Vorarlberg

Von Landesausschüssen und Landesräten

14.10.2023 • 23:00 Uhr
Landeshauptmann Adolf Rhomberg begrüßt 1914 Kaiser Franz Joseph in Bregenz. <span class="copyright">Volare</span>
Landeshauptmann Adolf Rhomberg begrüßt 1914 Kaiser Franz Joseph in Bregenz. Volare

Früher führte der Landeshauptmann den Vorsitz im Landtag und mit Landesrat konnte sowohl ein Gremium als auch eine Einzelperson gemeint sein.

Bei den Sitzungen der Gemeindevertretungen führt der Bürgermeister den Vorsitz. Das ist durchaus zweckmäßig und kaum jemand wird sich etwas dabei denken, dass es keinen eigenen Gemeindevertretungspräsidenten gibt. Tatsächlich war es früher auf Landesebene nicht anders. In der Monarchie führte der Landeshauptmann den Vorsitz im Landtag. Das klingt umso plausibler, wenn man bedenkt, dass es damals keine Landesregierung gab, sondern nur einen Landesausschuss, der vom Landtag aus seiner Mitte gewählt wurde. Er war dessen „verwaltendes und ausführendes Organ“. Die Exekutive war also Teil der Legislative.

Kein demokratisches Parlament

Der Ausschuss hatte neben dem Landeshauptmann vier Mitglieder, die dem Landtag angehörten. Dort saßen zu dieser Zeit aber keine nach heutigen Grundsätzen gewählten Abgeordneten. Der katholische Generalvikar von Feldkirch war etwa von Gesetz wegen Mitglied. In Bregenz, Feldkirch, Bludenz und Dornbirn wurde außerdem alle sechs Jahre je ein Abgeordneter gewählt, ein weiterer wurde von der Handeskammer bestimmt, die übrigen 14 wurden von Wahlmännern der sogenannten Landgemeinden gewählt.

Während 1907 das allgemeine Männerwahlrecht für das Abgeordnetenhaus in Wien eingeführt wurde, blieb auf Landesebene alles beim Alten. Bis 1918 waren die Länder die letzten Bastionen des Feudalismus.

Der Landeshauptmann wurde nicht vom Landtag gewählt, sondern vom Kaiser ernannt. Das Recht des Zentralstaates vollzog ein Statthalter in Innsbruck mit Hilfe der Bezirkshauptmänner. Die Landespolitik war aufgrund der eingeschränkten Kompetenzen auch wesentlich beschaulicher. Die Landesordnung von 1861 sah vor, dass sich der Landtag „in der Regel jährlich Einmal, und zwar, in soferne vom Kaiser nicht etwas Anderes bestimmt wird, in der Stadt Bregenz zu versammeln“ habe. Ursprünglich sah die Landesordnung – die Vorläuferin der Landesverfassung – auch vor, dass die Mitglieder des Landesausschusses nach Bregenz ziehen müssten. Dagegen regte sich aber so heftiger Widerstand, dass der Kaiser die Bestimmung noch im selben Jahr wieder aufhob.

Die große Titelverwirrung

Nach dem Untergang der Monarchie herrschte nicht nur im Land, sondern auch bei den Bezeichnungen von Ämtern und Institutionen Chaos. Die Sozialdemokraten wollten keine traditionellen Begriffe mehr verwenden, um mit dem Namen gewissermaßen auch den geistigen Ballast des alten Systems loszuwerden. Mandatare sollten nun „Volksbeauftragte“ genannt werden. Aus den Wiener Minis­terien wurden „Staatsämter“.

In Vorarlberg tagte nun ein provisorischer Landesausschuss statt des bisherigen ständischen Landtages – nicht zu verwechseltn mit dessen Vollzugsorgan, das ja ebenfalls Landesausschuss geheißen hatte. Der neue, provisorische Landesausschuss erließ am 14. März 1919 anstelle der bisherigen Landesordnung – der Begriff hat sich nur in Tirol bis heute erhalten – die erste Landesverfassung. Das kollektive Exekutivorgan hieß nun nicht mehr Landesausschuss sondern Landesrat. Er bestand aus dem Landeshauptmann und acht weiteren Mitgliedern, die ebenfalls Landesräte hießen. Er war aber weiterhin ein „Vollzugsausschuss des Landtages“. Aus dem Landesrat wurde wiederum eine dreiköpfige Landesregierung gebildet, wieder mit dem Landeshauptmann an der Spitze. Dieser führte auch weiterhin den Vorsitz im Landtag selbst.

Die Landesregierung kann man sich als Unterausschuss des Landesrates vorstellen. Sie handelte im Auftrag des Landesrates und sollte die Gesetze des Bundes im Land vollziehen. Der Landtag wurde nun nach dem allgemeinen, gleichen und geheimen Verhältniswahlrecht gewählt. Die Wahlperiode wurde außerdem von sechs Jahren auf fünf Jahre verkürzt. Sechsjährige Legislaturperioden gibt es heute nur noch in Ober­österreich. Weil man in Vorarl­berg 1919 noch nicht wusste, ob man bei Österreich bleiben würde, kam dessen Name in der Landesverfassung 1919 gar nicht erst vor. Vielmehr war kryptisch vom „Bundesstaat“ die Rede.

Die erste Landesregierung der zweiten Republik hält 1945 ihre erste Sitzung ab. <br><span class="copyright">Volare</span>
Die erste Landesregierung der zweiten Republik hält 1945 ihre erste Sitzung ab.
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Die neue Verfassung

Alle Anschlusspläne an die Schweiz zerschlugen sich aber mit dem Frieden von St. Germain und der neuen Bundesverfassung, die 1920 beschlossen wurde. Sie führte die Ministerien in Wien wieder ein, auch wenn die dort waltenden Bundesminister noch eine Zeit lang „Volksbeauftragte“ blieben. Die Bundesverfassung machte den Ländern deutliche Vorgaben, was ihre eigenen Einrichtungen betraf. Dort sollte es nun Landesregierungen unter der Führung von Landeshauptmännern geben. Die Regierungsmitglieder mussten zwar zum Landtag wählbar, aber nicht mehr dessen Mitglieder sein. Die Bezeichnung „Landesräte“ hat sich zwar in allen Ländern durchgesetzt, kommt im Bundes-Verfassungsgesetz aber nicht vor.

In Vorarlberg reagierte man auf die Veränderungen im Bund zunächst minimalistisch. Der Landtag stellte 1921 lediglich fest, dass der Landesrat als Gremium nun als Landesregierung anzusehen sei. Er ersetzte die bisherige dreiköpfige Landesregierung. Für die Vollziehung des Bundesrechtes im Land war nach der neuen Bundesverfassung nur noch der Landeshauptmann zuständig.

Widerspenstige Anpassung

Schließlich erließ man 1923 aber eine neue Landesverfassung, die den Vorgaben aus Wien gerecht wurde. Sie trug der Gewaltenteilung Rechnung und sah erstmals einen Landtagspräsidenten vor. Der Landeshauptmann war nur noch Regierungschef. Außerdem musste man das direktdemokratische Initiativrecht der Bevölkerung einschränken, da die neue Bundesverfassung die Gesetzgebung weitgehend in die Parlamente verlegte.Schließlich erließ man 1923 aber eine neue Landesverfassung, die den Vorgaben aus Wien gerecht wurde. Sie trug der Gewaltenteilung Rechnung und sah erstmals einen Landtagspräsidenten vor. Der Landeshauptmann war nur noch Regierungschef. Außerdem musste man das direktdemokratische Initiativrecht der Bevölkerung einschränken, da die neue Bundesverfassung die Gesetzgebung weitgehend in die Parlamente verlegte.

Dafür nannte man den Landeshauptmannstellvertre­ter nun Landesstatthalter, in Anlehnung an Schweizer Kantonsverfassungen und vielleicht auch als kleine Reminiszenz auf die aufgehobenen Statthaltereien der Monarchie, von denen man nie eine eigene bekommen hatte. Außerdem setzte man dem eigenen Unabhängigkeitswillen in Artikel 1 Absatz 2 der neuen Verfassung ein Denkmal, das sich dort heute noch befindet. „Als selbstständiger Staat“, so heißt es da, übe Vorarlberg alle Hoheitsrechte aus, die nicht dem Bund übertragen seien. Eine weitere legistische Renitenz, die damit im weiteren Zusammenhang steht, hat sich bis heute erhalten: Vorarlberg hat eine Verfassung, die zwar eine Landesverfassung ist, sich aber Verfassung nennt. Gleiches gilt für die Gesetze.