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Lehrermangel: “Wallner hätte den Geldhahn längst aufdrehen müssen.”

20.05.2023 • 23:00 Uhr / 9 Minuten Lesezeit
Willi Witzemann, Vorsitzender der Personalvertreter der Vorarlberger Pflichtschullehrer: „Alle haben gewusst, dass die Pensionierungswelle kommen wird.“ . <span class="copyright">Hartinger</span>
Willi Witzemann, Vorsitzender der Personalvertreter der Vorarlberger Pflichtschullehrer: „Alle haben gewusst, dass die Pensionierungswelle kommen wird.“ . Hartinger

Willi Witzemann, oberster Personalvertreter der Pflichtschullehrer im Land, über den eklatanten Lehrermangel, die Auswirkungen auf den Schulbetrieb und seine Forderungen an die Politik.


Sie haben kürzlich davor gewarnt, dass sich in Vorarlbergs Pflichtschulen eine Qualitätskatastrophe anbahnt. Werden die Schulkinder künftig noch gescheit Lesen und Schreiben lernen?
Willi Witzemann: Ich hoffe sehr, dass sie das richtig und gut erlernen. Mit dieser Warnung ist der Personalmangel an den Schulen gemeint. Bestimmte Anforderungen können wir so nicht mehr erfüllen. Das Team-Teaching wird zurückgehen, Deutsch-Förderstunden werden möglicherweise nicht mehr möglich sein, ganz sicher gekürzt werden müssen unverbindliche Übungen – egal ob Leibesübungen oder Kreativfächer. Zu wenig Personal führt zu Qualitätseinbußen.

Qualitätseinbußen bekommen doch auch die Kinder zu spüren, nicht?
Witzemann: Die Schulkinder werden das hoffentlich nicht so spüren. Wir haben einfach zu wenige qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer, also Kolleginnen und Kollegen, die das Lehramt absolviert haben. Assistenz- und Hilfslehrer sowie pädagogische Unterstützungspersonal sind natürlich dringend notwendig und wir sind ja auch froh, dass wir sie haben, aber sie können nicht alles kompensieren. Sie haben weder eine pädagogische noch didaktische Ausbildung. Es gibt Lehrer, manche von ihnen sind auch Klassenvorstände, die lediglich eine Matura vorweisen können.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Lehrermangels?
Witzemann: Die ist sehr besorgniserregend. Frustrierend ist, dass wir schon seit über zehn Jahren davor warnen. Alle haben gewusst, dass die Pensionierungswelle kommen wird. Die Politik handelt erst, wenn der Hut lichterloh brennt. Man muss sich vorstellen: Bis vor kurzem hat sogar der Leiter der Pädagogischen Hochschule in Feldkirch keinen Lehrermangel gesehen.

Willi Witzemann befürchtet eine Qualitätskatastrophe ain den Pflichtschulen. <span class="copyright">Hartinger</span>
Willi Witzemann befürchtet eine Qualitätskatastrophe ain den Pflichtschulen. Hartinger

Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Witzemann: Die Politik hat total versagt. Sie handelt sehr kurzfristig, bedient die Wähler und lässt die großen Konzepte lieber in der Schublade liegen. Dabei hat Österreich eines der teuersten Bildungssysteme der Welt. Unglaublich, wie hier die Ressourcen verschwendet werden. Der derzeitige Unterrichtsminister ist überhaupt die größte Witzfigur und sicherlich einer der schwächste Minister der zweiten Republik.

Gibt es schon eine Prognose für nächstes Schuljahr?
Witzemann: Im Volkschulbereich wurden 195 Stellen ausgeschrieben. Auf die Hauptausschreibung haben sich 107 Bewerber gemeldet. Das heißt, es wären 88 Stellen unbesetzt. Von den 107 Bewerbern haben nur 30 ein abgeschlossenes Lehramtsstudium. Es gilt jetzt, schnell und massiv zu handeln. Das, was bis jetzt passiert ist, ist viel zu wenig.

Nach erster Bewerbungsrunde noch 129 Stellen offen

Die Zahlen sind ganz aktuell und zeigen schwarz auf weiß, wie groß der Lehrermangel im Land ist. Laut den der NEUE vorliegenden Informationen wurden im Pflichtschulbereich insgesamt 321 Stellen ausgeschrieben, beworben haben sich 192 Personen. Das bedeutet, dass aktuell noch 129 Stellen unbesetzt sind. Es läuft zwar noch eine Nachtragsausschreibung, allerdings – so sagen Insider – sind in der zweiten Runde nicht mehr allzu viele Bewerbungen zu erwarten.

Ein besonders großes Loch tut sich in der Primarstufe (Volks- und Sonderschulen) auf, wo auf 196 ausgeschriebene Stellen nur 107 Bewerber kommen. Den größten Teil machen Quereinsteiger aus (52). Ein abgeschlossenes Lehramtsstudium können nur 30 Personen vorweisen, 25 Bewerber befinden sich im fortgeschrittenen Studium. Die Zuteilung der künftigen Pädagogen dürfte herausfordernd werden, denn die Bewerbungen konzentrieren sich auf einige wenige Schulen.

Im Sekundarbereich (Mittelschulen, Polytechnische Schulen) waren insgesamt 126 ausgeschrieben, 41 Stellen sind noch vakant. Hier haben weniger als die Hälfte der Bewerber (40) ein abgeschlossenes Lehramtsstudium.

Was unternimmt die Bildungsdirektion jetzt?
Witzemann: Zunächst will man jene Kollegen, die eine verminderte Lehrverpflichtung haben, fragen, ob sie nicht einige Stunden mehr unterrichten können. Es sollen auch pensionierte Lehrerinnen und Lehrer angefragt werden und natürlich wird das Werben in anderen Ländern verstärkt weitergeführt.

Auch Direktoren werden gesucht. Wie schaut die Situation hier aus?
Witzemann: Es waren 27 Leiterstellen ausgeschrieben. Für neun hat sich niemand beworben. Damit ist jede dritte ausgeschriebene Stelle vakant. Da muss man jetzt bitten und betteln gehen.

Warum gibt’s da so wenig Interesse?
Witzemann: Der Administrationsaufwand ist viel zu groß und das Gehalt spielt natürlich auch eine Rolle. Ein Lehrer, der fünf Überstunden macht, bekommt fast gleich viel Gehalt wie ein Schulleiter, der die volle Verantwortung über die Schule hat.

Witzemann im NEUE-Gespräch. <span class="copyright">hartinger</span>
Witzemann im NEUE-Gespräch. hartinger

Wie lauten Ihre Forderungen an die Politik?
Witzemann: Die Ausbildungszeit muss verkürzt werden und die Gehälter müssen über einen Teuerungsausgleich massiv angehoben werden. Solange das nicht passiert, wird sich die Situation nicht ändern. In Bayern, Baden-Württemberg, der Schweiz und in Liechtenstein werden ebenfalls viele Lehrerinnen und Lehrer gesucht. Und überall wird wesentlich mehr bezahlt als bei uns, weshalb heimisches Lehrpersonal abwandert. Allerdings sage ich da immer dazu, dass eine Anstellung, beispielsweise in der Schweiz, im Fünf-Jahres-Vergleich nicht unbedingt lukrativer ist. Es gibt keinen 13. und 14. Gehalt, die Stundenanzahl ist wesentlich höher und sie haben andere Ferienzeiten wie bei uns.

Was würde noch helfen abseits vom höheren Gehalt?
Witzemann: Wenn Lehrer und Direktoren keine administrativen Tätigkeiten mehr übernehmen müssten und sich ausschließlich um die Pädagogik kümmern könnten. Da kommt nämlich ganz schön viel zusammen. Für manche Direktoren gibt es jetzt zwar eine gewisse administrative Entlastung, aber das ist insgesamt noch viel zu wenig.

Unternimmt die für Bildung zuständige Landesstatthalterin Barbara Schöbi-Fink (ÖVP) genug gegen den Lehrermangel?
Witzemann: Sie könnte wesentlich mehr tun. Sie sagt immer, dass sie Verhandlungen führe. Offenbar kann sie aber nichts bewirken. Das müsste ihr zu denken geben. Meiner Meinung nach muss auch der Landeshauptmann in die Pflicht genommen werden. Markus Wallner hält sich bisher fein aus dem Thema heraus. Er ist der Chef der Landesregierung und hätte schon längst auf den Tisch klopfen und den Geldhahn aufdrehen müssen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Gerne würde ich ihn fragen, wie ‚wertvoll‘ die Kinder wirklich für ihn sind?

Willi Witzmann sieht Landeshauptmann Markus Wallner und Landestatthalterin Barbara Schöbi-Fink in der Pflicht. <span class="copyright">VLK</span>
Willi Witzmann sieht Landeshauptmann Markus Wallner und Landestatthalterin Barbara Schöbi-Fink in der Pflicht. VLK

Welche Folgen hat der Lehrermangel auf die Arbeitsbelastung der verbliebenen Lehrkräfte?
Witzemann: Einige Kolleginnen und Kollegen sind krank geworden, können nicht mehr schlafen, fühlen sich nicht mehr im Stande, den Berg Arbeit zu bewältigen. Wenn man einmal im Burn-Out ist, dann dauert das eine Zeit, bis man wieder gesund wird. Deshalb ist es für mich unverständlich, dass Karenzanträge betroffener Kollegen von der Bildungsdirektion nicht genehmigt wurden und sie stattdessen aufgefordert wurden, in den Krankenstand zu gehen. Das ist absolut unverständlich, nicht empathisch und schon gar nicht wertschätzend. Wenn ich kündigen muss, um mich erholen zu können, überlege ich es mir zweimal, ob ich danach wieder zu diesem ‚Verein‘ zurückkehre.

Können Sie den Lehrerberuf denn noch guten Gewissens empfehlen?
Witzemann: Auf jeden Fall. Es gibt nichts Schöneres als mit Kindern zu arbeiten. Es ist eine interessante, kreative und abwechslungsreiche Tätigkeit, kein Tag ist wie der andere und was gibt es Schöneres, als einem Kind ein Lächeln ins Gesicht zu malen. Diese Möglichkeit hat man im Lehrberuf fast jeden Tag.

Aber unter diesen die Rahmenbedingungen ….
Witzemann: ….ist es schwierig, ja. Es ist jedoch immer wieder erstaunlich, wie gut die Teams in den Schulen zusammenhalten. Dort, wo das Team funktioniert, funktioniert auch der Unterricht. Aber man kommt da eben sehr schnell an seine Grenzen.

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