Wirtschaft

OMV-Gazprom: Ausstieg kostet Milliarden

22.07.2023 • 14:05 Uhr
Otto Musilek war viele Jahre Top-Manager bei der OMV und dort auch für Gaslieferverträge mit der russischen Gazprom verantwortlich
Otto Musilek war viele Jahre Top-Manager bei der OMV und dort auch für Gaslieferverträge mit der russischen Gazprom verantwortlich. (c) Christoph Kleinsasser (Christoph Kleinsasser)

Otto Musilek war viele Jahre Top-Manager bei der OMV und dort auch für Gaslieferverträge mit der russischen Gazprom verantwortlich.

Sie haben viele Jahre den Gas-Bereich der OMV geleitet und kennen aus dieser Zeit die Verträge mit der Gazprom. Die 2018 verlängerten Verträge laufen bis 2040. Klimaministerin Leonore Gewessler will, wie es die EU plant, bis 2026 aussteigen. Ist das realistisch?
OTTO MUSILEK: Man darf sicher diskutieren, wie gescheit es war, die Verträge bis 2040 zu verlängern. Es war nicht gescheit. Für realistisch halte ich einen früheren Ausstieg aber nicht. Das sehen die Verträge nicht vor.

Sollte man einen Manager dafür belangen können?
Herr Seele ist ein Geschäftsmann, ich nehme Manager nicht in Schutz, aber ich glaube einmal, dass dieser Krieg für ihn nicht vorhersehbar war. Nach der Krim-Annexion hätten wir viel mehr Warnungen von den Geheimdiensten bekommen müssen. Jetzt finde ich einfache Schuldzuweisungen – auch an Politiker – etwas billig.

Kann man denn davon ausgehen, dass die neuen Verträge ähnlich wie die früheren sind?
Sehr wahrscheinlich. Ich habe 30 Jahre Erfahrung mit Verträgen, natürlich gibt es Unterschiede, die Russen-Verträge hatten immer 30 bis 35 Seiten Umfang, die Norwegen-Verträge mehr als das Doppelte. Sie beinhalten immer den Startzeitpunkt, Endzeitpunkt, eine Aufbauphase, eine Auslaufphase. Es gibt Jahres-, Monats, Wochen- und Tagesmengen. Die Klausel Take or Pay, also auch bei Nichtabnahme zahlen zu müssen, ist üblich.

Über die Take or Pay-Klausel gab es viele Diskussionen.
Sie ist aber nicht zu verurteilen. Glauben Sie, jemand errichtet eine Biogasanlage, ohne dass er eine Abnahmegarantie hat? Niemand will auf seiner Investition sitzen bleiben, ohne dass er Sicherheiten hat.

Kann man Mengen reduzieren?
In einer gewissen Schwankungsbreite, nach Anmeldung. Es gibt unterschiedliche Jahresminimum-Mengen, die zwischen 80 und 90 Prozent liegen. Das ist aber alles nicht relevant für die Beurteilung, kann ich aussteigen oder nicht. Ich ärgere mich deshalb sehr, wenn Politiker und ihre Berater sagen, sie kennen die Verträge nicht. Ich denke mir, das sind Ausreden. Natürlich ist es ausgeschlossen, zwischen zwei Firmen abgeschlossene Verträge zu veröffentlichen. Das geht nirgends auf der Welt, aber das hätte auch keinen Mehrwert.

Warum?
Entscheidend ist, dass man ohne einvernehmliche Lösungen durch die Take or Pay-Verpflichtung bis 2040 zwischen 25 und 35 Milliarden Euro zahlen müsste, ohne einen Kubikmeter Gas dafür zu bekommen.

Zur Person

Otto Musilek, geboren am 10. 12. 1948 in Wien. Der ausgebildete Ingenieur der Elektrotechnik plante ab den 1970er Jahren Pipelines. 1976 Eintritt in die OMV.

Ab 1980 verhandelte Musilek die Gasimportverträge. 1997 bis 2001 war
er Leiter des Geschäftsbereiches Erdgas. 2001 bis 2007 Geschäftsführer der OMV Gas GmbH.

Seit 2008 ist er selbstständiger Berater, seit 2012 Aufsichtsrat der deutschen Unternehmen GASCADE und NEL.

Wie haben Sie das berechnet?
Mit einem mittleren Gaspreis von 30 Euro pro Megawattstunde für 60 Milliarden Kubikmeter Gas plus Transportkosten. Den Preis in zehn Jahren oder andere Parameter wie CO₂-Abgaben kann man natürlich nicht so weit voraussehen.

Sehen Sie angesichts des Krieges eine Chance, die Verpflichtungen zu ändern, auszusteigen?
Ich schicke voraus, dass ich den Krieg aufs Schärfste verurteile, aber wenn ich mich rein wirtschaftlich in die Position der Russen versetze, dann ist die Frage: Was kriege ich dafür? Es könnte Klauseln geben, dass man eine Vertragsrevision anmeldet. Schwer wird das, wenn man mehr Gas woanders kauft.

2022 stoppte Gazprom die Lieferungen teilweise. Wie sehen Sie die Chancen einer Klage?
Sie sind gering, es gab keinen kompletten Lieferstopp. Bis zu einem endgültigen Urteil würden zudem Jahre vergehen.

Wir finanzieren einen Krieg. Der Krieg ändert die Verhältnisse.
In Russland steht, ist ein Diktator an der Spitze. Dem wird das egal sein. Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass der große Lieferant Russland ausfällt für Europa. Wohl auch deshalb hat die OMV jetzt die Entscheidung getroffen, mit vier Milliarden Euro das Neptun-Feld zu erschließen.

Die OMV hat sich vor Kurzem große westeuropäische Pipeline-Kapazitäten gesichert, jährlich für 40 Terrawattstunden bis 2026 und weitere zwei Jahre 20 Terrawattstunden. Ein Hinweis, dass man weniger Gas aus Russland beziehen will?
Dem würde ich widersprechen. Pipeline-Kapazitäten in einer regulierten Welt zu buchen, sollte kein Problem sein. Dass ein Unternehmer gesagt hätte, wir können das unmöglich transportieren, würde mich eher überraschen. Die ganze EUGAL, Europäische Gasanbindungsleitung, von Greifswald bis nach Tschechien, liegt der OMV zu Füßen. Die zwei Riesen-Stränge sind fast leer.

In der EU liegt der Anteil von russischem Gas bei sieben Prozent, in Österreich bei 70 Prozent.
Mit solchen Zahlen stellen wir uns selbst an den Pranger. Weil wir angeblich so böse sind, dem Putin das Geld in den Rachen stopfen und die anderen Länder schon so viel weiter sind. 2022 wurden 19 Milliarden Kubikmeter russisches LNG in die EU importiert. Warum schreibt das niemand?

Ist es nicht selbstverständlich, zu überlegen, wie Österreichs Weg anders aussehen könnte, müsste?
Absolut, aber führen wir diese Debatte bitte vernünftig und nicht voller Selbstvorwürfe. Wenn die Österreichische Energieagentur über die Geschichte der russischen Gasverträge schreibt, sollte das nicht so sein, als wären wir eines der schlimmsten, politisch unfähigsten Länder in der EU.

Claudia Haase im Gespräch mit Otto Musilek
Claudia Haase im Gespräch mit Otto Musilek.Kleine Zeitung

Der langjährige, jetzt pensionierte wissenschaftliche Leiter der Energieagentur sagt, dass Österreich seine Gaslieferungen nicht ausreichend diversifiziert hat und die Politik alle wichtigen Fragen als privatwirtschaftliches Thema der OMV angesehen hat.
Vieles, was Professor Lechner von der Energieagentur gesagt hat, ist richtig. Aber nicht alles. Es hat viele Versuche der Diversifizierung gegeben. Ende der 1970er Jahre gab es schon einen Iran-Gas-Liefervertrag, er kam nicht zustande, weil 1979 der Schah gestürzt wurde.

Bemühte sich die OMV genug?
Ich kann Ihnen alle Länder nennen, wo ich war, wo wir uns bemüht haben. Wenn gewünscht, mit Jahreszahlen. Algerien: Das Gas war zu teuer, auch der Transport über Italien. Niederlande: Ich habe die Holländer förmlich angebettelt. Die Antwort war, nein, wir liefern nur an Bestandskunden. Katar: Wir hätten eine Milliarde Kubikmeter gekauft, das kostete die ein Schmunzeln. Norwegen: Wegen des 30 Prozent höheren Preises haben wir nur eine Milliarde Kubikmeter zusammengebracht, mit Option auf weitere 500 Millionen.

Entscheidend war nur der Preis?

Die ersten, die damals ausgestiegen sind, waren die Oberösterreicher, weil sich die Industrie kein 30 Prozent teureres Gas leisten konnte. Dort gab es einfach weniger Flächenversorgung. Wien konnte das lockerer wegstecken, weil man den Gaspreis für die vielen Haushalte ein bisschen erhöht hat. Das sind einfach Tatsachen, die man zur Kenntnis nehmen muss. Der Vertrag mit Norwegen wurde schließlich 1986 abgeschlossen, 1993 kam das erste Gas. So lange hat es gedauert, weil das Gasfeld erst erschlossen werden musste.

Sie waren einer der Architekten der Nabucco-Pipeline, warum ist die gescheitert?
Die war erst auf den Iran ausgerichtet, die USA waren gegen iranische Gasimporte. Ich will nicht den Amerikanern allein die Schuld geben. Später sollte Nabucco einen Anschluss nach Aserbaidschan bekommen. Ich war damals immer allein in Baku, ohne einen OMV-Chef. Ich habe da schon Emotionen. Glauben Sie, dass ein Politiker mit mir irgendwo war? In Bulgarien, Rumänien, der Türkei oder in Ungarn? Null! Der Einzige, der mich unterstützt hat, war der ehemalige Energiekommissar Andris Piebalgs aus Lettland. Übrigens hat der damalige E-Control-Chef Walter Boltz, der heute Berater von Ministerin Gewessler ist, damals von seiner Seite nötige Ausnahmegenehmigungen für die Nabucco auch nicht erteilt. Und wenn der ehemalige OMV-Chef Gerhard Roiss heute als Berater sagt, man hätte das Schwarzmeergasfeld Neptun früher entwickeln müssen, kann ich nur sagen: Da war er Generaldirektor. Er hat die Erschließung wohl nicht durchgesetzt, weil die sehr teuer ist. Ich glaube auch, dass die OMV bei der jetzt geplanten Erschließung nicht mit vier Milliarden Euro auskommen wird und alles länger dauern wird.

Könnte man die Situation vor der Krise vielleicht so charakterisieren, dass die Politik tiefenentspannt oder teilweise sogar desinteressiert an Energiefragen war?
Genau so war es. Man hat heute einen völlig anderen Blick auf die Dinge. Deshalb ärgert es mich, wenn seltsame Dinge kolportiert werden, einer gescheiter redet als der andere und die Experten heute so klug sind.

Laut Verstaatlichten-Holding ÖBAG ist die Herauslösung des OMV-Gasbereichs, wie das Roiss, Boltz und Ministerin Gewessler vorschlagen, kein Thema mehr. Gewessler hält aber weiter daran fest.
Eine Herauslösung macht null Sinn, wäre extrem komplex, irre teuer. Man müsste ein enormes Risiko auf die Republik überwälzen. Die OGMT ohne die Russenverträge herauszulösen, wird es nicht spielen. Die Krise lässt sich doch nicht durch absurde Umorganisation managen. Die Politik soll der OMV einfach besser zur Seite stehen, mit in Länder reisen und mit Garantien helfen, etwa um Preisunterschiede abzufedern. Übrigens hat Boltz damals die von seiner Seite notwendigen Ausnahmegenehmigungen für die Nabucco auch nicht erteilt.

Könnte die europäische Einkaufsplattform für Gas eine nationale Koordinationsstelle für Gaseinkauf obsolet machen?
Das kann ich nicht sagen. Aber sicher sind einige Fragen in Brüssel zu klären. Wer verhandelt federführend? Die europäischen Interessen sind sehr unterschiedlich, auch in Bezug auf die Preise.

Ministerin Gewessler fordert Versorger auf, mehr nichtrussisches Gas einzuspeichern. Sollte man sie dazu auch verpflichten?
Gut gefüllte Speicher zu haben, ist sicher kein Nachteil. Grundsätzlich ist es gebundenes Kapital. Was üblicherweise nicht an die große Glocke gehängt wird, ist, dass wir trotz des enormen Speicherraums, den wir in Österreich haben, bei einem Stillstand des Gaszuflusses aus Pipelines nicht riesige Mengen Gas auf einmal aus den Speichern holen können, weil einfach der Speicherausgang nicht groß genug ist. Im Sommer ist das kein Problem, an einem strengen Wintertag ist das schon enger. Insofern wären viele politische Aussagen zu hinterfragen.

Haben Sie kein Verständnis dafür, dass im Vorjahr angesichts der dramatischen Ereignisse auch Maßnahmen gesetzt werden mussten, die diesen Umständen geschuldet waren?
Absolut. Aber ein paar Dinge sollten schon aufhören.

Was konkret?
Die Bevölkerung zu verunsichern, etwa mit Aussagen, dass die Ukraine die Gastransitverträge nicht verlängert.

Das ist ja kein Thema mehr, weil es nicht gestimmt hat.
Genau, so ist es. Aber diese Aussagen geistern erst einmal durch die Medien, obwohl es jeder Logik entbehrte. Das nennt sich dann Beratung.

Die Energiewelt ändert sich gerade völlig. Werden wir nicht bald viel weniger Erdgas verbrauchen müssen?
Gas wird man immer für bestimmte Dinge brauchen, es wird auch überall schon wie wild an grünem Wasserstoff gearbeitet, es gibt x Großprojekte, darunter viele in der Nordsee. Das Gute ist, der Großteil der Pipelines ist dafür geeignet, man muss nur Kleinigkeiten aufrüsten. Eine Schwierigkeit sind die Dichtungen an den Ventilen, aber das ist alles kein Problem. Wenn wir genug Wasserstoff haben, ist der Transport die geringste Geschichte. Schritt für Schritt werden wir weniger Erdgas brauchen.