Strolz: „FIS ist die Kombi falsch angegangen”

Doppel-Olympiasieger Johannes Strolz (33) im Interview über seine Ausgangsposition vor dem Olympiawinter. Der Warther blickt auch auf die Vorsaison mit der im Qualirennen verpassten Heim-WM zurück.
Wenn Sie Ihr Ich von vier Jahren treffen würden, also den kaderlosen Johannes Strolz, der nicht wusste, ob er in ein paar Wochen noch Skirennläufer ist: Was würden Sie diesem vier Jahre jüngeren Johannes Strolz mit auf den Weg geben?
Johannes Strolz: Das geht ja gleich wieder mit einer Spezialfrage los. (lacht) Man sagt ja, im Nachhinein lässt sich immer recht einfach und g’scheit daherreden, aber ich weiß gar nicht, ob ich meinem jüngeren Ich vom Herbst 2021 so viel raten könnte. Ich war mir damals als kaderloser Athlet schon bewusst, an welchem Punkt meiner Karriere ich mich befunden habe. Ich habe mich aktiv damit auseinandergesetzt, dass ich ganz knapp vor dem Aus stehe, aber, und das war vielleicht ein entscheidender Punkt, ich habe mir auch verdeutlicht, dass ich nach wie vor meine Ziele erreichen kann. Ich würde dem Johannes von 2021 wahrscheinlich raten, dass er an sich und seine Chance glauben soll.
Relativiert aber dieser Perspektivwechsel, diese Erinnerung nicht Ihre aktuellen Herausforderungen: Ja, Sie haben die Heim-WM verpasst, weil Ihnen neben Ihren konstanten Klassierungen zwischen Platz 11 und 15 der eine Top-Platz fehlte, um sich im starken ÖSV-Slalomteam durchzusetzen. Aber Ihre Ausgangslage vor diesem Olympiawinter ist doch um vieles, vieles besser als vor vier Jahren?
Strolz: Da haben Sie natürlich recht, die Ausgangslage ist überhaupt nicht vergleichbar, trotzdem sträube ich mich vor der Einstellung, dass ich locker drauflos fahren kann. Ich habe immer noch sehr hoch gesteckte Ziele, die ich erreichen möchte. Aber im Endeffekt darf ich jetzt, egal was noch kommt, irgendwann einmal aufhören und auf etwas zurückblicken, was eigentlich einmalig ist und was ich mir so eigentlich bei aller Zielstrebigkeit auch gar nicht erwartet hätte. Das ist der eigentliche Unterschied. Wobei auch klar ist, dass du speziell als österreichischer Rennläufer pauschal gesagt drei Ziele hast, die sich jeder steckt, egal, ob er noch Nachwuchsläufer oder schon Weltcupläufer ist: die Ziele sind Olympiagold, WM-Gold und eine Weltcupkugel. Mit anderen Ambitionen hast du beim ÖSV auch gar keinen Platz. Du musst als ÖSV-Läufer liefern, und das willst du auch.

Ziele haben heißt aber freilich nicht, dass man diese Erfolge regelrecht von sich einfordern kann. Denn wenn nach der Karriere nur die Olympiasieger, Weltmeister und Weltcupsieger zufrieden mit ihrer Laufbahn sind, dann wären 99,9 Prozent von sich enttäuscht.
Strolz: So ist es. Der Unterschied zum Herbst 2021 ist natürlich auch, dass ich viel mehr Erfahrung mitbringe, gerade mit Blick auf Olympia. Die Situation jetzt ist klarerweise viel entspannter, weil, um es so auszudrücken, ich schon einige Erfolge auf meinem Konto verbuchen konnte. Wenn man mir vor der Karriere gesagt hätte, dass ich mit zwei Olympiasiegen und drei Olympiamedaillen und mit einem Weltcupsieg aufhören könnte, hätte ich natürlich gesagt: Wo kann ich unterschreiben? Aber jetzt, da ich diese Erfolge gefeiert habe und die Chance auf weitere Erfolge habe, will ich natürlich noch mehr erreichen.
Anmerkung: Hubert Strolz stößt zum Gespräch dazu, begrüßt das NEUE-Team, macht sich dann aber wieder alsbald auf, um in der Stube weiterzuarbeiten.
Sie haben die Heim-WM in Saalbach verpasst. Bei einer WM nicht dabei zu sein, ist schon bitter genug, eine WM im eigenen Land zu verpassen, umso mehr. Wie groß war die Enttäuschung, als Sie das Qualifikationsrennen gegen Dominik Raschner verloren haben?
Strolz: Die war so riesig, dass ich es kaum in Worte fassen kann. So ehrlich bin ich, das hat mir extrem weh getan. Auch wenn ich mich schon im Vorhinein darauf eingestellt habe, dass es ein harter Kampf um die WM-Plätze wird. Ich erwähne das in dem Zusammenhang immer wieder, das habe ich auch schon vor Beginn des WM-Winters gemacht, dass wir ein starkes und breites Slalom-Team haben, bei dem viele Slalomläufer in den vergangenen Jahren starke Ergebnisse erzielt haben. Und weil bei einer Weltmeisterschaft pro Disziplin nur vier Läufer an den Start gehen dürfen, bleiben einige Weltklasse-Läufer auf der Strecke. Das ist das Los beim ÖSV. Davon können viele Athleten und Athletinnen über Jahrzehnte hinweg ein Lied singen. Ich bin im vergangenen Jahr etwas holprig in die Saison gestartet. In Kitzbühel hatte ich dann aber das Gefühl, dass ich richtig gut ins Fahren komme, da hatte ich im zweiten Durchgang die viertbeste Laufzeit. Ich wurde Zwölfter, auf einen absoluten Top-Platz fehlten nur noch ein paar Zehntel. In Schladming hätte ich dann drei Tage später den Sack zumachen können und müssen. Ich war nach dem ersten Durchgang auf Rang zehn, hatte eine gute Position, um vorne anzugreifen, leider bin ich im zweiten Durchgang ausgefallen. Mir war danach unmittelbar klar: Jetzt wird es sehr eng für mich. Cheftrainer Marko Pfeifer entschied sich für eine Quali – und in einem Qualirennen mit vier Läufen gegen Dominik Raschner und Michael Matt weißt du eben, dass alles passen muss. Eigentlich hatte ich den Eindruck, dass die Formkurve für mich spricht, aber ich habe zwei kleine Fehler gemacht in den Ausscheidungsrennen, die mir die entscheidenden Zehntel gekostet haben.

Wie kommt eigentlich bei euch Athleten so ein Qualirennen an – meiner Meinung nach hatten Sie und Michael Matt als Olympiasieger mehr zu verlieren als Dominik Raschner, der zwar 2023 WM-Silber im Parallelrennen gewonnen hat, aber es im Weltcup nur fünf Mal in die Top Ten schaffte?
Strolz: Das Allerbeste an der Quali ist, dass man es als Athlet noch selbst in der Hand hat. Wenn man auf einen Trainerentscheid angewiesen ist, kann man nur noch die Entscheidung abwarten. Von dem her ist eine Quali für einen Athleten grundsätzlich eigentlich etwas Positives. Vorausgesetzt, dass die Qualifikation fair durchgeführt wird. Es muss im Vorfeld klipp und klar sein, in welchem Modus die Quali ausgetragen wird. Da ist ganz wichtig, dass an alle sauber kommuniziert wird: Es müssen alle den gleichen Informationsstand haben. Und dann sollten natürlich vor allem die Bedingungen auf der Piste so perfekt wie möglich sein, damit faire Verhältnisse herrschen. Das ist absolut der Fall gewesen. Die Betreuer haben sich da wirklich extrem bemüht, das war spürbar. Ich weiß aber natürlich, was Sie meinen. Natürlich sind die Ausgangspunkte oftmals verschieden bei einem Qualirennen. Da gibt es Läufer, die ganz knapp einen fixen Startplatz verpasst haben, und andere, die gerade noch so in die Quali reingerutscht sind. Aber du wirst es, so ehrlich muss man einfach sein, nie allen recht machen können. Vor vier Jahren mussten ich und Marc Digruber auch eine Quali für einen Weltcup-Startplatz fahren. Damals war die Quali für uns eine große Chance, bei der unheimlich viel auf dem Spiel stand. Wir zwei Arrivierte mussten gegen zwei junge Wilde fahren, für die diese Quali sicher eine gute Chance war, aber nicht über ihre Karriere entschieden hat. Marc und ich sind dagegen ums sportliche Überleben gefahren. Wenn ich damals die Quali nicht geschafft hätte, wäre ich wahrscheinlich vor dem Rücktritt gestanden. Nur, so unterschiedlich waren die Positionen vor der Quali für die WM in Saalbach nicht, wir drei hatten in der Saison 2024/25 eigentlich fast identische Ergebnisse.
Hannes Mayer: Keine Sorge, ich will Ihnen da keine Brücke bauen und auch keine Legenden bilden, wie Sie es richtig gesagt haben: Sie hatten es selbst in der Hand, sich die Quali zu ersparen. Mir geht es um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Format Qualirennen als Entscheidungskriterium. Ein Trainer sollte doch am besten wissen, welchen Athleten bei einem Großereignis am meisten zuzutrauen ist. Denn ausschließlich anhand von Ergebnissen zu entscheiden könnten doch viele?
Strolz: Ich verstehe den Diskussionsansatz, aber die Kritik von allen Seiten wäre doch sehr groß, wenn der Trainer anhand seines Bauchgefühls entscheidet und die Sache nicht gut ausgeht.
Mayer: Toni Innauer hat im Vorjahr im Gespräch mit Lukas Mähr erzählt, dass er als ÖSV-Sprungtrainer nie Ausscheidungen durchgeführt hat. Er meinte, dass es bequem sei als Trainer zu sagen: Ihr zwei springt euch das aus, ich rechne eure Punkte aufs letzte Komma zusammen, und der Bessere startet, dann bin ich als Trainer aus und draus. Er sei bei der Nominierung teilweise nach Gefühl gegangen, was, wie er eingestand, natürlich beinhart gewesen sei. Aber er meinte wortwörtlich, und darauf will ich hinaus: „Ich kann ja als Trainer nicht ständig alle Verantwortung von mir schieben, sondern muss Entscheidungen treffen. Außerdem habe ich gewusst, wenn ich eine Ausscheidung mache, dann sind alle verkrampft, weil es ja nur um das Minimalziel Startplatz ging. Ich wusste, es gibt Athleten, die bei dieser Konstellation gerade noch so einen Sprung zusammenbringen, aber das sind ganz oft nicht diejenigen, die im Wettkampf die Besten sind. Da war es mir wichtiger, die Athleten zu bestärken und zu sagen: Du springst und du springst – und für dich tut es mir leid, du bist aus folgenden Gründen nicht dabei. Mit diesem Ansatz haben die Springer ihr Pulver nicht schon zwei Tage vor dem Wettkampf verschossen, und die Athleten hatten das Gefühl: Der Trainer hat Vertrauen in mich, es ist gut so, wie es ist.“ Innauer untermauerte das mit einem Beispiel von der WM 1982 in Oslo, an der er mit seinem Fixplatz als amtierender Weltmeister teilgenommen hat, obwohl er schon zurückgetreten war. Damals sei in Oslo Armin Kogler in einer ÖSV-Ausscheidung an Fredi Groyer gescheitert, doch Groyer hätte dann in der Mannschaftssitzung gesagt: „Ich bin zwar qualifiziert, aber ich weiß ganz genau, wenn es drauf ankommt, wenn es um den WM-Titel geht, ist der Armin viel besser als ich.“ Er hätte gerade heraus gesagt: „Ich gewinne nichts, beim Armin ist das nicht so sicher.“ Groyer wollte, dass Armin Kogler statt ihm springt. Nach heftigen Diskussionen hat der Trainer dem Team die Entscheidung überlassen, Kogler ist gesprungen.
Strolz: Das ist ja eine unfassbare Geschichte.
Mayer: Das Beste kommt noch: Kogler ist Weltmeister geworden.
Strolz: Unglaublich, mit was für Anekdoten Sie immer daher kommen. (lacht) Mich wundert, dass die Geschichte noch nicht verfilmt worden ist. Natürlich ist ein Qualirennen eine spezielle Situation. Da hat Toni absolut recht. Ich muss aber sagen, ich selbst habe bei Qualifikationen bis jetzt eigentlich überwiegend positive Erfahrungen gemacht und konnte fast immer gute Leistungen zeigen. Ich würde Daumen mal Pi sagen, dass ich 80 Prozent der Quali-Entscheidungen gewonnen habe. Da habe ich mich auch nicht darüber beschwert, dass der Trainer die Entscheidung nicht selbst getroffen hat. Der Unterschied dieses Mal war: Es war sicher die hochwertigste Konkurrenz, gegen die ich je in einer Quali angetreten bin. Wenn du gegen Michael Matt und Dominik Raschner fährst, darfst du dir nicht den kleinsten Fehler erlauben. Ich habe danach in einem kurzen Statement gesagt, Raschner hat sich den Startplatz verdient – und das sehe ich auch mit einem Abstand von über einem halben Jahr so. Aber lassen Sie es mich so sagen: Klarerweise hätte ich nicht Nein gesagt, wenn der Trainer so überzeugt von mir gewesen wäre, dass er mit einem Trainerentscheid mir den Startplatz zugesprochen hätte. Doch hätte, wenn und aber zählt nicht. Ich habe zu wenig Argumente geliefert.

Wie ist das, wenn man die WM verpasst – schaut man sich danach die Rennen im Fernsehen an?
Strolz: Die Eröffnungsfeier habe ich mir nicht angeschaut, den Eröffnungsbewerb nur teilweise, weil alles noch zu frisch war. Da brauchte ich Abstand, ich habe auch mit meinem Papa nicht über die Nicht-Nominierung gesprochen, ich wollte überhaupt nicht mehr daran denken. Solche Phasen musst du zulassen. Später bin ich zum Riesentorlauf sogar nach Saalbach gefahren, was mir gut getan hat, weil ich einen anderen Blick auf den Sport bekommen habe.
Das klingt spannend. Welchen?
Strolz: Es war beeindruckend aus einer anderen Perspektive mitzuerleben, wie viele Menschen der Skisport begeistert und emotionalisiert, es war für alle Beteiligten, die Athleten, die Trainer, Betreuer, Veranstalter und natürlich die Fans, eine herausragende WM. Natürlich hätte ich mich gefreut, dabei zu sein, aber es tut schon auch mal gut zu realisieren, wie riesig diese Skisportfamilie ist, von der man da Teil ist. Diesen Außenblick hat man eigentlich erst nach dem Karriereende. Es war auch wertvoll aus der Rolle des Zuschauers mitzuerleben, wie eng alles beieinander ist. Natürlich weißt du als Athlet, wie minimal die Unterschiede oft sind, aber wenn du das mal von außen siehst, dass vielleicht ein um Nuancen verpasster Schwungansatz einem Läufer die Medaille gekostet hat oder miterlebst, wie Raphael Haaser nach so vielen Rückschlägen bei der Heim-WM Weltmeister wird, dann macht das was mit dir. Ich glaube, diese Höhen und Tiefen sind es, die im ganz besonderen Maße die Fans so bewegen. Ich hatte in Saalbach nicht nur einmal eine Gänsehaut. Nach der WM war wichtig für mich, dass ich es zum Weltcup-Finale nach Sun Valley geschafft habe und mir dort mit Platz 15 ein halbwegs versöhnlicher Saisonausklang gelungen ist. Danach war ich dann aber froh, dass die Saison vorbei war. Die Saison war vor allem mental sehr kräfteraubend, aber auch körperlich war es sehr intensiv.
War es eine gute Entscheidung, dass Sie sich im Winter 2023/24 in der Abfahrt versuchten?
Strolz: Auf jeden Fall. Durch diese Erfahrungen habe ich mich generell als Rennläufer weiterentwickelt, da habe ich als Athlet im Allgemeinen einen großen Schritt nach vorne gemacht. Ich meine damit nicht nur die Technik, sondern auch vom Kopf her.
Für Sie als Kombinations-Olympiasieger ist es natürlich extrem bitter, dass die FIS die Kombination sterben hat lassen?
Strolz: Also meiner Meinung nach ist man bei der FIS über viele Jahre hinweg das Kombi-Thema falsch angegangen, da hätte man anders vorgehen müssen. Die Kombination wurde stiefmütterlich behandelt. Dadurch haben immer weniger Speedläufer Ambitionen für die Kombination entwickelt, was man irgendwie auch verstehen muss: Es hat sich für sie nicht mehr gelohnt, für die wenigen Kombinationen einen so hohen Trainingsaufwand im Slalom zu betreiben. So schrumpften nach und nach die Teilnehmerzahlen bei der Kombi, die Dichte an Top-Läufern in der Kombination hat immer mehr abgenommen. Am Ende dieser Spirale stand das Aus.
Mayer: Man erkennt an dem Aus der Kombination meiner Meinung nach recht deutlich, dass solche Entscheidungen auch immer davon abhängen, wem sie nutzen. Die Kombination war, was die Gewichtung im Weltcup anging, eigentlich über Jahrzehnte hinweg ein Spielball der großen Verbände, um die Dominanz einzelner Seriensieger zu brechen. Oder um die eigenen Allrounder im Gesamtweltcup in Position zu bringen. Der ÖSV hat da, so wie der Schweizer Verband, sicherlich keine allzu glorreiche Rolle gespielt in den vergangenen 40, 50 Jahren. In der Anfangszeit des Skisports galt der Sieger der Kombination als der kompletteste Skifahrer – was ja auch kein verkehrter Ansatz ist.
Strolz: Für mich ist das alles auch nicht nachvollziehbar. Ich wäre jedenfalls sehr gerne die Kombination weitergefahren. Die Abschaffung tut mir sehr, sehr weh. Dass bei solchen Entwicklungen nicht nur sportliche Kriterien eine Rolle spielen, ist wahrscheinlich nicht ganz abwegig.
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