ab der Mittellinie haben dann Kurt Niedermayer oder Paul Breitner übernommen. Das Problem bei Bruno war: Selbst, wenn wir ihn aus dem Spiel heraus im Griff hatten, bedeutete das noch gar nichts. Die größte Gefahr ging von ihm nämlich bei Ecken und Freistößen aus, da herrschte dann Alarmstufe Rot bei uns. Das war ja auch das Fatale in dem UEFA-Cup-Halbfinale, da hat Bruno zwei Tore nach Ecken erzielt.

Hat Bruno auf dem Platz mit seinen Gegenspielern geredet?
Rummenigge: Ja natürlich. Früher ging es ja sowieso viel lockerer auf dem Platz zu, und Bruno war einfach ein guter Typ. Wir hatten immer schon ein sehr gutes Verhältnis, später waren Hansi Müller und ich sehr eng mit Bruno befreundet. In unserer Fußballschule haben wir zwei Mal mit den Burschen trainiert, am Abend wurde gegessen und anschließend noch ein Wein oder Bier getrunken – und dann musste Bruno loslegen mit seinen Witzen. (lacht) Ich sage Ihnen, das war herrlich. Wir haben Tränen gelacht.
Gibt es eine Anekdote, die Sie erzählen können?
Rummenigge: (überlegt) So um 1991 oder 1992 herum waren Paul Breitner, die Förster-Brüder und ich mit Bruno zusammen in Sölden beim Skifahren. Wir kehrten am späten Mittag in eine Hütte ein, als es plötzlich draußen stockfinster wurde. Ein richtiger Schneesturm braute sich zusammen. Man wartete erst noch, ob sich die Lage bessern würde, aber das erwies sich als aussichtslos. Es schneite, was das Zeug hielt. Ich fragte den Wirt: „Wie sollen wir Flachland-Tiroler denn da jemals wieder heil runterkommen?“ Der meinte nur: „Bruno wird’s schon richten.“ Gesagt, getan, Bruno schnappte sich zwei Fackeln und fuhr durch das dichte Schneetreiben vorneweg, wir „Touristen“ mussten direkt hinter ihm bleiben. Bruno befahl uns: „Sichtkontakt!“, natürlich folgten wir ihm aufs Wort. Mit vereinten Kräften schafften wir es alle gesund und munter ins Tal, dort machten wir uns dann gleich bereit für den nächsten Einkehrschwung, jetzt hatten wir ja was zu erzählen. (lacht) An was ich mich bei Bruno ganz allgemein erinnere, ist, er hatte diese blitzenden Augen, die ihn so sympathisch machten. Wir mochten ihn einfach. Wir hatten mit Frankfurt selbst kein gutes Verhältnis, aber das hat sich nie auf unser Verhältnis mit Bruno ausgewirkt.
Bruno wechselte 1983 nach Bremen. Sie waren dann zwar bei den dramatischen Meisterschaftsentscheidungen zwischen Bayern und Bremen in den Jahren 1985 und vor allem 1986 nicht dabei, Sie waren da schon bei Inter, aber: Eine Saison lang haben Sie Bruno bei Bremen als Gegenspieler erlebt, und auch bei Werder hat er Bayern das Leben schwer gemacht.
Rummenigge: Egal wo Bruno gespielt hat, ob bei Eintracht Frankfurt, Werder Bremen oder der österreichischen Nationalmannschaft: Bruno hat uns immer Stress gemacht – das ist ja auch der Beweis dafür, was für ein guter Spieler er war. Wir hatten einen gehörigen Respekt bei Bayern München vor Bruno.
Das sagt alles. Es gibt ja immer wieder diese Wahlen, wer ist, wer war der Beste. So gibt es auch ein Ranking über die besten Spieler der deutschen Bundesliga der 1980er-Jahre. Bruno Pezzey ist dabei auf dem 17. Platz gelandet.
Rummenigge: Und das völlig zu recht, möglicherweise hätte er es sogar verdient, in der Rangliste noch weiter vorne zu stehen.

Bruno hat in der deutschen Bundesliga tatsächlich ein Tor mehr erzielt als Franz Beckenbauer.
Rummenigge: Sprechen wir bei Franz über Eigentore oder erzielte Tore? (lacht)
Erzielte Tore. Wenn man bei Franz die vielen Eigentore mitzählen würde, käme er auf einen deutlich besseren Wert: So steht er bei 44 Toren, Bruno erzielte 45 Tore.
Rummenigge: Für einen Abwehrspieler ist das herausragend. Es wäre wirklich besser gewesen, ihn in der Mannschaft zu haben, als gegen ihn zu spielen. (lacht) Noch wichtiger ist aber, und das bleibt über die Karriere hinaus: Er war ein sehr, sehr feiner Kerl, mit dem man gerne Zeit verbracht hat. Ich darf mich glücklich schätzen, Bruno so gut gekannt zu haben, und ihn einen wahren Freund nennen konnte.