Kultur

Mit Silberschatz ins Verderben

28.07.2025 • 13:23 Uhr
Jukka-Pekka Saraste - Wiener Symphoniker
Lins

Die Bregenzer Festspiele wagen sich mit „Kullervo“ an ein sinfonisches Epos von seltener Düsternis. Jean Sibelius schildert in seiner ersten großen Orchesterarbeit einen Mythos voller Schuld und Tragik.

Was für eine tragische Geschichte und welch glühende Musik! Im zweiten Festspiel-Orchesterkonzert tauchten die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Jukka-Pekka Saraste in die Geschichte des „Kullervo“ und die Deutung durch den jungen Jean Sibelius ein: die Männerstimmen dreier Chöre vereinten sich zu einem homogenen Klangkörper, der die Funktion des Erzählers übernahm, die Sopranistin Marjukka Tepponen und der Bariton Ville Rusanen brachten die tragische Geschichte des Geschwisterpaares nahe, der international tätige Dirigent führte Chöre und Orchester in diese hierzulande nur wenig bekannten Klanglandschaften.

Jukka-Pekka Saraste - Wiener Symphoniker
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Sagenwelt

Das finnische Nationalepos Kalevala ist, entsprechend zu den germanischen, griechischen oder römischen Heldensagen, die Quelle für vielerlei mythische Erzählungen, die in der nordischen Sagenwelt verankert sind. Eine davon stellt Kullervo, den „Knaben mit den blauen Strümpfen, den goldgelockten Haaren und den hübschen Lederschuhen“ dar (so beschreibt ihn der Chor in einer Art von Refrain): Wie Ödipus wird auch Kullervo unwissentlich schuldig, indem er ein Mädchen verführt und erst danach erfährt, dass sie seine Schwester ist. Beide nennen sie sich Unglückskinder ihres Vaters Kalerwo. Nach der Vergewaltigung durch Kullervo bringt sich das Mädchen um und auch Kullervo stürzt sich am Ende der Symphonie in sein eigenes Schwert.

Dämonische Farben

Die Symphonie aus dem Jahr 1892 mit zwei Solostimmen, Männerchor und großem Orchester wird auch als die „Nullte“ von Sibelius bezeichnet, der bekanntlich sieben weitere Symphonien folgten. Stellt der erste Satz vielleicht den Charakter des Knaben dar, so erzählt der zweite Satz voller Heiterkeit mit schönen Holzbläsersoli und zarten Streichern von einer unbeschwerten Jugend und dramatischen Verwicklungen. Der dritte Satz schildert die unheilvolle Begegnung von Kullervo und seiner Schwester. Zwei kurze Dialoge mit anderen Mädchen, die ihn verfluchen und abblitzen lassen, spiegeln den Draufgänger Kullervo, das dritte Mädchen lockt er mit Gold und Silberschätzen in seinen Schlitten: der sanft blühende Lockruf der Oboe trifft auf grelle Orchesterexplosionen. Wenn die (namenlose) Schwester von ihrer Kindheit erzählt, als sie sich beim Beerenpflücken im Wald verirrte, stimmen die Holzbläser mit ein, Furcht und Hoffnungslosigkeit spiegeln sich in der raunenden Orchestersprache, von der sich die klare und anrührende Stimme von Marjukka Tepponen fein abhebt. Heftig sind die Schlagzeuggewitter und Orchesterschläge, wenn Kullervo mit seinem Schicksal hadert und der Bariton Ville Rusanen diese Partie mit dämonischen Farben und großer Intensität verkörpert.

Jukka-Pekka Saraste - Wiener Symphoniker
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Interessant ist, dass der Chor die Funktion des Erzählers übernimmt: meistens schlicht deklamierend, fächert sich der Klang erst im letzten Satz vielstimmig auf. Der von Pasi Hyökki geleitete YL Male Voice Choir aus Helsinki, der am Freitag auch in der Herz-Jesu-Kirche konzertiert hatte, bildet die größte Gruppe, mit den Herren des Bregenzer Festspielchors (Einstudierung Benjamin Lack) und des Prager Philharmonischen Chors (Lukáš Kozubik) ergibt sich eine klangschöne, dynamisch flexible, homogene Gruppe von rund 80 Sängern, die dem klaren und intensiven Dirigat von Jukka-Pekka Saraste folgen.

Finnlands inoffizielle Nationalhymne

Zwei Werke umrahmten das farbenreiche Stück von Sibelius: sorgte der 1972 geborene finnische Komponist Sebastian Fagerlund in „Drifts“ mit dunklen Glockenschlägen, Schicksalsklängen, Glissandi und aufgeregter Kleinteiligkeit für Krimispannung am Sonntagvormittag, so setzte „Finlandia“, die inoffizielle Nationalhymne Finnlands, den ebenso dramatischen wie feierlichen Schlusspunkt. 1892 zur Unterstützung der Unabhängigkeitsbestrebungen von Russland komponiert, ist das Stück, so der Dirigent in einer kurzen Ansage, immer noch bestechend aktuell. Die Wiener Symphoniker und der wunderbare finnische Chor verbündeten sich unter Sarastes inspirierender Leitung zu einem vielstimmigen Ganzen.

Katharina von Glasenapp