Zweiklassenmedizin:(Un)widersprochene Realität

Die Zweiklassenmedizin über Wahlärzte und Privatkliniken ist unbestritten. Im öffentlichen Krankenhaus sollte es sie eigentlich nicht geben. Aber es gibt sie, wie dieser Fall zeigt.
von Kurt Bereuter
Die Ärztedichte ist innerhalb der EU beständig gestiegen. Laut Deutschem Ärzteblatt hat Österreich nach Griechenland und Portugal die höchste EU-weit: 543 Ärztinnen und Ärzte pro 100.000 Einwohner. In Deutschland sind es 453 pro 100.000 Einwohner. Unser Gesundheitssystem gehört zu den teuersten weltweit. Gesund ist es trotzdem nicht, auch wenn es bildlich gesprochen nicht gerade auf der Intensivstation liegt, aber eine systemische Erkrankung liegt vor. Was verleitet zu dieser Analyse?
Ärztehonorare und Selbstzahler
Einerseits warnen vorgeblich 85 Prozent aller Spitalsärzte in Vorarlberg in einer Unterschriftenaktion, dass wegen zu geringer Entlohnung – aber auch wegen der Arbeitsbedingungen – ein Ärzteengpass drohe. Andererseits stellt sich die Frage, ob die folgende Leidensgeschichte meines Sohnes symptomatisch für die Probleme unseres Gesundheitswesens steht. Er litt seit drei Jahren an einem Bandscheibenvorfall. Der niedergelassene Orthopäde riet ihm immer wieder von einer Operation ab. Als die Schmerzen jedoch unerträglich wurden und Physiotherapie und Schmerzmedikamente nicht zum Erfolg führten, wandte er sich an das Landeskrankenhaus (LKH) Feldkirch, um einen Termin für eine (Zweit-)Befundung zu erhalten.
Um nicht zwei Monate warten zu müssen, wurde ihm vom Krankenhaus ein Termin in der selbst zu zahlenden Privatordination des Primararztes im LKH Feldkirch innerhalb von zwei Tagen angeboten. Für die Befundung waren aktuelle MRT-Bilder notwendig, wofür der Primararzt meinem Sohn eine Zuweisung ausstellte. Ein MRT im Krankenhaus gehe nicht, da sie angehalten seien, die MRT-Leistungen im niedergelassenen Bereich zu organisieren. Dann zahlt nämlich die Krankenkasse, sonst das Land Vorarlberg. Bei der Vereinbarung eines MRT-Termins in einem MR-Institut wurde die „Wartezeit“ von zwei Monaten auf einen Tag verkürzt, jedoch mit Kosten von 550 Euro. Beim Folgetermin in der Privatordination des Primars wurde mein Sohn vor die Wahl gestellt, die Kosten der erforderlichen Operation (4800 Euro) privat zu tragen und innert kürzester Zeit vom Primararzt operiert zu werden oder auf die Warteliste zu kommen und auf einen freien Termin in der Abteilung zu warten.
Dann operiere ein Assistenzarzt mit einem Oberarzt zusammen, aber eben erst in ungewisser Zeit. Das sei halt so in der Medizin, quittierte der Primar die kritischen Blicke. Die „Selbstzahler“ oder „Draufzahler“ nehmen in so einem System tagtäglich zu, weil sich mittlerweile auch der Mittelstand die „Zweiklassenmedizin“ leisten kann, sich eventuell leisten muss und letztlich sich leistet, bei einem der teuersten Gesundheitssysteme weltweit.
„Die ‚Selbstzahler‘ oder ‚Draufzahler‘ nehmen in so einem System tagtäglich zu.“
Kurt Bereuter

Die Realität?
Die Zweiklassenmedizin ist also zum Alltag geworden und wird von niemandem mehr bestritten? Mit dem Fall meines Sohnes konfrontiert, sagt der Geschäftsführer der Krankenhausbetriebsgesellschaft (KHBG), Gerald Fleisch, dass es die Zweiklassenmedizin durch die Wahl- und Kassenärzte im niedergelassenen Bereich tatsächlich gebe, aber nicht im intramuralen Bereich, also in den Krankenhäusern. Der geschilderte Fall sei ein Einzelfall und müsse als solcher geprüft werden, weil er so nicht gedeckt wäre. Im Krankenhausbereich gebe es ausschließlich die gleiche Behandlung für alle. Einen Unterschied durch Privatzahlende gebe es nur in der „Hotellerie“, also in der Belegung und Versorgung im Zimmer, aber nicht durch eine andere oder schnellere Behandlung eines Patienten.
Eine Privatordination in den Krankenhäusern sei den Primaren aber ausdrücklich, nach Genehmigung und Vereinbarung mit der KHBG, erlaubt und mache Sinn, weil damit die Primare im Krankenhaus anwesend sind und sein müssen und nicht gleichzeitig außerhalb der Krankenhäuser eine Privatordination betreiben dürfen. Diese Möglichkeit sei auch notwendig, um gute Primare in den Häusern halten zu können. Aber die privatärztliche Leistung dürfe niemals die normale Tätigkeit der Primare oder der Abteilung beeinträchtigen. So erfolge die Verrechnung immer über das Krankenhaus und werde dann mit den Primaren abgerechnet.
Das werde also streng überwacht und bleibe dadurch transparent. Die Privatordination außerhalb des Krankenhauses sei bei manchen Oberärzten der Krankenhäuser möglich, aber nur nach Genehmigung durch die KHBG. Dies sei letztlich eine direkte Auswirkung des Ärztearbeitszeitgesetzes und konterkariere dieses mitunter, weil zwar weniger Zeit im Krankenhaus gearbeitet werden darf, dafür kommt die Zeit in der Privatordination dazu.
Was wäre zu tun?
Das Grundproblem sieht Fleisch in den zwei Finanzierungsströmen in unserem Gesundheitssystem, also in der Finanzierung durch Sozialversicherungen im niedergelassenen Bereich und durch die Länder im Bereich der Krankenhäuser, was auch die Schnittstellenproblematik nicht einfacher mache.
Und zum anderen wäre es wünschenswert, dass der Bereich der Pflege aus der Misere kommt und es durch Nachsorgeplätze im Pflegebereich zu einer schnelleren Entlassung kommen könnte, weil diese Patienten zum Teil nicht mehr krankenhauspflichtig seien und dort Kapazitäten binden, aber mangels Nachsorgemöglichkeit oder Pflegeplatz nicht entlassen werden könnten. Um die Ambulanzen zu entlasten, gibt es mittlerweile Systeme der Triagierung oder, wie in Bregenz, ein Pförtnersystem mit der Ambulanten Erstversorgungseinheit (AEE). Mehr Entlastung würden aus seiner Sicht mehr Primärversorgungszentren (PHC) und mehr interprofessionelle Gemeinschaftspraxen bringen, die jetzt am Entstehen sind.
Bezahlung
Dass die Bezahlung der Ärzte zu schlecht ist, lässt Fleisch nicht gelten. Er verweist neben Gehaltszahlen auch auf eine sehr geringe Fluktuation beim ärztlichen Personal. Da könnten sich auch die Rundumleistungen gut sehen lassen, von der Kinderbetreuung bis zur Suche oder Bereitstellung von Wohnraum. Und was die Arbeitsbedingungen anlangt, gebe es auch hier viel Unterstützung in die Abteilungen hinein – von der Supervision über Coaching bis zu Teamentwicklungsmaßnahmen und Organisationsentwicklung. Und zurück zum operierenden Primar des „Einzelfalles“: „Das ist in der Medizin halt so.“ Aha!? Die entscheidende Frage bleibt: Einzelfall oder doch (auch) System dahinter?
Kurt Bereuter ist Organisationsberater, Moderator, Coach und freier Journalist.