Jugendliche setzen sich für Flüchtlingskinder ein

Die Dornbirner Jugendbotschafter der Caritas Auslandshilfe haben sich auf dem Marktplatz gegen unmenschliche Bedingungen von Kindern in Flüchtlingslagern stark gemacht.
Auf den ersten Blick sieht alles harmlos aus und hört sich auch so an: Mitten auf dem Dornbirner Marktplatz stehen drei weiße Pavillonzelte mit Biertischen und -bänken und einige große Feuerschalen, deren Feuer Waldgeruch verbreiten. Pfadfinder verteilen rund um die Feuer vor der St. Martinskirche mit gezieltem Schnippen Wurfzelte. Auf den Zelten steht: „Wir haben Platz“. Im Hintergrund spielt der DJ Florian Siegers Musik: „21, 22, 23“ von Annen May Kantereit und „99 Luftballons“ von Nena. Doch wer genauer hinschaut, entdeckt die UN-Kinderrechte auf Plakaten an den dicken Kirchenportalsäulen lehnen: „Durch die Anerkennung der UN-Kinderrechtskonvention verpflichten sich alle Staaten, das Wohl der Kinder stets vorrangig zu berücksichtigen“ sowie das Plakat „jetzt schlägt’s 13 – Protestcamp der Jugendbotschafter der Caritas“. Die Kirchturmuhr schlägt drei Mal, es ist 15 Uhr am Samstag mitten in Dornbirn.
Bundesrätin zu Besuch
Das Thema entpuppt sich als alles andere als harmlos. Grüppchen finden sich zusammen, darunter die Jugendbotschafterinnen und -botschafter der Caritas, die als Gastgeber andere Gleichgesinnte eingeladen und ins Boot geholt haben, wie die Vorarlberger Pfadfinder und Amnesty International. Sie werden auch mit zumindest einer Politikerin sprechen, mit Bundesrätin Heike Eder (ÖVP), die den Appell der Jugendlichen in die Bundespolitik tragen will. Bis dahin werden sie aber vor allem das Gespräch mit Passanten suchen, erklären, mahnen, um Unterstützung für ihr Anliegen werben, erklären, warum es ihrer Meinung nach 13 schlägt: Flüchtlingskinder in Camps soll es besser gehen. Sie sollen für ihre – vor allem auch psychische – Gesundheit Hilfe bekommen, Bildung und eine Perspektive. Amnesty International, untergekommen in einem der weißen Pavillons, fordert „Die Obsorge für unbegleitete geflüchtete Kinder ab dem ersten Tag nach ihrem Ankommen in Österreich“. Bisher seien Kinder nämlich zunächst in nicht kindgerechten Bundeseinrichtungen untergebracht, ohne adäquate Betreuung, Bildung und Freizeitgestaltung.

Selbst verpflichtet
Engagierte, die schon vor zwei Jahren dabei waren, finden es schlimm, dass seit damals immer noch nichts passiert ist. „Dabei ist das keine freiwillige Wahlmöglichkeit. Die Staaten haben sich selbst dazu verpflichtet, den Kindern zu helfen“, sagt die 15-jährige Jugendbotschafterin Anna Natter. „Es geht darum, dass die Regierung zu einer Verbesserung ihrer Situation beitragen soll und ihrem guten Ruf damit gerecht werden. So oder so werden es diese Kinder nicht leicht haben, weil die Traumata bleiben.“

Auch Verena Nesensohn, Landesleiterin der Vorarlberger Pfadfinder, ist der Meinung, die Politik sei jetzt am Zug. „Wie Flüchtlingskinder behandelt werden, auch hier bei uns, ist nicht würdig.“ Sie erklärt die Vorarlberger Pfadfinderaktion „huckepack“: Kinder können einen Rucksack packen mit Murmeln zum Tauschen, einem Stofftier fürs Herz, Schokolade – die in Camps extrem selten ist –, einem Ball, Spielkarten, einem Malbuch und Wachsmalkreiden, Zahnpasta und Zahnbürste sowie einer festen Seife zum Waschen von fast allem. Verena Nesensohn ist der Meinung, Spenden der Bevölkerung sind gut, die pädagogische Aufarbeitung ist aber ebenso wichtig. Für Familien haben die Pfadfinder extra ein Handbuch zum Thema Flucht entwickelt, das Eltern mit ihren Kindern besprechen können.
Interessierte Passantinnen und Passanten, die mit bunten Eddings einen Bandwurmsatz auf einem Leintuch lang und länger schreiben können, wünschen Kindern auf der Flucht ein gutes Aufwachsen, Frieden und „Liebe“, wie ein Siebenjähriger es auf den Punkt bringt.
Die „Frechdaxe“, Kinder eines unkonventionellen Vorarlberger Kinderchors, stellen sich zwischen die Portalsäulen der Kirche und singen mit Begleitung von Chorleiter Clemens Weiß „Wir sind anders, wir sind verschieden, jeden Menschen gibt es nur einmal, jeder Mensch ist auf seine Art genial“. Weiß sagt in einer seiner Ansagen: „Wir Erwachsene meinen immer, wir sind groß. Aber die, die jeden Tag wachsen, das sind die Kinder.“

Schlimme Schicksale
Tommy, der Sprayer vom Dornbirner Jugendhaus, mit Künstlernamen Gagol, gestaltet wie schon beim Protestcamp vor zwei Jahren eine Bauzaun-Wand. Die graue Grundierfarbe zischt aus der Spraydose, er malt recht frei nach einer Vorlage wandernde Menschen, die Einsamkeit ausstrahlen – Flüchtende auf ihrem Weg in die Ungewissheit. „Mit Mut und Innovation ist es schon möglich zu helfen“, findet er. „Das sind so schlimme Schicksale…“. Das Schlimme sprechen auch die Jugendbotschafterinnen in ihrer Ansprache an. „Millionen von Kindern sind oft über Jahre in Flüchtlingscamps. Kinder haben ein Recht auf ihre Kindheit. Und sie haben ein Recht auf eine Zukunft.“
Passantinnen, die gezielt stehenbleiben, sind Katharina Lins und Brigitte Flinspach. „Es braucht das Engagement aller Altersstufen, aber ich bin froh, dass sich gerade auch die Jungen für die Rechte von geflüchteten Kindern und Jugendlichen stark machen“ und „ich weiß, wie privilegiert ich bin. Schon seit Jahren bringe ich geflüchteten Menschen Deutsch bei“, sagen sie. Die 14-jährige Viola Amann hat dann als eine der wenigen trotz Dauerregens im Camp übernachtet. Sie wollte „dieselbe Erfahrung machen wie Flüchtlingskinder, auch wenn das Protestcamp natürlich nicht mit den Erfahrungen der Menschen in den Camps vergleichbar ist.“ Für die Kinder wäre Bildung wichtig, um einen Weg hinaus aus den Camps in ein besseres Leben zu finden, denkt sie. „Ich glaube, die Politik muss einerseits sofort Hilfe leisten und andererseits Gründe, weshalb Menschen ihr Zuhause verlassen müssen, wie zum Beispiel die Klimakrise, endlich ernsthaft bekämpfen“, ergänzt der 27-jährige Jugendbotschafter Johannes Hartmann.