Vorarlberg

Wie man sozialer Geld verdient

08.10.2022 • 21:03 Uhr
Anders Indset.  <span class="copyright">Jeff Mangione</span>
Anders Indset. Jeff Mangione

Der Autor und Vortragende Anders Indset fordert eine sozialere und ökologischere Wirtschaft.

Kürzlich hat der Österreicher Anton Zeilinger den Physiknobelpreis für seine Arbeit in der Quantenmechanik erhalten. Eines Ihrer Bücher heißt „Quantenwirtschaft“: Was hat die Wirtschaft mit Quanten zu tun?
Anders Indset: Im Buch geht es um einen humanistischen Kapitalismus, der stärker auf Potenzialen als auf starren Modellen und linearen Beschreibungen der Vergangenheit beruht. Die Wirtschaft ist der Quantenphysik ähnlich, weil sie mit Modellen umgehen kann, die keine eindeutigen Antworten liefern. Sie kann Paradoxien ertragen. Ein Wert ist beispielsweise hypothetisch, bis er realisiert wird, bis man also die Ware verkauft. Bis dahin ist es ein potenzieller Wert. Die Wirtschaft kennt auch keine Endlichkeit, es geht darum, so lange wie möglich mitzuspielen.

Teilt die Wirtschaft diese Eigenschaften nicht mit der Gesellschaft an sich? Auch in sozialen Beziehungen bestehen Potenziale, die erst realisiert werden müssen.
Über den einzelnen Menschen können wir oft nicht viel sagen, bis er bestimmte Dinge getan hat. Es ist ähnlich wie bei der Beobachtung eines Partikels: Im Vorfeld einer Aktion kann man nicht zuverlässig sagen, wo sich jemand wann befinden und was er genau tun wird. Ich sehe die Wirtschaft als Betriebssystem unserer Gesellschaft. Nur wenn dieses Betriebssystem funktioniert, können wir uns über die gesellschaftlichen Herausforderungen Gedanken machen. Wenn die Wirtschaft nicht funktioniert, scheitert es schon an der Zeit und dem Aufwand, der aufgebracht werden muss, um diese Herausforderungen zu lösen. Soziale Themen haben heute eine wirtschaftliche Komponente.

Wie kann die Wirtschaft als „Betriebssystem“ dazu beitragen, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen, die ja nicht immer ökonomisch getrieben sind, besser miteinander kooperieren?
Auch Interessen, die nicht ökonomisch getrieben sind, haben eine wirtschaftliche Seite. Wir sind keine Jäger und Sammler, die nur von der Natur leben. Wo wir wohnen und was wir essen, hat immer auch eine ökonomische Komponente. Wenn technologisches und wirtschaftliches Wachstum herrscht, profitiert die obere Schicht der Gesellschaft stärker. In Krisen finden sich Profiteure in der oberen Gesellschaftsschicht, während die ärmeren Schichten belastet werden. Das macht sich auch heute bemerkbar durch die Inflation und erhöhte Energiekosten.

Wie kann man hier in einen Ausgleich kommen? Soll man einfach die Wirtschaft umkrempeln?
Es geht mir nicht darum, den Kapitalismus abzuschaffen und den Sozialismus einzuführen. Wenn wir an Karl Marx denken, so sind wir heute Herr und Knecht in einem: Wir produzieren die digitalen Produkte, die wir selbst konsumieren, und sind gewissermaßen Selbstausbeuter. Ich glaube, wir brauchen einen Kapitalismus mit Mitgefühl, also einen humanistischeren Kapitalismus. In Familienunternehmen ist häufig ein ganz anderes Bewusstsein für den Menschen und unseren Planeten da. Ich spreche hier von einer enkelfähigen Wirtschaft. Wir bewegen uns in Richtung einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft. Die Grundlage dafür ist die Bildung, wie wir junge Menschen aus- und weiterbilden. Ich glaube, es ist der falsche Weg, alles abzustrafen und zu besteuern. Wir müssen vielmehr Anreize finden, damit Unternehmer an sozialen, ökologischen, regionalen Programmen teilnehmen. Auch große Unternehmen müssen sich in den Regionen besser zeigen, um Arbeitskräfte zu finden. Das Miteinander ist für die Menschen heute einfach wichtiger. Wir müssen als Menschheit das Unternehmertum so verstehen, dass es bessere Probleme schaffen und nach positiverem Fortschritt streben soll. Das bedeutet auch, dass mehr Menschen davon profitieren.

Kann ein großer multinationaler Konzern überhaupt so etwas wie ein ethisches Gewissen haben? Sind diese nicht nur deshalb sozial engagiert, damit sie weiter im Geschäft bleiben können?
Das ist auch den Strukturen der Konzerne geschuldet. Der Vorstand wird, wie in der Politik, auch nur für wenige Jahre bestellt. Wir denken nicht in Generationen, sondern meistens in kurzen Zeiträumen. Dass es funktionieren kann, sieht man an Unternehmen wie Haniel. Das ist eines der größten private Equity-Unternehmen in Europa, das es seit etwa 250 Jahren gibt und von dem ungefähr 2000 Familienmitglieder profitieren. Haniel verwaltet etwa 5,5 Milliarden Euro und hat einen externen CEO. Der investiert nur noch in enkelfähige Unternehmen, bei denen Ökonomie und Ökologie synergetisch sind. Der norwegische Staatsfonds trennt sich von Beteiligungen an Unternehmen, die die Klimaneutralität nicht erreichen können. Es geht hier also nicht um reine Profitjagd. Wenn Unternehmen sich des Erfolges wegen sozial oder ökologisch engagieren, ist das zumindest ein erster Schritt. Es gibt tolle Initiativen, aber es liegt natürlich noch ein großes Stück Arbeit vor uns.

Ist der moralische Blick auf die Wirtschaft nicht sehr westlich geprägt? Wenn der norwegische Staatsfonds nicht mehr in Waffenunternehmen investiert, gibt es einen chinesischen oder saudischen Staatsfonds, der das sehr wohl tut.
Das ist eine sehr arrogante, westliche Sichtweise. Diese Länder streben denselben Wohlstand an, den wir haben. Es ist nicht an uns, ihnen vorzuschreiben, wie sie zu diesem Wohlstand in wenigen Jahrzehnten kommen, für den wir 150 Jahre Industrialisierung gebraucht haben. Wir müssen eher als Vorbilder vorangehen und der Welt zeigen, dass es auch so geht. Die Saudis investieren auch wie wahnsinnig in alternative Energien. Und wenn China erst einmal auf alternative Energien umstellt, sind die in zehn Jahren klimaneutral. Wir müssen den Dialog suchen, an unseren Werten festhalten, aber auch als Vorbild vorangehen.

Was sind Ihre Eindrücke von Vorarlberg?
Es gibt hier sehr stark wertebasierte und von den beteiligten Menschen getragene Strukturen. Man ist hier in einem Ausmaß engagiert, das ich nur selten erlebt habe. Die Frage ist, wie man mehr solche Menschen bekommt, die motiviert sind und sich engagieren. Die Menschen, die ich hier getroffen habe, haben ein Grundverständnis ihres eigenen Wertesystems, das sie in die Welt tragen wollen. Ich würde mir wünschen, dass diese innere Motivation, eine bessere Zukunft zu gestalten, auch im Unternehmertum verbreitet wäre.