Was 40 Direktoren nun fordern

Die Zuteilung von Assistenzstunden für Kinder mit besonderem Bedarf fällt heuer deutlich geringer aus als beantragt. Mit einer Unterschriftenaktion wehren sich die Schuldirektoren Bernd Dragosits, Christoph Wund und 40 andere Schulleitungen dagegen.
Damit der Alltag einer Lehrperson zum Stresstest wird, muss gar nicht erst viel passieren. Arbeiten korrigieren, ausgefallene Stunden supplieren, Pausenaufsicht, als auch kleinere und größere Notfälle gehören zum Schulalltag wohl oder übel dazu.
Wenn dann allerdings noch Kinder mit besonderen Bedürfnissen, wie beispielsweise Autismusspektrumsstörungen, kognitiven Beeinträchtigungen, oder Traumata hinzukommen, wird der Alltag nahezu unbewältigbar.
Für solche Gegebenheiten stehen Pflichtschulen sogenannte Assistenzlehrpersonen zur Verfügung.
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Diese Stellen werden vom Land Vorarlberg evaluiert und dann je nach Bedarf bereitgestellt. Dabei beantragt die Schulleitung die notwendigen Assistenzstunden. Das geschieht auf Basis von Gutachten, zum Beispiel von Kinder- und Jugendpsychiatern oder dem IFS. Eine Beratungslehrperson der Bildungsdirektion ermittelt gemeinsam mit dem Lehrerteam dann den konkreten Bedarf an Assistenzstunden an der jeweiligen Schule. Die Bildungsdirektion entscheidet dann schlussendlich, wie viele Stunden tatsächlich zugeteilt werden.
Assistenzstunden gibt es erst seit rund zwei Jahren, aus diesem Grund wurden sie bisher noch nie angepasst. Die erste Anpassung erfolgte vor Kurzem und stieß bei vielen Pflichtschuldirektorinnen- und Direktoren des Landes auf Unverständnis.
Nachwirkungen von Corona
So schildert Bernd Dragosits, Direktor der Volksschule Wolfurt Bütze, beispielsweise: „Ich hatte dieses Jahr 30 Assistenzstunden zur Verfügung und habe für kommendes Schuljahr um 60 Stunden angesucht.“ Diese Zahl sei aufgrund steigenden Bedarfs notwendig, wie der Schulleiter erklärt.

„Wir erleben aktuell eine massive Entwicklung der Kinder. Einzelne haben gerade einen schweren Schub ihrer Beeinträchtigung, außerdem bekommen wir laufend neue Kinder aus dem Kindergarten, die in die Volksschule kommen, die ebenfalls bereits gestellte Diagnosen haben. Der Autismus ist beispielsweise viel stärker ausgeprägt als noch vor einiger Zeit.“
„Wir hatten wirklich wenig Zeit für unser Vorhaben, so kurz vor Schulschluss.“
Bernd Dragosits, Direktor
Auch die Nachwirkungen der Coronapandemie würden bei Kindern immer häufiger eine Rolle spielen.
Die angesuchten 60 Assistenzstunden wären ohnehin noch zu wenig gewesen, aber er hätte damit arbeiten können, meint der Direktor. Nach einem Anruf der Bildungsdirektion sah jedoch schlagartig alles ganz anders aus. Dragosits sollten lediglich 18 Betreuungsstunden für das kommende Schuljahr zugesagt werden. „Niemand stellt den Vorwurf in den Raum, dass die Stunden gekürzt wurden. Es werden lediglich die wenigen, vorhandenen Stunden auf mehr Standorte aufgeteilt. Das sind Zahlenspielereien.“ Nach Rücksprachen und Diskussionen wurden ihm schließlich 31 Stunden zugesagt.
“Wir hatten wenig Zeit”
Aus diesem Grund begann er, gemeinsam mit Christoph Wund, Direktor der Volksschule Kirchdorf in Lustenau, aktiv zu werden. „Nachdem der neue Stundensatz bekanntgegeben wurde, habe ich sehr viele Anrufe und E-Mails erhalten, in denen die Direktorinnen und Direktoren anderer Schulen mich fragten: Geht es dir genauso? Das ist doch ein Wahnsinn“, schildert Dragosits.

Also lud er gemeinsam mit Wund rund 40 Schulleitungen zu einem gemeinsamen Treffen ein. Während der Diskussionen fiel dann der Entschluss, eine Petition zu starten.
Kurz erklärt
60 Assistenzstunden hatte Bernd Dragosits für das kommende Schuljahr angesucht. Letztes Schuljahr arbeitete er mit 30 Stunden, also der Hälfte. Zugesagt wurden ihm lediglich 18 Stunden für das kommende Schuljahr.
„Wir hatten wirklich wenig Zeit für unser Vorhaben, so kurz vor Schulschluss“, erinnert sich Dragosits. Doch das Projekt wurde, auch wenn nicht viel Zeit dafür blieb, schlussendlich zum Erfolg.
Gemeinsame Übergabe
In nur einer Woche kamen über 2175 Unterschriften zusammen, die vollständig gesammelte Liste konnten Dragosits und Wund am Donnerstag gemeinsam mit anderen Lehrerkollegen an Landesrätin Barbara Schöbi-Fink übergeben. „Es war ein sehr nettes Gespräch, die Landesrätin hat viel Verständnis für unser Anliegen gezeigt und wir sind auf offene Ohren gestoßen.“ Schöbi-Fink habe das Thema „sehr wohl verstanden“.

Die Angelegenheit werde nächsten Herbst noch einmal evaluiert, für das kommende Schuljahr müssen die Lehrpersonen allerdings mit dem jeweiligen Stundensatz zurechtkommen.
Ein unbestrittenes Problem
Seitens des Büros von Schullandesrätin Barbara Schöbi-Fink heißt es gegenüber der NEUE am Sonntag, das Stundenkontingent für das kommende Schuljahr sei sogar um 15 Prozent erhöht worden. „Es ist unbestritten, dass die Herausforderungen der einzelnen Kinder komplexer werden, diesen kann aber allein mit einer Erhöhung von Stundenressourcen nicht mehr adäquat begegnet werden“, so die Landesrätin. Da sie bereits von Lehrpersonen kontaktiert wurde, sei es ihr ein Anliegen, sich um eine praxisnahe Lösung zu bemühen.
“Es ist unbestritten, dass die Herausforderungen der einzelnen Kinder komplexer werden, diesen kann aber allein mit einer Erhöhung von Stundenressourcen nicht mehr adäquat begegnet werden.”
Barbara Schöbi-Fink, Schullandesrätin
Neben der Ausbildung und dem Einsatz von beratenden Fachpersonen seien daher von den zuständigen Abteilungen des Landes Prozesse zu den Themen psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen, therapeutische Unterstützung im Schulbereich und den Herausforderungen in der pädagogischen Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit massiven in Gang gesetzt worden.

Bereits bei der Unterschriftenübergabe konnte demnach ein konkreter Lösungsvorschlag angebracht werden: „Es soll im neuen Schuljahr gemeinsam mit der Bildungsdirektion, der Schulassistenzförderung GmbH, sowie Vertretenden aus dem Kreis der Schulleitungen, eine vertiefte Analyse der aktuellen Ressourcensituation erfolgen. Ziel ist es, gemeinsam Lösungsvorschläge zu erarbeiten.“
Herzensangelegenheit
Für Dragosits ist dieses Thema eine Herzensangelegenheit, wie er erklärt. „Ich brauche die ganze Aufmerksamkeit, die dieses Thema jetzt auf sich gezogen hat, nicht. Es geht nicht um meine Einzelinteressen, es geht um die sehr realen Bedürfnisse der Kinder. Ich bin überzeugt, dass dieser Schritt für die Kinder wichtig ist.“ Er sieht im Fehlen von Assistenzstunden außerdem eine Gefahr für Junglehrerinnen und Junglehrer. Der Berufseinstieg dürfe nicht zur Überforderung werden.
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„Wenn Lehrpersonen, denen ohnehin noch Erfahrung in diesem schwierigen Beruf fehlt, mit Kindern konfrontiert sind, die während des Unterrichts Tische umwerfen, Klassenkameradinnen- und Kameraden verletzen, oder die Toilette mit Kot beschmieren, und sie bei der Betreuung dieser Kinder keine Unterstützung bekommen, werfen sie den Job nach einem Jahr wieder hin, oder enden im Burnout.“ Es sei infrage zu stellen, ob man sich solche Entwicklungen wünschen würde. Obwohl er mit dem Zeugnistag am Freitag seinen Ruhestand angetreten hat, wird ihn dieses Herzensthema wohl noch eine ganze Weile begleiten.