Vorarlberg

„Das belastet eine Partnerschaft sehr“

01.09.2024 • 07:00 Uhr
„Das belastet eine Partnerschaft sehr“

Psychologin Julia König aus Lustenau hat als Kinderwunschcoachin ihre Berufung gefunden, nachdem sie selbst die emotionale Belastung eines unerfüllten Kinderwunsches erlebte.

Wie sind Sie Kinderwunschcoachin geworden?
Julia König:
Entstanden ist das Ganze, weil ich eine Weile lang selbst einen unerfüllten Kinderwunsch hatte. Mir ist aufgefallen, dass man neben all dem Medizinischen kaum emotionale Betreuung hat in dieser Situation. Als ausgebildete Psychologin kam mir die Idee, so etwas anzubieten.

Mit welchen Herausforderungen sind Menschen konfrontiert, die zu Ihnen kommen?
König:
Beim unerfüllten Kinderwunsch sind Paare meist schon sehr belastet, wenn sie in die Klinik kommen. Das ist ein langer Weg und sie haben es schon lange erfolglos probiert. In eine Kinderwunschklinik geht man nie gerne. Für Paare ist das meist eine sehr große Herausforderung. Es ist eine Art Teufelskreis: Einerseits ist große Hoffnung da, andererseits ist der Besuch in einer Klinik keine Erfolgsgarantie und es geht doch länger, als man dachte. Es gibt Enttäuschungen, vielleicht eine Fehlgeburt, bei der man dem großen Ziel schon sehr nahe war. Durch die verabreichten Hormone verschärft sich die Situation auch oft. Und es ist für viele auch eine große eine finanzielle Belastung. Da ein Kinderwunsch etwas sehr Privates ist, besteht die Gefahr, dass man sich sozial abkapselt und isoliert.

„Das belastet eine Partnerschaft sehr“
Die NEUE hat Julia König in ihrem „Freiraum“ in Lustenau getroffen. Dieser kann stundenweise für Therapiesitzungen, Yoga oder Anderes gemietet werden.

Auf dieses sehr private Thema werden Paare ja oft und unverblümt angesprochen. Ist der gesellschaftliche Druck so hoch?
König:
Ja, man kommt der Thematik einfach nicht aus. Leider geht ein Kinderwunsch oft auch nicht in Erfüllung und man muss sich einen Plan B überlegen. Das ist Teil meiner Arbeit, mit den Paaren andere Wege zu besprechen, wie zum Beispiel eine Eizell- oder Samenspende, Adoption, ein Pflegekind oder auch ein Leben ohne Kind.

Wie begleiten Sie Paare während dieser Zeit?
König:
Es gibt Tools, mit denen in dieser Behandlungszeit die persönlichen Ressourcen gestärkt werden und mit denen man lernt, nicht alleine für den Kinderwunsch zu leben. Männer und Frauen ticken bei dem Thema in der Regel recht unterschiedlich. Wir stärken daher auch die Kommunikation des Paares, weil diese dabei ein essenzielles Element ist.

„Wer unsicher ist, sollte sich überlegen, was ihm oder ihr im Leben Sinn gibt.“

Julia König, Psychologin

In Deutschland wird derzeit diskutiert, das Verbot für Eizellspenden zu kippen. Wie sehen Sie das?
König:
In unserer Gesellschaft sind die Bildungswege von Frauen länger geworden. Oft fehlt der richtige Partner, Frauen haben viel mehr Möglichkeiten und so entsteht der Wunsch nach einem Baby erst später. Die Eizellreserve und die Qualität erschöpft sich mit der Zeit unbemerkt. Es gibt aber Frauen, die bereit sind, anderen ihre Eizelle zu spenden. In Österreich ist das bereits erlaubt. Für viele ist es aber auch eine große emotionale Herausforderung, das Kind anzunehmen, obwohl es genetisch nicht das eigene ist.

Entstehen so auch ganz neue Familienformen?
König:
Ja, das stimmt, aber die Gesellschaft wird bei dieser Thematik auch immer offener. Vor einigen Jahren war eine Patchworkfamilie noch eine Besonderheit, heute ist das ganz normal. Es wird auch die Thematik Eizell- und Samenspende immer präsenter.

„Das belastet eine Partnerschaft sehr“
Julia König hat bereits mehrere Bücher zum Thema Kinderwunsch und Familienformen veröffentlicht.

Was würden Sie raten, wenn man sich nicht sicher ist, ob ein Kinderwunsch da ist? Ist es so einfach, sich erstmal einen Hund anzuschaffen?
König:
Nein, so einfach ist es garantiert nicht. Wer unsicher ist, sollte sich überlegen, was ihm oder ihr im Leben Sinn gibt. Für viele ist es sinnerfüllend, Liebe an andere Menschen weiterzugeben, Kindern etwas beizubringen, ein gutes Zuhause zu bieten, später vielleicht Enkel zu haben. Andere schätzen eher Werte wie Freiheit, Reisen, berufliche Verwirklichung. Da muss jeder Mensch individuell eine Entscheidung treffen. Das ist etwas zutiefst Persönliches.

Gerade seitens der Politik wird die klassische Familie stark in den Mittelpunkt gerückt. Das muss unerträglich für die Menschen sein, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben.
König:
Für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch gibt es unendlich viele Nadelstiche, die das Thema omnipräsent machen. Das macht die Reise doppelt und dreifach schwierig. Es ist sehr rasch ein emotionales Dilemma und da braucht man eine stabile Situation, gute Freunde und Familie, um das durchzustehen. Darum halte ich psychologische Unterstützung für sehr wichtig, da es ja auch ein Stück weit ein Tabu ist. Es gibt diese Nadelstiche sehr oft, zum Beispiel auch wenn andere Kinder bekommen. Man empfindet Neid, obwohl man das nicht will, und fragt sich, was ist los mit mir?

Ist es ratsam, sich online mit anderen auszutauschen?
König:
Viele tummeln sich in anonymen Foren und lesen Berichte. Das eine hilft vielleicht, aber das andere macht eher Bauchweh. Deshalb sollte man sich vorzugsweise an ausgewiesene Experten wenden, die sich mit der Thematik auskennen.

Wie kann man im Alltag mit so einer Situation umgehen?
König:
Wichtig ist, dass man kommuniziert. Das braucht viel Mut, aber das Umfeld tut sich oft extrem schwer, sich in so eine Lage hineinzuversetzen. Darum sollte man den anderen auch eine Art Anleitung geben, was man gerade braucht, oder was man eben überhaupt nicht braucht.

Kann Coaching den gesellschaftlichen Druck auflösen?
König:
Wenn die Frage kommt: „Wann ist es bei euch soweit?“, finde ich die Antwort, dass das Leben kein Wunschkonzert ist, sehr gut. Das rüttelt vielleicht auch die Fragenden auf, dass das nicht gerade angebracht ist. Gleichzeitig verrate ich nicht dezidiert, dass ich in Behandlung bin. So kann man ehrlich damit umgehen, ohne viel zu verraten. Das Thema sollte aber politisch und medial viel mehr behandelt werden, weil es unglaublich viele Menschen betrifft. Die Betroffenen glauben immer, sie sind alleine, bis sie in ein Kinderwunschzentrum mit vollen Warteräumen kommen.

Wenn man aber sagt, man möchte keine Kinder, kommt meist noch die viel intimere Frage nach dem Warum.
König:
Für solche Situationen sollte man sich einen Satz zurechtlegen, wie man damit umgeht. Dass man sich bewusst dafür entschieden hat und die persönlichen Gründe, die man mitteilen möchte, auch nennt.

Wie wirkt sich ein unerfüllter Kinderwunsch auf eine Partnerschaft aus?
König:
Viele berichten, dass es die größte Herausforderung in der bisherigen Beziehung ist. Frauen sprechen eher darüber, um es sich von der Seele zu reden. Männer sind eher lösungsorientiert oder gehen in Aktion. Das birgt Gefahren- und Konfliktpotenzial.

Wie lange soll man es probieren, bevor man sich für den Kinderwunsch Hilfe sucht?
König:
In der Regel raten Gynäkologen gesunden Paaren nach etwa einem Jahr ungeschütztem Verkehr, weiterführende Untersuchungen zu machen, wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt.

Was sind für Sie berufliche Erfolgsgeschichten?
König:
Da gibt es sehr unterschiedliche. Unglaublich schön ist es, wenn ich von einem Paar mit Kinderwunsch, das ich begleite, ein Babyfoto bekomme. Das tut unendlich gut, wenn man sieht, dass sich manch langer Kampf am Ende lohnt. Für mich ist es aber auch ein Erfolg, wenn ich sehe, dass Menschen mit einem Leben ohne Kinder klarkommen, wovon sie davor dachten, es sei unvorstellbar. Man kann mit unerfülltem Kinderwunsch auch glücklich sein.

„Das belastet eine Partnerschaft sehr“

Zur Person

Mag. Julia König ist Psychologin mit Spezialgebiet Kinderwunsch, Gründerin der Praxisgemeinschaft „Freiraum“ und macht die Ausbildung zur Psychotherapeutin. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht, die sich unter Anderem mit der Aufklärung von Wunschkindern oder Regenbogenfamilien beschäftigen.

www.kinderwunschcoaching.eu
www.freiraum-lustenau.at