Vorarlberg

Soziale Einrichtungen finanziell unter Druck

15.03.2025 • 16:30 Uhr
Sozialbereich unter Druck
Die Werkstätten der Lebenshilfe sind laut Geschäftsführerin Michaela Wagner-Braito ebenfalls von den Kürzungen betroffen. VOL.AT/Rauch

Soziale Organisationen in Vorarlberg schlagen Alarm: Von Kürzungen besonders betroffen sind ambulante Dienste und Menschen mit Beeinträchtigungen. Die NEUE am Sonntag hat nachgefragt.

Trotz einer nominellen Erhöhung des Sozialbudgets für 2025 stehen viele soziale Einrichtungen in Vorarlberg vor finanziellen Herausforderungen. Teilweise enorm gestiegene Kosten und gezielte Kürzungen in mehreren Bereichen sorgen bei vielen für Unsicherheit. Besonders betroffen sind dabei die Behindertenhilfe, ambulante Sozialdienste sowie Einrichtungen im Bereich der Sucht- und Armutsprävention.

Das Institut für Sozialdienste (ifs) meldet Einschränkungen in ambulanten Fachbereichen. Dowas könne 2025 noch stabil arbeiten, rechnet aber mit künftigen Einsparungen.

Steigender Druck

Auch das Vorarlberger Kinderdorf spürt steigenden Druck. Zwar sind Kernbudgets gesichert, doch im Ambulanten Kinder- und Schulpsychologischen Dienst (AKS) gibt es Stellenkürzungen. Dadurch entstehen Wartelisten, die durch Spenden kompensiert werden müssen.

Familien mit niedrigen Einkommen geraten zunehmend unter Druck und Einrichtungen wie das Kinderdorf müssen für Notfälle einspringen, die früher durch staatliche Unterstützung abgefedert wurden. Geschäftsführer Simon Burtscher-Mathis warnt: „Armut ist oft unsichtbar, aber sie betrifft mehr Menschen, als wir denken.“

Bedenken

Gleichzeitig gibt es Bedenken, dass die aktuellen Einsparungen langfristig höhere Kosten verursachen könnten. Wenn ambulante Dienste gestrichen werden oder nicht ausreichend finanziert sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit Beeinträchtigungen, Suchtkranke oder Familien in Not später auf wesentlich teurere stationäre Betreuung angewiesen sind. „Kurzfristige Einsparungen dürfen nicht auf Kosten der langfristigen sozialen Stabilität gehen“, heißt es aus mehreren Organisationen.

Soziale Einrichtungen finanziell unter Druck
Walter Schmolly von der Caritas verweist darauf, dass der Sozialbereich in Vorarlberg seit Jahren am schrumpfen sei. Hartinger

Walter Schmolly, Direktor Caritas Vorarlberg

Die Caritas Vorarlberg verliert 660.000 Euro aus dem Sozialfonds. Direktor Walter Schmolly warnt: „Von den Kürzungen am stärksten betroffen ist die Arbeit für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wir kommen nicht umhin, sowohl die Öffnungszeiten der Werkstätten und anderer Tagesstrukturen als auch die Beratungs- und Begleitstunden in der ambulanten Betreuung zu reduzieren.“ Diese Einschnitte betreffen nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihre Angehörigen, die dadurch zusätzliche Betreuungsaufgaben übernehmen müssen.
Schmolly sieht eine besorgniserregende Entwicklung, denn der Sozialbereich in Vorarlberg sei in den letzten Jahren geschrumpft: „Es ist zu erwarten, dass es nicht bei diesen Kürzungen bleibt, sondern weitere Einschnitte in den Folgejahren drohen. Jedenfalls kann ich mit Blick auf die Auswirkungen der Kürzungen auf die Betroffenen und auf das soziale Miteinander nur an die politisch Verantwortlichen appellieren, auch in Zeiten enger Budgets nicht bei denen zu sparen, die es ohnehin schon am schwersten haben.“

GF Wagner-Braito
Die Lebenshilfe muss insgesamt 1,7 Millionen Euro einsparen. Lebenshilfe Vorarlberg

Michaela Wagner-Braito, Geschäftsführerin Lebenshilfe Vorarlberg

Die Lebenshilfe Vorarlberg muss ganze 1,7 Millionen Euro einsparen. Betroffen sind insbesondere ambulante Dienstleistungen, darunter Werkstätten, das Familienservice und Qualifizierungsprogramme für Menschen mit Behinderungen.
Geschäftsführerin Michaela Wagner-Braito sieht darin eine erhebliche Belastung für die Klienten und deren Familien: „Es wird unweigerlich zu Leistungskürzungen kommen, die Klienten und ihre Angehörigen betreffen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass auch der Sozialbereich einen Beitrag leisten muss, aber man sollte mit Maß vorgehen.“
Aktuell arbeitet die Lebenshilfe gemeinsam mit der Caritas und dem Land Vorarlberg an einem Maßnahmenpaket, um die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Wagner-Braito betont jedoch, dass Einsparungen in diesem sensiblen Bereich immer soziale Folgekosten nach sich ziehen: „Wir müssen verhindern, dass durch reduzierte Leistungen am Ende mehr Menschen auf stationäre Betreuung angewiesen sind.“

Martina Gasser
ifs-Geschäftsführerin Martina Gasser kündigt “gravierende Folgen” für Menschen mit psychischen und sozialen Belastungen an. Ursula Duenser

Martina Gasser, Geschäftsführerin Institut für Sozialdienste

Das Institut für Sozialdienste (ifs) trifft es besonders im Bereich der Inklusion und Selbstbestimmung. Laut Geschäftsführerin Martina Gasser sind alle ambulanten Bereiche in diesem Segment betroffen. Die Folge: „In der ifs Integrativen Arbeitsstruktur können wir bis auf Weiteres keine neuen Klienten aufnehmen. In der Diagnostik sowie in den Bereichen Soziale Integration und Fundament ist mit Wartezeiten zu rechnen.“
Während bestehende Mitarbeitende ihre Stellen behalten, wurden laufende Bewerbungsverfahren gestoppt und offene Positionen nicht nachbesetzt. Dies verschärft die Personalengpässe und könnte mittelfristig zu einer weiteren Reduzierung der angebotenen Leistungen führen.
Die Auswirkungen auf die Betroffenen sind laut Gasser erheblich: „Besonders für Menschen mit psychischen und sozialen Belastungen kann eine längere Wartezeit gravierende Folgen haben. Hier sind niederschwellige, zeitnahe Angebote essenziell, um eine Verschlimmerung der Problematik zu verhindern.“

Verwaltungsdirektor Hansjörg Herbst
Hansjörg Herbst von der Stiftung Maria Ebene warnt davor, dass weitere Einsparungen die gesamte Gesundheitsversorgung belasten könnten. Maria Ebene/Sams

Hansjörg Herbst, Verwaltungsdirektor Stiftung Maria Ebene

Die Stiftung Maria Ebene, die im Bereich der Suchtberatung und -behandlung tätig ist, ist für 2025 noch finanziell stabil. Laut Verwaltungsdirektor Hansjörg Herbst konnte eine Lösung mit dem Land Vorarlberg gefunden werden, um die Einsparungen kurzfristig abzufedern. Dennoch gibt er zu bedenken: „Langfristig sind strukturelle Anpassungen notwendig.“
Herbst weist darauf hin, dass das Thema Suchtbekämpfung nicht aus dem Blick geraten darf: „Die Nachfrage nach unseren Leistungen bleibt hoch. Sollten in Zukunft weitere Einsparungen erfolgen, würde das nicht nur unsere Einrichtung, sondern auch die gesamte Gesundheitsversorgung belasten.“ Einsparungen bei Beratungs- und Therapiestellen für Suchtkranke in Vorarlberg könnten dazu führen, dass Betroffene länger auf dringend benötigte Therapieplätze warten müssen.

Soziale Einrichtungen finanziell unter Druck
Landesrätin Martina Rüscher ist auf Landesebene unter anderem für den Bereich Soziales verantwortlich. Steurer

“30 Prozent mehr Finanzierungsbedarf”

Landesrätin Martina Rüscher erklärt im Interview, warum die Einsparungen getroffen wurden, wie Härtefälle abgefedert werden sollen und welche Strategie das Land im Sozialbereich verfolgt.

Wie begründet die Landesregierung die Kürzungen bzw. die fehlende Anpassung an die Inflation?
Martina Rüscher:
Der Voranschlag für den Sozialfonds weist seit 2019 auf Grund der hohen Steigerungen der Vorjahre ein Plus von 30 Prozent des Finanzierungsbedarfs seit 2019 auf. Das entspricht einer Erhöhung um 100 Millionen Euro im Jahr 2024 im Vergleich zu 2019. Dieser Anstieg wurde vor allem durch hohe Personalkostenindexsteigerungen verursacht.
Gesamt befinden sich die Landes- und Gemeindehaushalte auf Grund der Krisenjahre (Corona Pandemie, Ukraine Krise, Teuerung) – ebenso wir der Bundeshaushalt – in einer sehr angespannten finanziellen Situation. Eine Dämpfung weiterer Kostensteigerungen ist dringend notwendig und hat das Ziel, den Sozialfonds auf dem aktuellen hohen Niveau zu stabilisieren. Eine Anpassung an die Inflation erfolgte die letzten Jahre immer und wird im Rahmen der gewährten Indexzahlungen umgesetzt. Mit Jänner 2025 wurden alle Tarife des Vorarlberger Sozialfonds um 3,5 Prozent indexiert.
Im Bereich Chancengleichheit wurden bei sieben Trägern vorläufig 92 bis 94 Prozent des geschätzten Bedarfs bewilligt. Die Lösungen hierfür sind individuell und werden mit allen Trägern genau beleuchtet. Im Jahr 2025 wird ein umfassender Strukturprozess für den Sozialfonds durchgeführt um nachhaltige strukturelle Anpassungen zu entwickeln.

Wie sollen die betroffenen Einrichtungen trotz der Einsparungen weiterhin ihren sozialen Auftrag erfüllen?
Rüscher: Die Kürzungen betreffen nur einzelne Angebote, nicht die gesamte Finanzierung. 92 bis 94 % der Mittel sind gesichert. Die Einsparungen beziehen sich auf ambulante, nicht versorgungskritische Leistungen, sodass der soziale Auftrag weiterhin erfüllt werden kann.

Gibt es Maßnahmen, um Härtefälle abzufedern?
Rüscher:
Die Situation und die Auswirkungen der Maßnahmen werden nach Ablauf des ersten Halbjahres gemeinsam mit den Trägern evaluiert. Sollte dieser Dämpfungspfad auch nach Prüfung weiterer Möglichkeiten (z.B. Umschichtungen, Auflösung von Rücklagen, Strukturoptimierungen) absehbar im zweiten Halbjahr nicht eingehalten werden können, werden die Leistungsbereiche nach Verfügbarkeit budgetärer Mittel des Sozialfonds durch ein entsprechendes Nachtragsbudget verstärkt.

Welche langfristige Strategie verfolgt das Land Vorarlberg im Sozialbereich? Sind weitere Kürzungen zu erwarten?
Rüscher:
Mit dem Vorarlberger Gemeindeverband wurde ein umfassender Strukturprozess für alle Leistungen des Sozialfonds vorbereitet. Neben den Einsparungszielen geht es im kommenden Strukturprozess des Sozialfonds vor allem darum, die Leistungen genau zu analysieren und zu klären welche Wirkungsziele im Sozialfonds künftig priorisiert werden sollen, welche Bereiche wir aktuell finanzieren die nicht in unserer Zuständigkeit liegen bzw. zu klären, wo es Doppelgleisigkeiten gibt und wir Synergien besser nutzen können.