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Die Entleibung des Karl Benedikt Riedmann

25.03.2022 • 19:18 Uhr

Am Morgen des 26. Juli 1789 fand man im Lustenauer Rheindorf die Leiche eines 33-jährigen Mannes.

Symbolbild <span class="copyright">Shutterstock</span>
Symbolbild Shutterstock

Unter „VLA/Reichsgrafschaft Hohenems, HoA 80,11“ findet man einen der spannendsten Akte zu einem Verbrechen in Vorarlberg. Nicht, weil die Tat eine solch außergewöhnliche gewesen wäre, sondern weil erstmals das Tatwerkzeug mit dem Akt gemeinsam archiviert wurde. Markus Schmid­gall, Historiker im Vorarl­berger Landesarchiv, hatte ihn im Jahr 2015 zum Archivale des Monats September gekürt – den Akt zum Mord an Karl Benedikt Riedmann in Lustenau.

Außergewöhnlicher Akt

„Normalerweise waren Verfahrensakten der damaligen Zeit recht dünn. Man hatte einen Verdacht, daraufhin folgte eine Befragung manchmal mittels robusten Verhörs und schlussendlich das Urteil“, erläutert Historiker Schmidgall. Nicht so dieser Akt. Geschätzte 20 Zentimeter dick türmt sich Papier aufeinander, und ganz obenauf liegt filigran und zerbrechlich in Papier eingehüllt ein Besteck – Messer und Gabel – in einem alten Lederetui und das sogenannte Corpus Delicti, die Mordwaffe. Ein Messer, fest verbunden mit der Scheide. Der Rost von 233 Jahren ist ein guter Klebstoff. Aber von Anfang an, beziehungsweise zurück ins Jahr 1789.

1789 – ein Rückblick

Das Jahr 1789 war geprägt von politischen Umschwüngen. In Frankreich tobte die Revolution, und in Österreich verfügte Kaiser Joseph II., Sohn von Maria Theresia, die konsequente Unterordnung aller gesellschaftlichen Angelegenheiten – insbesondere derer der Kirche – zugunsten der staatlichen Verwaltung. Das bedeutete grundlegende Einschnitte in Brauchtum, Religion und Leben der Bürger. „In vielen Teilen Vorarlbergs, besonders aber in Götzis, wo die Wallfahrtskirche in St. Arbogast geschlossen und abgerissen werden soll, in Dornbirn und Lustenau, kommt es zum offenen Widerstand der Bevölkerung vor allem gegen die kirchlichen Reformen Josephs II., sodass teilweise Militär eingesetzt werden muss, um die Ruhe wieder herzustellen“, heißt es in der Vorarlberg Chronik.
Der Eingriff in die Religiosität bedeutete eine große Verunsicherung, vor allem für die einfache Bevölkerung. Durch die noch immer andauernde kleine Eiszeit kam es immer wieder zu Ernteausfällen. Die Folgen waren Armut, Krankheiten und hohe Kindersterblichkeit. Die Religion war hier wichtiger Trost- und Hoffnungsspender. In dieser Zeit lebten die Lustenauer Johann Hemmerle und Karl Benedikt Riedmann, beide aus dem Milieu der ärmeren Bevölkerung, beide ledig und kinderlos.

Das Opfer

Karl Benedikt Riedmann wurde am 21. Jänner 1757 in Lustenau geboren. Seine Eltern waren Hans und Katharina Riedmann. Er hatte zumindest noch 14 Geschwister, von denen aber höchstens acht das Erwachsenenalter erreichten. Karl Benedikt war 16 Jahre alt, als sein Vater starb, und lebte fortan mit seiner Mutter und seinen Geschwistern alleine.
Wie er sich seinen Lebensunterhalt verdiente, ist aufgrund des Akts leider nicht nachvollziehbar. Womöglich verdingte er sich als Taglöhner und Gehilfe. Jedenfalls war wohl auch für den 32-jährigen Riedmann der Samstag ein arbeitsfreier Tag und einer des Ausgangs. Am 25. Juli – einem Samstag – trank er schon am Nachmittag mit ein paar Kameraden Most, aß Brot und spielte (wahrscheinlich Karten). Mit dabei war sein Kollege, der spätere Zeuge Johann Baptist Hemmerle. Bis in die Abendstunden wurde weiter getrunken.

Der Raufhandel

Am Abend hatte die launige Runde Männer wahrscheinlich schon ein wenig Alkohol im Körper, und man wollte sich noch „herumtreiben“. Interessant ist, dass im Akt immer wieder Vorarlberger Ausdrücke auftauchen, die von Zeugen oder dem Angeklagten ausgesprochen wurden. Sie werden geflissentlich übersetzt. So steht da etwa in der Aussage des Johann Baptist Hemmerle, sein Kamerad Karl Benedikt habe zu ihm gesagt „er solle kommen geh losen :/hören“.
Bevor man nach Hause ging, entschloss man sich, noch ein wenig zu randalieren. Riedmann und Hemmerle warfen in jener Nacht Steine gegen Häuser und Stadel und rannten anschließend davon. Doch Johann Hemmerle und sein Bruder Josef verfolgten und stellten die beiden. Ein wilder Kampf entstand.
Karl Benedikt wurde dabei zu Boden geschleudert. Johann Baptist „eilte ihm zu Hilf, gab dem einen Johann mit Namen, dem kleineren, einen Tusch :/Schlag in die Rippe (…), warf ihn zu Boden, hielt ihn fest, schlug ihn aber nicht. (…)“
So wie es sich im Akt liest, half Josef Hemmerle noch beiden (Johann Hemmerle und Johann Baptist Hemmerle) hoch, da „empfing er (J. B. Hemmerle, Anm.) einen Stich, von welchem wisse er nicht, doch sicher von jenem, der von Karl Benedikt Riedmann kam.“

Ein Toter

Der Verwundete wunderte sich noch darüber, dass sein Freund Karl Benedikt ihm nicht zur Hilfe eilte und er ebenso nichts mehr von ihm hörte. Er ging er davon aus, dass dieser geflohen sei. „… er sagte dann zum wiederholten Male an Hemmerles, lasse mich gehen, Ihr habt mich erstochen.“ Die Brüder ließen dann tatsächlich von ihm ab. Johann Baptist überlebte, Karl Benedikt aber lag tot im Graben. In seiner Nähe das Corpus Delicti, das Messer des Täters Johann Hemmerle, und in seiner Tasche noch sein Besteck.

Schnell überführt

Am nächsten Tag wurde der Leichnam des Karl Benedikt Riedmann gefunden und auch der Täter sofort dingfest gemacht. Das gefundene Messer war eindeutig Johann Hemmerle zuordenbar.
„Das Verlangen nach Aufklärung eines Verbrechens war damals wie heute sehr groß, natürlich setzte man sofort alle Hebel in Bewegung, um auch dieses Verbrechen so schnell wie möglich zu klären“, versichert Schmid­gall. Der penibel geführte Akt zeugt davon. Und so wurde schon am 26. Juli 1789 protokolliert, der eine Steinewerfer sei „im Raufhandel (…) derart angestochen worden, dass jener Johann Baptist Hemmerle sehr gefährlich darnieder liege und einstweilen (…) versorgt werde, der zweite aber Karl Benedikt Riedmann heute Früh toter in einem Graben vor Andreas Hemmerles Haus gefunden worden war“.
Nach der Lektüre des Aktes ist auch für Historiker Schmidgall klar: „Der Täter hatte schon mehr auf dem Kerbholz. Er war schnell reizbar und es war zur Tatzeit jedenfalls auch Alkohol im Spiel“. Eine Obduktion „des Entseelten“ wurde angeordnet, in der die Größe der Wunden festgestellt wurde in weiterer Beweis für das gefundene Messer als Tatwaffe.

Johann Hemmerle war geständig

„Interesse an dem genauen Tatmotiv oder eventuelle Hintergründe hatte man zu jener Zeit wenig. Auch die Psyche eines Menschen wurde damals nicht erforscht. Wichtig war, den Täter zu finden und ihn einer Strafe zuzuführen“, so Markus Schmidgall, meint aber weiter: „Das ungewöhnliche an diesem Akt ist nicht nur, dass das Corpus Delicti, das Messer, beigefügt wurde, sondern auch seine Dicke. Das liegt daran, dass man versuchte, dieses Messer noch mit anderen Verbrechen in Verbindung zu bringen, und der Fall hat weite Kreise gezogen.“

Das Urteil

„In peinlichen Untersuchungssachen gegen Johann Hemmerle von Lustenau“ kam man laut vorliegendem Akt erst nach einem Jahr zu einem gerichtlichen Beschluss, nachdem man überprüft hatte, ob Johann Hemmerle nicht noch mit anderen Verbrechen in Verbindung zu bringen wäre. Schlussendlich fällte man folgendes Urteil: „… die Entleibung des Karl Benedikt Riedmann und der Verwundung des Johann Baptist Hemmerle mit der Todesstrafe zwar zu verschonen, jedoch aber durch seinen ‚Nothilfe Excess‘ (Nothilfeüberschreitung, Anm.) begangenen Mordes will also in Gnaden abzustrafen sein, das selbiger auf der Stellen, wo die Entleibung stattfand 50 Schläge zu erhalten habe.“
Hemmerle wurde außerdem zu einer Art lebenslanger gemeinnütziger Arbeit verurteilt und jedes Jahr zum Zeitpunkt des Mordes an den Tatort im Lustenauer Rheindorf geführt, um weitere 25 Stockschläge zu erhalten. Sein Bruder wurde übrigens nicht verurteilt, und sein Vater beglich alle Prozesskosten.