Das denkt Vorarlberg über das EU-Lieferkettengesetz

Das Lieferkettengesetz ist auch fast zwei Wochen nach der Einigung der EU-Staaten umstritten. Vorarlberger Industrievertreter sehen die Richtlinie kritisch, die Meinungen der Wirtschaftssprecher im Landtag gehen auseinander.
Nicht ganz zwei Wochen ist es her, als sich die Staaten der EU nach langem Tauziehen auf das Lieferkettengesetz einigten. Diese Richtlinie soll große Unternehmen zur Rechenschaft ziehen, wenn sie aus schlechten Arbeitsbedingungen, etwa Kinderarbeit, einen Vorteil erzielen. Außerdem sind die betroffenen Betriebe verpflichtet, einen Plan zu erstellen, der aufzeigt, dass das eigene Geschäftsmodell mit den Pariser Klimazielen vereinbar ist.
Rund um den Gesetzesbeschluss gab es ein großes Feilschen: Die Abstimmung unter den EU-Ländern wurde immer wieder verschoben, da mehrere Staaten nicht zustimmen wollten. Am Ende war es wohl das Einlenken Italiens, das den Beschluss möglich machte. Österreich und Deutschland enthielten sich der Abstimmung, was faktisch gleichbedeutend mit einem Veto ist.
Kompromisse
Schlussendlich musste der Anwendungsbereich der Richtline deutlich eingegrenzt werden. Betroffen sind Unternehmen ab einer Größe von 1000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 450 Millionen Euro. Vorgesehen war, dass Unternehmen ab 500 Mitarbeiter und 150 Millionen Euro Umsatz im Gesetzesrahmen inkludiert sind. Auch gesonderte Regeln für Risikosektoren sind, anders als ursprünglich geplant, nicht im Gesetz enthalten. Außerdem wurden die Klagerechte der Zivilgesellschaft eingeschränkt.
Die NEUE hat sich unter den Wirtschaftssprechern der Fraktionen im Vorarlberger Landtag sowie unter Industrievertretern umgehört und Stimmen zum Lieferkettengesetz eingefangen. Außerdem wurden diese zu ihrer Meinung zur Enthaltung Österreichs bei der Abstimmung und den Folgen für Vorarlberger Betriebe befragt.
“Kritikpunkte, die man nicht ignorieren darf”
Für Monika Vonier (ÖVP) stehen die Absichten hinter dem Lieferkettengesetz außer Diskussion: „Es soll darum gehen, Verantwortung für Menschenrechte und Umweltschutz wahrzunehmen und Kinder- und Zwangsarbeit einen Riegel vorzuschieben.“

Allerdings gebe es Bedenken und Kritikpunkte, die man nicht einfach ignorieren dürfte. Wichtig sei, einen Weg zu finden, wo so wenig Bürokratie wie notwendig ist und wo so viel Energie wie möglich in tatsächliche Optimierungen fließen kann. Mit Blick auf Vorarlberg seien nur wenige direkt betroffene Unternehmen. Aktuell noch schwer abschätzbar seien die indirekten Auswirkungen für Klein- und Mittelbetriebe, die Großunternehmen beliefern.
“Vor den Karren der Lobbyisten spannen lassen”
Als „wichtigen Schritt für mehr Gerechtigkeit im globalen Wirtschaftswettbewerb und zur Sicherung der Menschenrechte“ lobt Bernhard Weber (Grüne) das Lieferkettengesetz. Im Bezug auf Vorarlberg ist er zuversichtlich: „Die Wirtschaft legt jetzt schon großes Augenmerk auf die Rahmenbedingungen und Produktionsprozesse in ihren Lieferketten. Das Gesetz bietet gerade für Kleinst-, Klein- und Mittelbetriebe in Vorarlberg Chancen, die als Anbieter vor Ort attraktiver werden.“

Kritik übt er an Österreichs Enthaltung bei der Abstimmung: „Ich bin der Meinung, dass sich der Wirtschaftsminister vor den Karren der ewig gestrigen Kammerlobbyisten und Großkonzerne hat spannen lassen.“
“Massive Belastung”
Der Wirtschaftssprecher der FPÖ, Hubert Kinz, blickt kritisch auf das Lieferkettengesetz „Unsere Vorarlberger Unternehmen sind durch die Vielzahl an bürokratischer Auflagen und Vorgaben, die ihnen durch die EU-Wirtschaftspolitik und die schwarz-grünen Regierung aufgebürdet werden, massiv belastet. Anstatt endlich Bürokratie abzubauen und unsere Unternehmen zu entlasten, würde es durch die Umsetzung des geplanten EU-Lieferkettengesetz zu einer enormen zusätzlichen Belastung kommen.“

Die FPÖ spreche sich daher klar gegen das Gesetz aus und fordere auch von der Bundesregierung eine klare Ablehnung. „Sich lediglich bei der Abstimmung zu enthalten, wie es der Wirtschaftsminister macht, bringt unseren bürokratiegeplagten Unternehmen nichts“, sagt Kinz.
“Große Bedeutung”
Manuela Auer (SPÖ) ist „fest davon überzeugt, dass das Lieferkettengesetz von großer Bedeutung ist.“ Es sei „höchste Zeit“, dass man Kinderarbeit und Umweltzerstörung ein „klares Nein“ entgegenbringt. In Vorarlberg sieht sie positive Effekte für Unternehmen, die bei Menschenrechten und Umweltschutz hohe Standards einhalten. Sie hätten einen Wettbewerbsnachteil gegenüber jenen gehabt, die schlechte Bedingungen in diesen Punkten in Kauf nahmen.

Die Enthaltung Österreichs hält Auer für enttäuschend: „Es scheint, als hätte die ÖVP den Konzernen und ihren Lobbyisten nachgegeben, anstatt sich für die Rechte von Menschen und den Umweltschutz stark zu machen.“
“15 große Arbeitgeber betroffen”
Zwar teilen die Neos die Ziele des Gesetzes, aber auch die Befürchtungen der Industrie um eine unverhältnismäßige bürokratische Belstung. Für ihren Wirtschaftssprecher Garry Thür wäre eine Lösung über ein Freihandelsabkommen auf zwischenstaatlicher Ebene sinnvoller gewesen.

Thür sieht im Land etwa 15 große Arbeitgeber von der Richtline betroffen. Für sie wünscht er sich einfache Lösungen. Die Enthaltung bei der Abstimmung könne er nachvollziehen, doch für bessere Entscheidungen müsse man diese Diskussionen wesentlich früher führen. „Wir müssen uns bewusst sein, dass wir mit einer Enthaltung immer ‚Passagier‘ von Entscheidungen sind und nicht ‚Gestalter‘“, betont er.
“Befeuert Tendenz zur Deindustrialisierung”
Aus Sicht der Industriellenvereinigung Vorarlberg sei das Lieferkettengesetz „unverantwortlich und befeuert die Tendenz zur Deindustrialisierung“, sagt Geschäftsführer Christian Zoll. „Wir unterstützen die Motive, wir sehen die Umsetzung als katastrophal an. Die Prüfung von Menschenrechten und Umweltstandards muss eigentlich durch den Staat erfolgen und nicht durch die einzelnen Unternehmen“, erklärt er.

Andere Maßnahmen hält Zoll für zielführender: „Ein Vorschlag, der uns gut gefallen hat: Ein Register, in das sich Unternehmen eintragen können, wo man den Betrieben ein Vertrauen entgegenbringt, wenn sie ein gewisses Rating erreichen.“
“Schießt weit über das Ziel hinaus”
Kritik zum Lieferkettengesetz kommt von Markus Comploj, dem Spartenobmann Industrie in der Vorarlberger Wirtschaftskammer: „Niemand will Kinderausbeutung. Das EU-Lieferkettengesetz schießt jedoch weit über das Ziel hinaus.“

Er befürchtet, die bürokratischen Vorgaben würden den Wirtschaftsstandort in Europa so belasten, dass auch in Österreich Standorte und Arbeitsplätze in Gefahr seien. Das Grundübel Kinderarebeit sieht er nicht beseitigt: „Das einzig wirksame Mittel gegen Kinderausbeutung ist Bildung und Entwicklungshilfe in den Zielländern.“ Die Auswirkungen auf Vorarlberg seien noch nicht abzuschätzen, doch Comploj befürchtet erhebliche bürokratische Aufwendungen.