Industrieland Österreich steht unter Druck

Hohe Energiepreise schwächen Österreichs Exportstärke. WKO-Generalsekretär Kopf sieht die Situation als “bedrohlich” an.
Die Lage an den Energiemärkten hat sich im Vergleich zum Vorjahr absolut beruhigt. Dass es künftig wieder Energie zu Preisen wie vor dem Ukraine-Krieg gibt, das erwarten Ökonomen aber nicht – wenngleich Spotmarkt-Gaspreise tageweise schon wieder Niedrigmarken erreichten.
Was heißt das für Österreich als Industriestandort? Die Sorge vor einer Deindustrialisierung, deren Gewinner die USA und China sein dürften, macht schon seit vielen Monaten die Runde. “Europa ist Verlierer, Österreich besonders”, sagt Wifo-Chef Gabriel Felbermayr. Im Auftrag der Wirtschaftskammer hat das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo jetzt in verschiedenen Szenarien errechnet, wie die Energiepreise an Österreichs Wettbewerbsfähigkeit nagen, wie viel Exportkraft das Land einbüßt. 300 Unternehmen befragte das Wifo dazu, das schlechteste der sieben errechneten Szenarien sieht einen Rückgang von Österreichs Industrieproduktion von bis zu sieben Prozent. In mittleren Szenarien sind es etwa vier Prozent. “Es sind besonders die energieintensiven Industrien, um die wir uns Sorgen machen müssen”, sagt Wifo-Chef Gabriel Felbermayr.
Abbau in Schlüsselbranchen
In Deutschland, Österreichs mit Abstand größtem Wirtschaftspartner, dürfte Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, die Debatte gerade frisch befeuern. “Wir beobachten in einer Reihe von Industrien, darunter mit Chemie und Auto in zwei Schlüsselbranchen, einen Abbau”, so Fuest am Mittwoch in einem vorab veröffentlichten “Zeit”-Interview.
Aus der österreichischen Perspektive will WKÖ-Generalsekretär Karl-Heinz Kopf zwar nicht von einer alarmierenden Entwicklung sprechen, aber von einer “bedrohlichen Situation”. Unternehmen prüften bei Investitionen “haarscharf”, ob sie nicht besser woanders passieren sollten. Mit der in Österreich überdurchschnittlich hohen Inflation und den zu erwartenden höheren Lohnkosten ergebe sich ein toxischer Cocktail für Österreichs Wirtschaft. Die Hälfte der Unternehmen fürchten der Umfrage zufolge Verschlechterungen der Wettbewerbsfähigkeit. 80 Prozent von Österreichs Exporten gehen in europäische Länder, 69 Prozent in die EU-27.
“Das wäre überhaupt keine gute Sache”
In Deutschland wird intensiv an Gegenrezepten gearbeitet. Brandneu sind Pläne für niedrigere Unternehmenssteuern mit Investitionsprämien und Forschungsförderungen. Zudem wird schon länger an einem Niedrigst-Stromtarif von sechs Cent je Kilowattstunde für die Industrie gearbeitet. Das sieht Felbermayr allerdings ebenfalls mit großer Sorge. “Das wäre überhaupt keine gute Sache”, sagt er. Denn Österreich müsste dann nachziehen, sprich mit viel Steuergeld für ein ähnliches Preisniveau sorgen. “Im Idealfall läge der Strompreis durch massiven Ausbau der Erneuerbaren unter sechs Cent”, so Felbermayr. Grundsätzlich ist das keine abwegige Illusion, im Mai war an Tagen mit besonders hoher erneuerbarer Strom-Erzeugung der Spotmarktpreis gegen null gegangen.
Bei Investitionen auf der Bremse
Felbermayr räumt allerdings ein, dass die im Jänner erfolgten Firmen-Umfragen nicht berücksichtigten, wie Unternehmen ihre Strategien neu ausrichten. Allerdings hatten 58 Prozent der Unternehmen erklärt, bei Investitionen auf der Bremse zu stehen, eine Ausnahme bilden Investitionen in bessere Energieeffizienz, hier sagten 84 Prozent, Geld in die Hand nehmen zu wollen. Wifo-Experte Werner Hölzl sieht die kurzfristig hebbaren Potenziale als technologisch limitiert an. Eine positive Nachricht aus der Umfrage: Forschung und Entwicklung werden nicht zurückgefahren. Ein großes Thema ist dagegen die Neuorganisation von Lieferketten.
Felbermayr empfiehlt, auf europäischer Ebene weiter massiv auf eine Entkoppelung der Strom- und Gaspreise zu drängen. Wenn es für grünen Stahl oder grünen Zement aus Preisgründen derzeit noch keinen Markt gebe, so Felbermayr, könnten dennoch über “Leitmärkte” Standards gesetzt werden, etwa indem ein Mindestanteil von grünem Stahl in jedem Auto politisch festgelegt werde. Tatsächlich könne der Umbau der Industrie über ein wirksames Klimaschutzgesetz unterstützt werden. Kopf kann sich vorstellen, dass in Produktionen europäische Komponenten bevorzugt werden.