Vorarlberg

Alles riskieren – Vieles wiedergewinnen

11.01.2025 • 07:00 Uhr
Alles riskieren – Vieles wiedergewinnen
Geschäftsführerin von Die Faehre Isabella Abler hat neben dem Gespräch weitere Hilfsmittel. Stiplovsek Dietmar

Die Faehre ist eine gemeinnützige Einrichtung um Drogen, Abhängigkeit und Suchtfragen in Dornbirn. Menschen, die hier andocken, finden Unterstützung und oft auch neuen Mut, sich ihrer Sucht zu stellen.

Im Rahmen einer psychosozialen Beratung kommt auch die Lebensgeschichte des oder der Süchtigen zur Sprache. Weil es da nicht nur Momente gibt, wo die- oder derjenige sich als das schwarze Schaf der Familie gefühlt hat oder wo Mama für ihn oder sie die Hexe war, weil sie die Familie verlassen hat. Es gibt auch die Momente, wo eine Freundin zum Rettungsanker geworden ist oder die Matura, eine Lehre oder der Führerschein geschafft wurden. Das sind Ressourcen, die in der Suchtberatungsstelle Die Faehre in Dornbirn angeschaut werden: Wer hat damals geholfen, wie hat man die Herausforderung gemeistert, was davon könnte auch jetzt eine Hilfe sein?


In der psyochsozialen Beratung bei Die Faehre kommt, je nach Eignung, das Tool der Lebensstraße zum Einsatz. Hierbei ist jedes Lebensjahr eine Karte, es entsteht eine Reihe von Karten. Auf die jeweilige Karte können Symbole gelegt werden. Eine männliche Figur für den Vater, eine Nähmaschine für die Ausbildung im Textilbereich, ein Rettungsring für etwas, das geholfen hat. Diese kleinen Gegenstände sammelt Geschäftsführerin und Lebens- und Sozialberaterin Isabella Abler. Sie ist unter anderem Symboltherapeutin. In jedem Urlaub geht sie in die unsäglich kleinteiligen, oft kitschigen Souvenirläden und ersteht zwei, drei neue, nicht kitschige Gegenstände für die Lebensstraße ihrer Klienten.

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Das Gefühlsrad kann Klarheit schaffen. Stiplovsek Dietmar

Neuer Fokus

Wenn ihre Klientinnen ihre Lebensstraße etwas später erneut legen, haben sich die Gegenstände, mit denen sie die Jahre garnieren, oft geändert. Die Wahrnehmung auf die anderen, aufs Erlebte, auf Eigenes hat einen neuen Fokus bekommen. Die Dinge sind nicht unverrückbar, unsere Wahrnehmung kann sie verändern. Vor allem strahlt eine geänderte Wahrnehmung auch auf die Gegenwart aus. Auch Gefühle können in den Beratungsgesprächen als Inseln in einem Ozean visualisiert werden.

Vielleicht spürt der Klient am Anfang nur wenige Gefühle oder eines wie Scham sehr stark. Die Klienten machen von ihren Aufstellungen oft selbst Handybilder und schauen diese ab und zu für sich an, um zu überprüfen, was sich geändert hat. Methoden gibt es viele, wenn das Gespräch nicht reicht. Für jüngere Klienten hat Isabelle eine Handpuppe, mit der sie ein Zwiegespräch führt, das ihr Gegenüber aus der Reserve zu locken vermag.

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Wo Worte fehlen, unterstützt die Puppe. Stiplovsek Dietmar

Greifbar

Die Achtsamkeit, die Einhaltung von klaren Regeln, die Einfühlsamkeit, das alles ist in jedem Raum der Faehre mit Händen zu greifen. Grünpflanzen, Malfarben, bequeme Sessel, Fachbücher, Ausblicke aus großen Fenstern: Jeder Raum jeder Mitarbeiterin, jedes Mitarbeiters ist individuell eingerichtet, und doch strahlt alles eine Ruhe und Weitläufigkeit aus. Wie kann die Klientin sich selbst besser kennenlernen außerhalb von Unruhe und Spritzen? Auf welches Netzwerk kann der Alkoholsüchtige zurückgreifen? Welche Ziele sind machbar? Woher kann die eigene Motivation kommen?

Ohne einen eigenen Antrieb, die Sucht zu überwinden, ist genau das nicht möglich, lautet Ablers Erfahrung. Niemand kann Süchtige zur Abstinenz tragen oder gar zwingen. Aber wenn der Wille da ist, kann man sie auf dem Weg stützen, und sei der Weg noch so steinig und lang.

Schuldgefühle

Den eigentlichen Handlungsdruck verspüren oft nicht die Süchtigen, sondern ihre Angehörigen. Sie nehmen Kontakt zu Die Faehre auf und erzählen von Rückfällen, eigenen Schuldgefühlen und möglicherweise von einem drohenden oder bereits passierten Auseinanderbrechen der Familie. Wenn sie Abler fragen, was sie tun sollen, sind sie oft von Angst getrieben. „Wenn ich dem Süchtigen kein Geld für seine Drogen gebe, rutscht er vielleicht in die Kriminalität ab. Wenn ich ihn zur Rede stelle, kommt er vielleicht nicht mehr nach Hause. Wenn wir uns streiten, wird er vielleicht gewalttätig. Wenn ich ihn bitte, zur Drogenberatungsstelle zu kommen, wird er abblocken.“ In solchen Fällen rät Abler, sanft Grenzen zu setzen. Die eigenen Gefühle nicht komplett hintanzustellen. Auch die eigene Verletztheit zu zeigen.


Um deutlich zu machen, dass das mit Beratern und Beraterinnen Gesprochene bei diesen bleibt und nicht als Information an die Angehörigen weitergegeben wird, bekommen Süchtige und ihre Angehörigen jeweils unterschiedliche Berater. Manchmal bietet sich dann ein Vierergespräch an, mit Beraterin, Süchtiger, Berater und Angehöriger. Davor wird sorgfältig abgesprochen, was thematisiert wird und was nicht. Der Schutz von Privat- und Intimsphäre der Betroffenen hat höchsten Stellenwert. Jeder Beratungserfolg in Die Faehre beruht auf Vertrauen. In diesem Raum lernen die Betroffenen auch wieder mehr Selbstvertrauen. Schritt für Schritt. Weil auch ein kleiner Schritt der Beginn eines neuen Weges sein kann. Und weil es jederzeit möglich ist, diesen neuen Weg einzuschlagen.

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