Zwischen Zeitdruck und Zündschlüssel

Ein Vormittag mit Berufskraftfahrer Markus Müller: Er spricht Klartext über Gesundheit, Lärm, Zeitdruck und fehlenden Respekt.
Am Grenzübergang Hörbranz darf ich auf dem Beifahrersitz von Markus Müllers 40-Tonner Platz nehmen. Mit 27 Tonnen Kartoffeln für die Firma 11er fahren wir über die A14 nach Frastanz. Müller liebt seinen Job, in dem er seit 36 Jahren tätig ist, wie er mir erzählt. Auf die Frage, was sich in seiner Zeit als Kraftfahrer geändert hat, antwortet Müller: „Früher war das Fahren ein Abenteuer. Du bist losgefahren, hast Länder und Leute kennengelernt. Heute ist alles durchgetaktet: Dispo, Kontrolle, Zeitdruck. Du hast kaum noch Spielraum. Und der Stress auf der Straße ist massiv gestiegen. Heute zählt jede Minute und jede Überschreitung wird registriert.“


Park- und Rastplätze
Die Ruhezeiten angesprochen, landen wir beim Thema Rastplätze. Hier hat Müller eine ganz klare Meinung: „Ein Parkplatz ist kein Rastplatz. Wenn ich irgendwo übernachten muss, brauche ich Ruhe, Sanitäranlagen und ein Minimum an Komfort.

Viele Kollegen schlafen am Tag, weil sie nachts fahren, und dann stehen sie – beispielsweise beim neuen Parkplatz Dornbirn Nord – mit dem Fahrerhaus Richtung Autobahn. Da brauchst du kein Lärmmessgerät, um zu wissen, dass das nicht erholsam sein kann. Wir haben teilweise noch Parkplätze aus den 70er Jahren, mit einem völlig veralteten Grundkonzept.“



DocStop
Um die Situation zu verbessern, engagiert sich Müller für seine Berufsgruppe, unter anderem im Netzwerk DocStop: „DocStop ist ein gemeinnütziges Netzwerk, das Fahrern medizinische Hilfe entlang der Route ermöglicht: schnell, unbürokratisch, kostenlos. Sachen wie Zahnweh, Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen. Eben das, was unterwegs plötzlich auftreten kann“, erklärt der 53-Jährige, der für die Firma Bischof Transporte fährt. Auch sein Arbeitgeber ist ein Partnerbetrieb von DocStop. „Wenn ein Fahrer medizinische Hilfe braucht, kann er auf dem Firmengelände sicher parken, und es wird ihm geholfen. Entweder über den Betriebsarzt oder durch Vermittlung über das DocStop-Netzwerk.“


Fit im Kopf
Ich frage Müller, wie es um die psychische Gesundheit bestellt ist: „Das ist ein Riesenthema, über das viel zu wenig gesprochen wird. Ich hatte 1998 einen schweren Unfall im Walsertal, bei dem ein Mann ums Leben gekommen ist. Damals gab es keine Krisenintervention, keine Notfallpsychologen.“ Er musste das alleine verarbeiten. Und obwohl das Jahrzehnte zurückliegt: „Es vergeht keine Woche, in der ich nicht daran denke.“

Heute sei das besser geworden, mit professioneller Hilfe, strukturierten Angeboten und mehr Bewusstsein für das Thema. „Ein Fahrer, der psychisch nicht fit ist, hat trotzdem die 40 Tonnen unter sich. Wenn du angeschlagen bist, übermüdet, mit dem Kopf nicht bei der Sache, kann das lebensgefährlich werden.“ Markus fordert mehr Sensibilität, konkrete Angebote und eine Kultur, in der sich Fahrer trauen können, über diese Belastungen zu sprechen.

Miteinander auf der Straße
„Es geht nicht nur um uns Lkw-Fahrer, es geht um ein Miteinander auf der Straße. Wenn ich mit 84 auf der rechten Spur fahre und einer mit 86 überholen will, dann lass ich ihn halt und werde etwas langsamer. Zwei, drei km/h machen für ihn auf lange Strecke viel aus. Und ich verliere dabei nichts.“ Seit der Pandemie seien die Leute auf der Straße aggressiver geworden: „Jeder meint, er muss sofort durch, jeder hat‘s eilig. Und wenn dann ein Lieferwagen kurz in zweiter Spur steht, weil er ein Paket bringt, wird gleich gehupt.“ Oft werde vergessen, was die Berufsgruppe leistet: „Wenn du heute was bei Amazon bestellst, drückst du auf Enter und irgendwo in Europa dreht sich ein Zündschlüssel, damit du dein Paket kriegst. Innerhalb von 48 Stunden. Wenn in der Früh beim Spar die Frischeabteilung voll ist, war in der Nacht jemand unterwegs. Das sehen viele nicht, weil es selbstverständlich geworden ist.“ Markus wünscht sich mehr Verständnis und dass man sich vielleicht fragt: „Was macht der da eigentlich – und was hat er schon hinter sich?“


Am Ende unserer Fahrt steigt Markus ruhig aus dem Fahrerhaus. Keine großen Gesten, kein Lamentieren, aber auch keine Resignation. Er kennt die Probleme seines Berufs genau, benennt sie offen und bleibt dabei sachlich. Er will nicht klagen, sondern mitgestalten und hat die Hoffnung, dass Gesellschaft und Politik sich daran erinnern, wie zentral diese Arbeit für das tägliche Leben ist: „Wir sind keine Helden. Aber ohne uns fährt halt nichts.“



