Vorarlberg

„Es geht nicht um irgendwelche Zahlen, es geht um Menschen“

10.11.2025 • 13:07 Uhr
„Es geht nicht um irgendwelche Zahlen, es geht um Menschen“
Hannah Rinnhofer steht vor dem Krankenhaus Dornbirn, wo ihr Sohn seit Jahren medizinisch betreut wird. NEUE

Der „Spitalscampus Vorarlberg“ löst bei vielen Betroffenen Unbehagen und Verunsicherung aus. So auch bei Hannah Rinnhofer, Mutter eines schwerkranken Kindes.

Für die Familie Rinnhofer aus Dornbirn ist das Stadtspital mehr als nur ein Krankenhaus. Es ist ein vertrauter Ort und leider auch ein Teil des Alltags. Der fünfjährige Sohn von Hannah Rinnhofer hat eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung. Mehrmals im Monat ist sie mit ihrem Kind zu Untersuchungen, Kontrollen oder Therapien im Krankenhaus Dornbirn.

Spezialisierte Betreuung

„Wir sind fast jede Woche hier – manchmal sogar öfter“, erzählt sie. „Es macht einen riesigen Unterschied, ob wir hin und retour in zehn Minuten beim Spital sind oder ob wir eine Stunde Fahrzeit einplanen müssen.“ Die geplante Verlegung der pädiatrischen und gynäkologischen Abteilungen nach Bregenz sorgt bei ihr, und vielen anderen Eltern für große Verunsicherung.

Ihr Sohn benötigt aufgrund seiner Krankheit regelmäßige onkologische Betreuung und Therapien. Das eingespielte Team in Dornbirn kennt die Krankheitsgeschichte seit Jahren, viele Abläufe funktionieren routiniert. „Das Fachpersonal hier weiß genau, worauf es bei uns ankommt. Man kennt die Gesichter, die Wege sind kurz, die Atmosphäre ist familiär, das ist in unserer Situation unbezahlbar“, sagt Rinnhofer.

Spitalcampus Vorarlberg

Doch dieser vertraute Rahmen könnte bald verschwinden. Im Zuge des Projekts „Spitalscampus Vorarlberg“ sollen die Abteilungen für Gynäkologie, Geburtshilfe und eben Pädiatrie künftig in Bregenz gebündelt werden. Nach Plänen des Landes soll so einer der größten Eltern-Kind-Schwerpunkte Westösterreichs entstehen. Mit modernen Räumen, spezialisierten Teams und einer rund um die Uhr verfügbaren Neonatologie.

„Es geht nicht um irgendwelche Zahlen, es geht um Menschen“
Hannah Rinnhofer macht sich stark für den Erhalt der Kinderstation in Dornbirn. NEUE

Die zuständige Landesrätin Martina Rüscher begründet diesen Schritt mit der langfristigen Sicherung von Qualität und Stabilität in der Gesundheitsversorgung. „Nur durch die gezielte Bündelung personeller und fachlicher Ressourcen können stabile, rund um die Uhr verfügbare Teams geschaffen und attraktive Arbeitsbedingungen gesichert werden.“ Patienten mit komplexen Krankheitsbildern profitierten laut Rüscher besonders davon, wenn Expertise an einem Standort konzentriert sei.

Das Projekt sieht eine schrittweise Umsetzung vor: Die organisatorische Zusammenführung ist ab 2026 geplant, die baulichen Maßnahmen ab 2028. Bis spätestens 2030 soll der gesamte Prozess abgeschlossen sein. Ziel, so Rüscher, sei eine „hoch­spezialisierte, sichere und moderne Versorgung für Mütter, Kinder und Familien“.

„Es geht nicht um irgendwelche Zahlen, es geht um Menschen“
Blick zum neuen Standort: Im Landeskrankenhaus Bregenz sollen künftig die Kinder- und Frauenstationen gebündelt werden. Stiplovsek

Unverständlich für Betroffene

Für Hannah Rinnhofer klingt dies dennoch beunruhigend. In einer Mail an die Landesrätin zeigt sie sich enttäuscht über die Entscheidung und die Kommunikation rund um das Vorhaben. Für sie ist die geplante Verlegung „unverständlich und respektlos gegenüber den Menschen, die tagtäglich auf die Versorgung im Stadtspital angewiesen sind.“

Rinnhofer kritisiert, dass Dornbirn, die größte Stadt des Landes, künftig keine eigene Kinderstation mehr haben soll. „Das betrifft keine Zahlen, es betrifft Menschen“, schreibt sie. „Menschen in belastenden Situationen, Familien, Personal, das sich über Jahre engagiert hat.“ Auch das Argument, dass längere Fahrzeiten nur wenige Minuten ausmachen würden, lässt sie nicht gelten. Sie verweist auf die häufig überlasteten Verkehrsverbindungen zwischen Dornbirn und Bregenz, insbesondere rund um den Pfändertunnel und dem Güterbahnhof Wolfurt.

„Es geht nicht um irgendwelche Zahlen, es geht um Menschen“
Bald soll das Schild der Dornbirner Kinderstation bald soll er Geschichte sein. NEUE

„Wer mit einem fiebernden Kind, das zusätzlich auch eine Chemo bekommt, im Stau steht, für den sind diese Minuten entscheidend“, sagt sie im Gespräch mit der NEUE. „Gerade in Akutsituationen zählt jede Minute, und wenn man zusätzlich noch Betreuung, Arbeit und Alltag organisieren muss, wird das zur Zumutung.“

Überraschende Wendung

Neben der praktischen Erreichbarkeit nennt Rinnhofer vor allem das Verlustgefühl Betroffener. „In Dornbirn wurde in den letzten Jahren viel aufgebaut, neue Kreißsäle, moderne Infrastruktur, eingespielte Teams. Dass das alles jetzt abgezogen werden soll, ist schwer zu verstehen.“ Auch das Personal habe, so erzählt sie, auf die Zusammenlegung in Dornbirn hingearbeitet und sei von der nun beschlossenen Richtung überrascht worden.

Die Diskussion um die künftige Spitalsstruktur hat in den vergangenen Wochen hohe Wellen geschlagen. Mehr als 50.000 Menschen unterzeichneten eine Petition gegen die Verlegung. In sozialen Medien und Leserbriefen äußern sich Ärzte, Pflegekräfte und Bürger besorgt über die geplante Zentralisierung.

„Es geht nicht um irgendwelche Zahlen, es geht um Menschen“
Landesrätin Martina Rüscher betont, dass die Zusammenlegung Teil einer langfristigen Strategie für eine moderne und spezialisierte Versorgung in Vorarlberg sei. Stiplovsek

Rinnhofer beschreibt gegenüber der NEUE, dass gerade chronisch kranke Kinder von vertrauten Strukturen profitieren. „Unser Sohn kennt die Station, die Menschen dort, die Abläufe. Er geht gern ins Spital, so absurd das klingt, weil er sich sicher fühlt.“ Diese Sicherheit könne in einem großen, neuen Umfeld verloren gehen. „Wenn Wissen, Erfahrung und Vertrauen auseinandergerissen werden, trifft das die Schwächsten zuerst.“

Auf die Frage, was sie sich von der Politik erhofft, antwortet sie: „, Dass man sich Zeit nimmt, die Betroffenen anhört und die Prozesse so gestaltet, dass das Personal mitgenommen wird.“

Anspruchsvoll aber nötig

Landesrätin Rüscher betont in einer E-Mail an Rinnhofer, in welcher sie auf die geäußerten Bedenken antwortet, dass genau dieses Ziel verfolgt werde: „Die Weiterentwicklung unseres Spitalswesens soll sicherstellen, dass Kinder, Frauen und Familien in Vorarlberg auch in Zukunft die bestmögliche Versorgung erhalten.“ Der Weg dahin sei anspruchsvoll, aber notwendig. Patienten mit komplexen Krankheitsbildern profitierten laut Rüscher besonders davon, wenn Expertise an einem Standort konzentriert sei.

Für Hannah Rinnhofer ist klar: „Ich weiß, dass es große Strukturen braucht. Aber ich wünsche mir, dass man die kleinen Menschen dahinter nicht vergisst.“

(NEUE Vorarlberger Tageszeitung)