Junge Ukrainerin mit Stipendium

Die 20-jährige Sofia Petrova ist eine der 16 neuen Start-Stipendiaten.
Am 11. September 2020 ist Sofia Petrova nach Vorarlberg gekommen – nicht zu ersten Mal. Dieses Mal aber wollte sie bleiben. Die heute 20-Jährige kommt ursprünglich aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Eine ihrer Tanten, eine Schwester ihres Vaters, lebt seit vielen Jahren in Höchst. Regelmäßige Besuche in den Sommerferien bestärkten Sofia dann darin, in Österreich beziehungsweise an der Fachhochschule Vorarlberg studieren zu wollen. „Die Natur, die Leute, ich finde hier einfach alles faszinierend“, schwärmt die junge Ukrainerin. „Es ist alles so ruhig und langsam und nicht so hektisch wie in Kiew und das mag ich.“
Zwei Jahre lang hat Sofia am Goethe-Institut ihrer Heimatstadt Deutsch gelernt, bis sie dann im Herbst 2020 zu ihrer Tante gezogen ist. „Das war damals alles sehr schwierig, weil es noch die Corona-Zeit war“, erinnert sie sich. Dennoch hat sie zu jener Zeit ihren Platz an der Universität in Kiew abgesagt, obwohl sie noch nicht gewusst hat, ob sie wirklich nach Vorarlberg kommen kann. Aber es hat geklappt und sie hat dann zunächst ein Jahr lang die Handelsschule in Feldkirch besucht, um im Jahr darauf gleich in die zweite Klasse der Handelsakademie zu wechseln. Derzeit ist sie in der dritten Klasse der HAK Feldkirch.

Familie in Kiew
Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im Februar vergangenen Jahres kam ein paar Wochen später auch Sofias Mutter nach Vorarlberg. Der Vater, ein Zugbegleiter, ist in Kiew geblieben. „Er hat geholfen, die Menschen zu evakuieren und war anfangs tagelang ununterbrochen im Zug, weil die Züge dauernd hin- und hergefahren sind“, erzählt die junge Ukrainerin, „ich bin unglaublich stolz auf ihn.“ Die Menschen hätten teilweise ihr Gepäck am Bahnsteig gelassen, um irgendwie in die überfüllten Züge reinzukommen, in denen sie dann stundenlang gestanden seien.
Auch ihr älterer Bruder ist nach wie vor in Kiew. Er hat am vergangenen Sonntag seinen 35. Geburtstag gefeiert, ist im Logistikbereich eines Unternehmens tätig und lebt mit Frau und Kind im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt. Mit beiden sind Sofia und ihre Mutter regelmäßig in Kontakt. „Er erzählt mir aber nicht alles“, vermutet die 20-Jährige über ihren Vater.
Umzug
Stolz ist die junge Ukrainerin auch auf ihre Mutter, eine Friseurin, die in ihrem gelernten Beruf auch schon in Vorarlberg gearbeitet hat. Derzeit besuche sie einen Deutschkurs, erzählt die Tochter. Die beiden leben seit letztem Frühjahr in Feldkirch. Zunächst rund ein halbes Jahr lang bei einer „Bekannten einer Bekannten“. „Dieser Frau sind wir sehr dankbar“, sagt Sofia, „wir haben uns dort wie zu Hause gefühlt und sie gehört nun definitiv zu den Top drei der wichtigsten Personen in meinem Leben.“ Seit September vergangenen Jahres haben Mutter und Tochter nun ihre eigene Wohnung, in der sie gemeinsam mit dem elf Jahre alten Shih-Tzu-Rüden mit dem Namen Vincent Brings Happiness (Vincent bringt Glück, Anm.) leben. Nomen est omen – „das tut er auch“, bestätigt die 20-Jährige.
Was ihre Zukunftspläne betrifft, will die 20-Jährige nun zunächst mal in gut zwei Jahren ihre Matura machen. „Ich habe mir ursprünglich überlegt, anschließend Intermedia an der Fachhochschule zu studieren“, erzählt sie. Mittlerweile tendiert sie aber eher dazu, für ein Studium ins englischsprachige Ausland zu gehen. Begeistert hat Sofia aber auch ein Besuch der Universität Innsbruck, der im Rahmen des Start-Programms erfolgt ist. „Ich kann eigentlich alles machen“, stellt die junge Ukrainerin dankbar fest. Was die Zukunft ihres Heimatlandes betrifft, sei derzeit allerdings alles ungewiss. „Da muss man keine Pläne machen, sondern sehr flexibel bleiben.“
“Ich kann eigentlich alles machen”
Sofia Petrova, Schülerin und Start-Stipendiantin
Start
Seit Herbst vergangenen Jahres ist Sofia Petrova eine von 16 neuen Start-Stipendiatinnen und -stipendiaten (siehe oben). Als spannend, wichtig, sehr hilfreich und nützlich „für unsere Zukunft“ bezeichnet sie das Programm. „Es gibt so viele Paten, die uns unterstützen und dafür bin ich sehr dankbar.“ Das Wichtigste bei Start sei die „Community“, sagt sie, die Gemeinschaft. Bei den Stipendiatinnen und Stipendiaten handle es sich durchwegs um „sehr motivierte Leute, die wirklich etwas erreichen wollen“, ist Sofia überzeugt. „Und du merkst, die Ziele sind erreichbar.“
Fast nebenbei erwähnt die 20-Jährige dann noch, dass sie neben dem Schulbesuch auch arbeitet. 18 Stunden in der Woche sitzt sie seit vergangenem Juni bei einem Lebensmitteldiscounter in Feldkirch an der Kasse, um die Miete für die Wohnung zu finanzieren. Während der Schulzeit arbeitet sie an schulfreien Nachmittagen und am Samstag. „Es ist anstrengend, aber es geht“, sagt sie. Im Sommer wird sie ein vierwöchiges Praktikum bei Doppelmayr in Wolfurt absolvieren und als Übersetzerin tätig sein. Schon früher hat sie ehrenamtlich Unterlagen der Stadt Feldkirch für ukrainische Flüchtlinge übersetzt. Falls Sofia dann noch Zeit findet, liest sie gern. Derzeit ist sie mit Ray Bradburys Klassiker „Fahrenheit 451“ im englischen Original beschäftigt.
“Das sind alles sehr motivierte Leute, die wirklich etwas erreichen wollen.”
Sofia Petrova, Schülerin und Start-Stipendiantin

Passt
Noch einmal kommt Sofia dann auf das Start-Programm zurück. „Da fühlst du dich wie zu Hause“, sagt sie. „Es ist wie eine dritte Familie.“ Und zum Umstand, dass ihre Tage mit Schule und Arbeit mehr als ausgefüllt sind, meint sie: „Jetzt passt es. Wenn etwas nicht passt, muss man es ändern. Das ist oft nicht so schwierig, wie man vorher immer glaubt.“
Start-Programm
Start-Vorarlberg
Seit 2009 werden im Rahmen eines Stipendienprogramms talentierte Schülerinnen und Schüler bis zu drei Jahre lang auf dem Weg zur Matura unterstützt. Sie erhalten einen Laptop und Drucker, 100 Euro monatliches Bildungsgeld für schulische Zwecke sowie Zugang zu Deutschkursen und Nachhilfeunterricht. Voraussetzungen für ein Stipendium sind soziales und schulisches Engagement, Migrationshintergrund und das familiäre Einkommen. Die Vorarlberger Initiative wurde vom Gründer-Ehepaar William und Elizabeth Dearstyne mit der Piz Buin Stiftung initiiert. Österreichweit ist Start in fünf Bundesländern vertreten.
Derzeit werden 29 Jugendliche in Vorarlberg gefördert. Unterstützt werden sie von 24 regionalen Patinnen und Paten (Unternehmen, Privatpersonen, Land sowie Städte und Gemeinden). Seit Mitte März sind wieder Bewerbungen möglich: www.start-stipendium.at.