„Jeder muss seinen eigenen Weg finden“

INTERVIEW. Vor wenigen Tagen hat die Karateka Bettina Plank ihre erfolgreiche Karriere beendet. Im zweiten Interview-Teil blickt die 33-jährige Feldkircherin auf ihren Weg zu den Spielen in Tokio im Sommer 2021 zurück, der eine Hochschaubahn der Gefühle für sie war. Plank spricht über Unsicherheit, Zweifel und darüber, was ihr die Kraft gegeben hat, sich im Nippon Budokan in Tokio mit ihrem Bronzegewinn unsterblich zu machen.
Wir haben im ersten Gesprächsteil über Ihren Weg an die Weltspitze gesprochen, darüber, wie Sie 2015 in Linz Ihr Training professionalisiert haben und auf Anhieb Europameisterin wurden. Wir sprachen auch über das intensive Training und die vielen Auslandsreisen. Die coronabedingte Wettkampfpause im Jahr 2020 ist für Sie zu gar keinem so unpassenden Karriere-Zeitpunkt gekommen, da Sie, ausgebrannt ist vielleicht das falsche Wort, aber doch ausgelaugt von der hohen Intensität waren, auf die Sie sich als Karateka eingelassen haben?
Bettina Plank: Doch, doch, ausgebrannt ist das richtige Wort. So eigenartig es klingen mag, aber ich hätte mir 2020 nichts Schöneres vorstellen können, als dass alles mal stillsteht: Dass ich daheim sein kann, dass wir keine Reisen haben, dass ich durchschnaufen kann. Auch wenn es noch ungewiss war, ob die Olympischen Spiele von Tokio überhaupt stattfinden oder nicht. Aber für mich war die Zeit tatsächlich erholsam, in der Wohnung eingesperrt zu sein.
Je erholender die Coronazeit war, umso härter war dann für Sie der Wiedereinstieg ins Wettkampfgeschehen im Frühjahr 2021: Sie hatten, unmittelbar bevor es wieder losging, Corona. Die Rückkehr entwickelte sich aber nicht nur deshalb körperlich und mental zu einer riesigen Herausforderung für Sie?
Plank: Corona hat mich körperlich viel härter mitgenommen, als ich es vermutet hatte. Psychisch war ich während der Wettkampfpause in einem fast schon tiefenentspannten Zustand, ich konnte auch wieder gut schlafen. Aber die Rückkehr zum Trubel, zurück zum anderen Extrem war wirklich hart. Ich habe nie mehr ganz zurückgefunden zu der Form, die ich vor der Coronapause hatte. Vor Corona war ich wirklich eine der Allerbesten und bin auch vom Mindset her extrem fokussiert gewesen. Im Frühjahr 2021 standen noch zwei oder drei Qualifikations-Wettkämpfe für Tokio an, bei denen ich meine Leistung nicht abrufen konnte. Das war eine riesige Enttäuschung für mich, weil ich nicht mehr die Athletin war, die ich davor war.
Sie haben damals in Ihrer Kolumne gemeint: Wenn ich beim letzten Qualifikationsturnier in Paris meine Leistung nicht auf die Matte bringe, nachdem ich davor schon bei der EM und bei einem Weltcup in der ersten Runde rausgeflogen bin, dann habe ich in Tokio nichts verloren. So ehrlich muss man sein. Diese Offenheit und nüchterne Selbsteinschätzung waren beeindruckend.
Plank: Da sieht man mal, wie weit weg ich von dem Selbstvertrauen war, das du als Athletin für Top-Leistungen benötigst. Während einer normalen Vorbereitungsphase wusste ich, was ich zu tun hatte, um den Sollpunkt zu erreichen. Ich wusste: So viel Vorbereitungswettkämpfe und diese Platzierungen brauche ich, um so viel Selbstvertrauen zu haben, dass ich am Tag X die beste Version von mir auf der Matte bringe. Aber von dieser Sicherheit war nach der Coronawettkampfpause nichts mehr übrig bei mir, ich hatte kein Gespür dafür, wie ich mich nach der langen Pause in Form bringen konnte. Das habe ich damals in der Kolumne ehrlich zum Ausdruck gebracht.
Sie haben damals ja tatsächlich überlegt, ob Sie den Quotenplatz für Tokio annehmen sollten?
Plank: Definitiv. Nach dem Qualifikationsturnier in Paris hatte ich die Gewissheit: Ich bin nicht qualifiziert. Es war eine unglaubliche Erleichterung für mich, endlich eine Antwort zu haben, ja oder nein, bin ich bei Olympia dabei oder nicht? Weil das mich und uns alle in meinem Team sehr intensiv über eine sehr lange Zeit beschäftigt hat. Für Außenstehende mag das fast unbegreiflich sein, aber es war mir im ersten Moment fast egal, dass ich es nicht geschafft hatte. Ich dachte: Dann ist es halt so. Es ist so viel Druck von mir abgefallen, ich konnte in der Nacht danach endlich wieder gut schlafen. Am nächsten Tag war schon wieder alles anders, da habe ich dann die Info gekriegt, dass ich wahrscheinlich den Quotenplatz bekomme. Anfangs konnte ich mich darüber überhaupt nicht freuen, ich habe mich eher überfordert gefühlt, weil ich mich dem großen Ziel Olympische Spiele nicht gewachsen gefühlt habe. Ich wusste, dass ich ganz, ganz weit weg bin vor den Spitzenleistungen, die es braucht, um bei Olympia zu bestehen. Da war eine Angst in mir, bei den Spielen zu versagen und nicht die Kämpferin sein zu können, die ich sein möchte. Dieses Gefühl war ganz dominant.
Das Erstaunliche ist, dass Ihnen der komplette Turnaround gelungen ist: Wir haben damals wenige Tage vor Ihrem olympischen Wettkampf für ein Interview telefoniert, Sie absolvierten gerade ein Trainingslager in Kameoka, etwa 400 Kilometer von Tokio entfernt, und sagten: „Dabei sein schön und gut, aber das reicht nicht“.
Plank: Dadurch, dass ich den Quotenplatz hatte, waren meine Gefühle sehr gemischt. Ich hatte irgendwie nicht das Gefühl, dass ich es verdiene, dabei zu sein – und irgendwie fühlte es sich doch wieder verdient an. Ich wollte auf der Matte beweisen, dass ich zu recht bei den Spielen bin, aber es wäre Utopie für mich gewesen, von einer Medaille zu sprechen.
Wobei Sie indirekt durchaus eine Medaille ins Visier nahmen. Sie sprachen davon, mit Ihrer eigenen Leistung die Basis für einen erfolgreichen Wettkampf legen zu wollen – wortwörtlich meinten Sie: „Man ist nie in der Position, sagen zu können: Ich gewinne ganz sicher eine Medaille. Dafür muss immer alles zusammenpassen, man muss bei sich selbst sein, und auch alle anderen, nicht beeinflussbaren Faktoren müssen stimmen.“
Plank: Ich wusste, welche Athletin ich in Tokio sein will, wie ich performen möchte. Ich habe auch gewusst, was für ein Gefühl ich haben möchte. Ich wollte dieses ganz spezielle Wettkampfgefühl, das ich davor schon so lange nicht mehr hatte. Wenn man im Moment ist – man blendet alles andere aus und kann auf der Matte alles antizipieren. Wir Sportler nennen das den Flow-Moment. Diesem Gefühl läuft man als Athlet immer nach, man will diesen Zustand unbedingt erreichen, weil dann alles leicht und natürlich wird: Man bekommt einen unbeschreiblichen Adrenalinkick. Die Sekunden kommen einem dann wie Minuten vor, dadurch kannst du auf alles reagieren, was passiert. Diesen Zustand habe ich im Nippon Budokan erreicht, das war für mich das Schönste und Wichtigste überhaupt an dem Wettkampf.

Sie haben mir damals im Interview erzählt, dass Sie eines Tages auf dem Weg vom Hotel zur Trainingshalle bei einem Tempel einen Stopp gemacht haben und den Tempel besichtigten.
Plank: Was wir aufgrund der Coronaauflagen eigentlich nicht dürfen hätten. (lächelt) Aber der Tempel war menschenleer, also sind wir hineingegangen. Ich bin in manchen Sachen vielleicht auch ein bisschen spirituell, ich weiß es nicht. Jeder von uns hat damals für uns gebetet. Es war ein schöner Moment. Man kann es so schwer beschreiben, aber das, was ich dort im Tempel erfahren durfte, oder allgemein wie viel positive Energie ich von Leuten in Japan bekommen habe, die ich überhaupt nicht kannte, hat mir so viel Kraft gegeben.
Damit meinen Sie auch die Hotelangestellen?
Plank: Ja. Wir durften uns während unseres Trainingslagers nur auf unserem Hotelgang aufhalten. Die Hotelangestellten haben uns aber so liebevoll umsorgt und waren so nett und so verständnisvoll, dass es auf gewisse Weise fast schon ein spirituelles Erlebnis war. Gleichzeitig hat es sich wie Big Brother angefühlt, so eng wie wir da zehn Tage zusammengepfercht waren. Unter normalen Umständen hätten wir das niemals durchgezogen, aber durch Olympia wurde das Ganze zu einem Erlebnis.
Machen wir einen Sprung zum olympischen Wettkampf. Ihr Einzug ins Halbfinale und damit der Medaillengewinn hing vom Ausgang des letzten Gruppenkampfs der Ukrainerin Anzhelika Terliuga und der Japanerin Miho Miyahara ab. Wie haben Sie diese Augenblicke erlebt?
Plank: Puuh, diesen Moment werde ich nie vergessen. Als ich meinen letzten Kampf hinter mir hatte, fragte ich meinen Trainer, wie es denn jetzt ausschaut für mich. Juan Luis meinte, er weiß es nicht. Daraufhin habe ich gesagt: Wieso wissen wir das nicht, das kann doch gar nicht sein? Dann hat er mir erklärt, dass es vom Ausgang des letztens Kampf abhängt, es durfte, glaube ich, nur nicht 0:0 ausgehen. Ich weiß noch, dass mir das so unlogisch vorkam. Von außen kann man sich das gar nicht vorstellen, wie man in so einer Situation als Athletin unter Strom steht. Dann sagte Juan Luis plötzlich, dass es gut ausschaut.
Wie ging es dann weiter?
Plank: Für Zweifel, ob das alles so stimmte, blieb gar keine Zeit, weil alles so schnell ging. Ich war in der Medienzone und musste während des Kampfs von Terliuga und Miyahara ein Interview geben. Witzigerweise wurde ich dabei gefragt, ob ich weiter bin. Irgendwie schien niemand den Überblick zu haben.
Als Ihr Trainer dann gesagt hat: Betti, du bist im Halbfinale, du hast eine Medaille, war Ihre Antwort: „Ich glaub’ es noch nicht, ich glaube es nicht.“ Wann haben Sie es geglaubt?
Plank: Sie erzählen das so authentisch, als ob Sie neben mir gestanden hätten. (lächelt) Genau so war es. Ich sagte: Ich glaube es noch nicht, ich glaube es nicht! Er war sich zwar sicher, aber ich wollte mich nicht zu früh freuen. Ich habe dann gesagt: Ich glaube es erst, wenn auf der Ergebnistafel bei meinem Namen „qualified“ steht. Erst, wenn ich das sehe, erlaube ich mir zu jubeln. So ähnlich war auch die Situation, als mein Trainer gesagt hat, du hast fix den Quotenplatz für Tokio. Auch da sagte ich: Bei allem Vertrauen, ich glaube das erst, wenn der offizielle Brief vom Weltverband da ist. Ich dachte, warten wir erst mal ab, am Ende hast du dich vielleicht verrechnet, das ist wahrscheinlich so eine Art Schutzmechanismus. Aber er hatte zum Glück beide Male recht.
Dann leuchteten auf der Ergebnistafel die Halbfinalisten auf, Ihr Name stand drauf – damit hatten Sie eine Medaille. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Moment?
Plank: Es war wirklich unbeschreiblich schön. Ich habe noch nicht so recht gewusst, wie ich mit meinen Gefühlen umgehen soll. Juan Luis hat sogar einen kurzen Moment für sich allein sein müssen. Das war so unglaublich! Das war echt so absurd für mich, zu wissen, wow, eine Medaille ist fix! Und im gleichen Moment musste ich meine Emotionen zurückhalten, denn der Wettkampf ging ja weiter, und für mich war klar: Ich möchte weiterhin einen guten Job machen. Es ist noch nicht vorbei. Dadurch bin ich recht schnell wieder relativ gefasst gewesen.

Um die Leser mitzunehmen: Bis zum Halbfinalkampf dauerte es etwa eine Stunde?
Plank: Genau. Mein Trainer war so stolz. Als ich in die Trainingshalle zu meiner Sparringpartnerin und meiner Physiotherapeutin gekommen bin, waren die außer sich vor Freude, ich musste sie dämpfen. Ich sagte: Ich freu’ mich ja auch, aber es geht weiter!
Konnten Sie den Fokus halten?
Plank: Ich war fokussiert, aber meine Halbfinalgegnerin Ivet Goranova war unglaublich stark bei den Spielen. Sie hat so dominiert, da habe ich gemerkt, dass ich körperlich unterlegen bin.
Darüber haben wir ja noch gar nicht gesprochen, dass bei den Olympischen Spielen die Gewichtsklassen 50 und 55 Kilogramm zusammengelegt wurden. Sie kämpften eigentlich in der 50-Kilogramm-Klasse, Ivet Goranova war eine der vielen Vertreterinnen der 55-Kilogramm-Klasse.
Plank: Sie sagen es, und so ging es dann schnell dahin: 1:0, 2:0, 3:0, sie hatte einfach so viel Körpermasse, der ich kaum standhalten konnte. Aber ich bin ruhig geblieben und habe es geschafft, in den Kampf hineingefunden – ich konnte sogar noch ausgleichen. Am Ende habe ich 3:4 verloren, aber Ivet war eine Stärke für sich und ist dann auch verdient Olympiasiegerin geworden. Auch das gehört zum Karate dazu, die Leistung der anderen anzuerkennen. Sie war an dem Tag die Beste. Ich würde sagen, ich habe es trotzdem im Halbfinale recht gut hingekriegt, es macht mich stolz, dass ich noch ausgleichen konnte.
Sie haben mir mal erzählt, dass Sie nach der Pressekonferenz, die im Anschluss an die Medaillenübergabe stattfand, im Olympischen Dorf zu den Ringen sind, sich auf die Wiese legten und in den Sternenhimmel schauten.
Plank: Das war so um zwei Uhr nachts. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, ich glaube, ich habe sogar auch die nächste Nacht nicht geschlafen, weil so viel in mir vorgegangen ist. Als ich auf der Wiese gelegen bin, hatte ich den ersten Moment für mich, um durchzuatmen und zu sagen: Es ist Realität, ich habe es geschafft. Zu spüren: Okay, ich liege jetzt da auf der Wiese im Olympischen Dorf, ich bin in Tokio, der Wettkampf ist vorbei.
Womit wir wieder bei der Erleichterung darüber wären, dass der Druck endlich abperlt. Man kann sich das als Außenstehender wirklich nicht vorstellen, wie schwer der Druck auf den Schultern und auch dem Gemüt liegt. Trotzdem drängt sich mir noch eine Frage auf: Wie wichtig war es Ihnen, dass Sie bei den European Games noch ein Mal Gold gewonnen haben? Und damit ein für alle mal allen Leuten zu zeigen, das in Tokio war kein Zufall?
Plank: Diese Bestätigung war für mich persönlich so wichtig. Ich wollte bei diesen Europaspielen aber schon deshalb unbedingt dabei sein, weil die European Games für mich immer eine besondere Bedeutung hatten. Ich habe die Aufmerksamkeit sehr geschätzt, die wir bei den Europaspielen bekamen.
Europaspiele sind Wettkämpfe europäischer Staaten mit olympischem Charakter.
Plank: Genau. Das Umfeld war bei Europaspielen immer sehr positiv, wie man mit uns Athleten oder größer gesprochen, mit dem ÖOC-Team umgegangen ist.
Gibt es einen Kampf, den Sie gerne noch mal kämpfen würden, sei es zum Nachgenießen oder um den Kampf besser machen zu können?
Plank: (lächelt) Ich muss nicht mehr kämpfen. Ich habe genug gekämpft.
Sind Sie sich bewusst, dass Sie in die Geschichtsbücher eingegangen sind und dass jetzt, wenn junge Menschen dieses Interview lesen oder Ihren Weg verfolgt haben, vielleicht sagen: Ich möchte so wie Bettina Plank werden – ist Ihnen klar, dass Sie ein Vorbild sind?
Plank: Das ehrt mich sehr, wenn mich die jungen Leute tatsächlich so sehen. Ich finde es schön, wenn sie eine Leidenschaft zum Sport haben und bereit sind, einen harten Weg einzuschlagen. Training und Erfolgsstreben ist hart. Es muss ja nicht unbedingt der Leistungssport sein. Aber es ist wichtig, Vorbilder zu haben, bei mir war es ja nicht anders. Ich habe mich auch an Älteren orientiert. Vorbilder sind wichtig als eine Art Leitfigur, aber trotzdem möchte ich dazu sagen, dass jeder Weg individuell ist. Man darf nie sagen, die Bettina Plank hat das so gemacht, also muss das bei mir auch so sein. Da muss jeder seinen eigenen Weg finden.
Bleibt zum Schluss noch die Frage: Wie geht es bei Ihnen weiter?
Plank: Darüber, dass ich schwanger bin, haben wir ja schon gesprochen. Es hat mich zurück in meine Heimat gezogen, ich bin wieder in Vorarlberg. Im Frühjahr geht in Lochau meine Ausbildung weiter, ich habe in Oberösterreich den ersten Teil der Psychotherapie absolviert, jetzt folgt die Ausbildung des Fachspezifikums in der Methode Existenzanalyse. Danach will ich beruflich Fuß fassen. Zum Schluss liegt mir noch am Herzen, dass ich die Gespräche mit Ihnen immer sehr geschätzt habe, weil die Interviews viel tiefer gingen als üblich. Jetzt wartet ein neues Leben auf mich, auf das ich mich schon sehr freue.