Vorarlberg

Psychische Gesundheit: Tabu, das alle betrifft

24.03.2023 • 20:15 Uhr
Angehörige von Person mit psychischer Erkankung Magdalena Lerbscher <span class="copyright">Roland Paulitsch</span><span class="copyright"></span>
Angehörige von Person mit psychischer Erkankung Magdalena Lerbscher Roland Paulitsch

Beim Thema psychische Erkankte werden oft die Angehörigen vergessen. Eine Angehörige spricht über Informationsdefizite und Grenzen.

Obwohl so viele Menschen betroffen sind, sind psychische Erkrankungen ein Tabuthema“, kritisiert Magdalena Lerbscher. Es seien jedoch 10 Prozent der Gesellschaft von einer Depression betroffen, wodurch die meisten mit einer psychisch erkrankten Person im Leben konfrontiert seien, so die Fußacherin. Auch in ihrem persönlichen Umkreis hat sie mit einer Person mit biopolarer Störung zu tun. Im Leben der 28-Jährigen stellt das Thema psychische Gesundheit kein Geheimnis dar. Ein dementsprechender Umgang ist generell jedoch nicht gang und gäbe. Stattdessen schweigt die Gesellschaft vorwiegend darüber. Für eine Entstigmatisierung ist aber das Thematisieren gefragt.
Durch diese Stille herrscht nämlich teilweise ein Informationsdefizit. Lerbscher sieht dieses Unwissen als einen Ursprung für die Stigmatisierung psychischer Erkrankter: „Die Leute haben Angst vor dem, was sie nicht kennen.“
Sie ist überzeugt davon, dass wenn man Passanten auf der Straße fragen würde, was Schizophrenie beispielsweise ist, fälschlicherweise die Stichworte „zwei Persönlichkeiten“ fallen würden. Das ist auf die inkorrekte Darstellung in alten Filmen zurückzuführen. Stattdessen geht die Krankheit jedoch mit Symptomen wie Realitätsverlust oder Wahnvorstellungen einher.

Politik gefragt

Wenn dann doch einmal über psychische Erkrankungen gesprochen wird, fehlt es teilweise an der sensiblen Sprache, welche nicht regelmäßig eingeübt werden kann. Die 28-Jährige weist darauf hin: „Die Person ist nicht manisch oder depressiv, sondern hilfsbereit und liebevoll.“ Stattdessen habe die Person eine Manie, was keine Eigenschaft darstelle, führt sie aus. Denn in manchen Krankheitsphasen kann es zu Handlungen kommen, die eine Person sonst nicht tun würde. Manche schämen sich später für große Geldausgaben, geliehenes Geld an Fremde oder dass sie keine Kraft fürs Zähneputzen hatten. Das ist nur Teil der Krankheit.

Sie hat in der Zeit als Angehörige gelernt, auch auf sich selbst zu schauen. Denn nur so kann sie auch für andere da sein. <span class="copyright">Roland Paulitsch</span>
Sie hat in der Zeit als Angehörige gelernt, auch auf sich selbst zu schauen. Denn nur so kann sie auch für andere da sein. Roland Paulitsch

Um derartige Wissensdefizite zu beheben, sieht Lerbscher die Politik mit entsprechenden Maßnahmen gefordert. Auch die Psychiatrie ist laut ihr in einer Bringschuld für Angehörige von Patienten. Sie selbst hat den Informationsfluss über Hilfsangebote zu Beginn der Erkrankung vor fünf Jahren vermisst. Stattdessen ist sie durch eine Yogalehrerin vor drei Jahren zum Verein HPE gekommen. Seit kurzem ist sie Mitglied im Vorstand dort. Der österreichweite Verein bietet Hilfe für Angehörige psychischer Erkrankter an. Dabei geht es nicht nur um die Familie, sondern auch Freunde.

„Spätestens beim zweiten LKH-Aufenthalt hätte man uns eine Visitenkarte dazu in die Hand drücken müssen“, blickt sie zurück. Die Fußacherin ist überzeugt, dass Angehörige gebrieft werden müssen, damit sie die Betroffenen entsprechend unterstützen können. Ihr sei bewusst, dass im Wartezimmer Folder aufliegen würden, ergänzt sie. Doch in dem Moment beschäftigen die Betroffenen andere Gedanken. „Wer selbst in einer Krisensituation ist, liest keine Folder“, meint sie. Lerbscher sehe das System in einer Bringschuld und nicht in einer Holschuld. Angehörige würden dort nicht auf dem Bildschirm auftauchen, kritisiert sie.

„Obwohl so viele Menschen betroffen sind, sind psychische Erkrankungen ein Tabuthema“

Magdalena Lerbscher, Angehörige einer Person mit bipolarer Störung

Zwischen Hilfe und Überlastung

„Psychische Erkrankungen können jeden treffen“, warnt Lerbscher. Etwa wenn bestimmte Stressfaktoren auf uns einprasseln, jedoch nicht rechtzeitig gehandelt wird. Doch wie handelt man richtig? „Jeder, der sich den Fuß bricht, weiß gleich, was er tun soll. Bei einem Nervenzusammenbruch jedoch nicht“, so die 28-Jährige. Eine psychische Erkrankung muss erst als eine solche wahrgenommen werden. Diese kommt nämlich teilweise überraschend. Die Person in Lerbschers Umkreis etwa war noch in ihrer Selbstfindungs- und Entwicklungsphase. Erst dachten sich die Angehörigen, sie sei lebhaft und aufgeschlossen. „Da haben wir nie gedacht, dass das krankhaft sein könnte“, erzählt Lerbscher. In der Jugend sei es immer ein Auf und Ab und man hätte mehr Energie als ältere Leute. Die betroffene Person managte in der Zeit gleichzeitig die Lehre und brachte Flüchtlingen das Lesen bei.

Als sich dies jedoch in ein depressives Verhalten änderte, wurde Lerbscher misstrauisch und begleitete die betroffene Person zum Hausarzt. Die anschließende erste Diagnose hieß Burnout. Dieses wurde womöglich durch eine erste nicht unbemerkte Manie ausgelöst. Später erst wurde eine bipolare Störung diagnostiziert. Derartige Diagnosen stoßen bei Erkrankten nicht zwingend auf Akzeptanz. Während Manien fehle es oft an der Krankheitseinsicht der Betroffenen, erzählt Lerbscher.

Gerade dann ist das Handeln der Angehörigen gefragt. Das kann durch fehlende Einsicht oder Grenzen zu Streit führen. Auch in nicht akuten Phasen neigen Angehörige teilweise zur verstärkten Fürsorge, um zu entlas­ten. Auch Lerbscher versucht, stressige Situationen zu vermeiden. „Ich schaue oft, dass ich Telefonate führe oder Dinge für die Person erledige, weil ich sie nicht belasten will“, erzählt sie. Sie vergleicht es mit der Integration der Krankheit in den Alltag wie etwa auch im Falle von Diabetes die Lokalauswahl.

„Jeder, der sich den Fuß bricht, weiß gleich, was er tun soll. Bei einem Nervenzusammenbruch jedoch nicht.“

Magdalena Lerbscher, Angehörige

Das kann dann wiederum Stress für den oder die Angehörige bedeuten. Auch Lerbscher musste erst lernen, sich abzugrenzen und der angehörigen Person teilweise Verantwortung zurückzugeben. Mittlerweile schaut sie vermehrt drauf, dass sie zwar als Bezugsperson da ist, jedoch sich selbst dabei nicht vergisst. „Die ganzen Erlebnisse und der Weg, den wir gegangen sind, hat mich geprägt.“ Sie wisse nun, dass sie mehr auf sich selbst schauen müsse. „Wenn du so viel von dir selbst weggibst, ist es langfristig nicht möglich, gesund zu bleiben“, erklärt sie. Gesundheit sei die Voraussetzung dafür, anderen helfen oder sie pflegen zu können. Auch sie selbst besucht mittlerweile Psychotherapie für die Aufarbeitung. Trotzdem verspürt sie manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn sie Grenzen zieht.

Magdalena Lerbscher erzählt im Gespräch mit der NEUE über ihre Erlebnisse als Angehörige einer psychisch erkrankten Person.<span class="copyright"> Roland Paulitsch</span>
Magdalena Lerbscher erzählt im Gespräch mit der NEUE über ihre Erlebnisse als Angehörige einer psychisch erkrankten Person. Roland Paulitsch

Hingegen auf Grenzen verzichten müssen sie und die Person bei Bewerbungsgesprächen. „Du musst die Hosen immer ausziehen und alles erklären“, beschreibt Lerbscher. Auch sie hatte offen damit umgehen müssen und im Job sofort kommuniziert. Denn sie ist auf das Verständnis von ihrem Arbeitgeber angewisen, dass sie manchmal Telefonate führen muss oder die Person spontan zum Arzt fährt. Dieses Verständnis für die Situation wurde ihr glücklicherweise entgegengebracht.

Das ist nicht zwingend üblich. „Wenn du sagst, dass du eine psychische Erkrankung hast, sind selten die Türen offen“, meint sie. Doch dementsprechende Lügen können einen einholen. Spätestens bei langen Krankenständen kann es sonst zu Problemen führen. So ist es beim Bewerbungsgespräch ein Abwägen zwischen dem Risiko, den Job nicht zu bekommen, oder ihn später zu verlieren. Sie selbst ist mit der Ehrlichkeit über ihre Situation als Angehörige bisher gut gefahren. „Ich kann mich an keine Situation erinnern, in der ich ehrlich war und es nicht gepasst hat.“ Die Zeit als Angehörige hat sie in ihrer Ehrlichkeit bestärkt. Sie zeigt auf ihr Notizbuch, wo sie drei Worte notiert hat. „Schuld, Scham und Angst“, liest sie vor. Oft würde man sich den Kopf zerbrechen, was andere Menschen denken. „Ich habe aufgehört, etwas nicht zu sagen, weil es mir peinlich ist“, ergänzt sie.

Krisendienste

Anlaufstellen

• Psychiatrische Soforthilfe: Telefonnummer: 01/313 30

• Telefonseelsorge: 142

• Rat auf Draht: Notrufnummer für Kinder und Jugendliche: 147

• www.bitteleben.at

• Kinder- und Jugendpsychiatrie unter der Nummer: 05522/403

• Hilfe für Angehörige HPE: +43 1 5264202