Vorarlberg

„Kaum ein Satz endet ohne ein Aber“

07.09.2024 • 07:00 Uhr
„Kaum ein Satz endet ohne ein Aber“

Interview. Petra Voit aus Dornbirn ist Pädagogin und arbeitet in der Personalvertretung für Pflichtschullehrer. Sie spricht über veränderte Elternrollen und neue Anforderungen an das Lehrpersonal.

Wie hat sich der Lehrberuf über die vergangenen Jahrzehnte verändert?
Petra Voit:
Ich bin seit 20 Jahren Pädagogin. Die Herausforderungen sind viel größer geworden, vor allem jene von Eltern an die Lehrpersonen. Das gilt nicht für alle, aber Vieles kommt von dieser Seite. Die Schule ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Die Unterschiede der Kinder werden immer noch größer. Die einen haben ein riesengroßes Wissen, die anderen wissen nicht einmal, wie man einen Bleistift richtig hält.

Wird zu viel Verantwortung auf das Lehrpersonal abgeschoben?
Voit: Eltern wollen, dass ihre Kinder selbständig werden, andererseits sollen sie nicht zu viel Hausaufgaben bekommen, weil da die Eltern dazu schauen müssen und in der Verantwortung sind. Kinder sind unselbständiger geworden und man muss noch individueller auf sie eingehen. Viele sind nicht gewohnt, ein Nein zu hören, oder meinen, sie dürfen bei allem mitbestimmen.

Kommt es wirklich vor, dass Lehrer bedroht werden, wenn die Note nicht aussieht, wie gewünscht?
Voit:
Da wird sogar teilweise mit dem Anwalt gedroht, was extremen Druck aufbaut. So haben die Lehrer anfangen müssen, alles noch genauer zu dokumentieren, damit man Nachweise hat, wenn mit einem Anwalt gedroht wird.

Merken die Schüler, dass das elterliche Vertrauen in die Lehrer schwindet?
Voit:
Sie merken, dass die Lehrer keine Handhabe haben, dass man ihnen mehr Glauben schenkt, als dem Lehrpersonal. Am deutlichsten macht sich das beim Elternsprechtag bemerkbar: Früher hat der Schüler von den Eltern einen Rüffel bekommen, wenn etwas nicht gepasst hat. Heute geht der Rüffel an den Lehrer. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Vielleicht haben manch berufstätige Eltern ein schlechtes Gewissen und glauben, sie müssen dem Kind helfen. Oder sie möchten sich nicht eingestehen, dass ihr Kind so ist, wie es ist. Viele denken, dass die Schule ein Dienstleister ist. Die Schule ist aber eine Behörde. Mit Eltern, die ihre Kinder kennen, kann man super zusammenarbeiten. Andere kennen ihr eigenes Kind kaum, sind aber überzeugt, dass es nicht an ihm liegen kann, wenn es in der Schule schwächer ist. Vielen fällt es in diesem Zusammenhang schwer, den Tatsachen ins Auge zu blicken.

Wird heute mehr diskutiert als früher?
Voit:
Es wird über alles verhandelt und kaum ein Satz endet ohne ein Aber. Es ist auch in den Pausenhöfen zu beobachten, dass es viel extremer geworden ist. Miteinander geredet wird kaum noch, sondern es gibt sehr schnell Handgreiflichkeiten. Auf Social Media bekommt man das auch mit. Da wird ein anonymer Beitrag in eine Elterngruppe geschrieben, dass ein Kind gemobbt wird. Ratschläge: Sofort zur Bildungsdirektion, sofort zur obersten Stelle! Auf die Idee, dass mit der Lehrerin oder mit der Schuldirektion geredet werden könnte, kommen viele nicht mehr. Das Kind kommt nach Hause, erzählt etwas und die Eltern greifen sofort für ihr Kind ein. So lernen die Kinder aber nicht, für sich selbst einzustehen. Eltern sollten ihren Kindern öfter zutrauen, dass sie manche Dinge auch selbst und untereinander regeln können.

Gibt es bei uns Schwierigkeiten mit migrantischen Kindern?
Voit:
Dass ein Drittklässler nicht mit mir reden wollte, weil ich eine Frau bin, habe ich schon vor 20 Jahren selbst erlebt. Es gibt nicht bei allen migrantischen Familien große Unterschiede zu den Einheimischen. Die Kulturen sind sehr verschieden. Manche kennen aber unsere Schulstrukturen nicht und wissen nicht, dass man täglich pünktlich in der Schule sein muss und nicht erst, wenn man ausgeschlafen hat. Das sind neue Herausforderungen, die zu jenen hinzukommen, die es immer schon gegeben hat. Ein großes Problem sind die sprachlichen Defizite, besonders in der Bildungssprache. Es gibt Unterstützung, aber als Lehrperson ist man auch viele Stunden allein in der Klasse und muss versuchen, allen Anforderungen gerecht zu werden. Es ist sehr schade, wenn man den Schülern nicht gerecht werden kann, und weiß, dass manche Schüler niemals die Chancen haben so weit zu kommen, wie es mit Zusatzpersonal möglich wäre. Als Lehrperson kann man sich nicht zerteilen und das treibt manche an den Rand eines Burnouts. Lehrer tun alles für ihre Schüler. Manche sind so in diesem Rad drinnen, dass sie ihre eigene psychische Gesundheit oft vergessen.Es gibt geförderte Supervisionen, die stark in Anspruch genommen werden. Ansonsten ist es schwierig und für die Anzahl der Lehrer, die Unterstützung brauchen würden, gibt es nicht genug. Vermutlich nehmen es auch einige nicht in Anspruch, die es sollten, weil selbst nicht merken, dass sie es brauchen würden.

Gibt es Angebote zur Förderung der psychischen Gesundheit von Lehrpersonal?
Voit:
Es gibt geförderte Supervisionen, die stark in Anspruch genommen werden. Ansonsten ist es schwierig und für die Anzahl der Lehrer, die Unterstützung brauchen würden, gibt es nicht genug. Vermutlich nehmen es auch einige nicht in Anspruch, die es sollten, weil selbst nicht merken, dass sie es brauchen würden.

„Kaum ein Satz endet ohne ein Aber“
Smartphones und Smartwatches bringen neue Herausforderungen in der Schule.

Einige EU-Staaten verbieten Smartphones an Schulen. Wie ist das bei uns?
Voit:
In Österreich gibt es dafür keine Regelungen, sondern die Schulen handhaben das autonom. In machen heißt es kein Handy bis zu einer gewissen Schulstufe, in anderen müssen die Schüler das Smartphone am Schuleingang wegpacken, oder es gehört in den Spind. Es gibt Schüler, die es trotzdem im Unterricht verwenden und dann nimmt man es ihnen bis zum Ende der Stunde weg. Ja, das darf man. In vielen Situationen stört das Smartphone den Unterricht, aber man kann es sehr wohl auch immer wieder gut in den Unterricht integrieren und damit arbeiten. Smartwatches und Kindertracking gehören mittlerweile auch zum Schulalltag und stören den Unterricht.

Hat sich bei den Kindern etwas geändert?
Voit:
Mittlerweile ist es ein Großteil, der früher in die Pubertät kommt. Manche Zwölfjährige könnten als 16 oder 17 durchgehen und haben dann nochmal ganz andere Bedürfnisse, was das soziale Gefüge angeht. Verändert hat sich auch die Team- und Kritikfähigkeit. Wir müssen den Kindern wieder beibringen miteinander umzugehen.

Was sollte passieren, um diese Situation wieder zu entschärfen?
Voit:
In Zeiten des Lehrermangels ist das schwierig. Die Assistenz und die Schulsozialarbeit zur Unterstützung werden aber aufgestockt. Natürlich kann man sagen, dass man den Lehrermangel auch vom Bund aus früher sehen hätte müssen. Wir haben jetzt aber die Situation, die wir eben haben, und müssen zusehen, dass wir da wieder rauskommen. Das Supportpersonal muss jedoch weiter ausgebaut werden.

Was würden Sie jungen Menschen raten, die überlegen, Lehrer zu werden?
Voit:
Wenn mich jemand fragt, antworte ich immer, dass es einer der schönsten Berufe ist, die es gibt. Ich würde es immer wieder machen.

Wie sieht es mit Wertschätzung des Berufs aus?
Voit:
Hier darf man keinesfalls alle über einen Kamm scheren. Alle Eltern wollen nur Gutes für ihr Kind, davon bin ich überzeugt. Das wollen auch die Lehrer, das Ziel ist also dasselbe. Im besten Fall arbeiten Eltern und Lehrer zusammen. Da sind auch Wertschätzung und Respekt wichtig, sowohl von den Eltern gegenüber den Lehrern als auch umgekehrt. Bei uns stehen die Kinder im Mittelpunkt und für sie arbeiten wir, so schwer auch manchmal die Umstände sind, sei es durch Bürokratie oder den Druck von außen. Ich mache diesen Beruf wegen der Kinder. Das geht um einiges besser, wenn man von Elternseite das Vertrauen hat. Viele Eltern schätzen unser Engagement, das heißt aber nicht, dass die Eltern nicht auch in der Pflicht sind.