_Homepage

“Wo der Mensch lebt, muss er im Mittelpunkt stehen”

20.04.2024 • 16:38 Uhr
"Wo der Mensch lebt, muss er im Mittelpunkt stehen"

Ein Jahr vor der Wahl reflektiert der Bregenzer Bürgermeister Michael Ritsch seine bisherige Amtszeit und große Projekte.

Seit dreieinhalb Jahren ist er Bürgermeister der Vorarl­berger Landeshauptstadt, in einem Jahr stehen Wahlen an. Der Wahlkampf befindet sich bereits in der Aufwärmphase und wird demnächst an Fahrt aufnehmen, dennoch stehen für Michael Ritsch (SPÖ) und sein Team im Rathaus noch zahlreiche aktuelle Agenden an. Wie ist die Lage in Bregenz?

Zumindest ein großer Brocken ist vom Tisch: Der Beschluss zum Neubau des Bahnhofs. In der letzten Bregenzer Stadtvertretungssitzung entschied man sich für die Variante 4a, der Beschluss steht. „In der nächsten Woche geht es noch um ein paar Verträge, unter anderem wird die Planungsprozessteuerung ausgeschrieben. Das heißt, wir suchen eine Agentur, die den ganzen Prozess entwickelt. Dann kann die Planung losgehen. Derweil eröffnen wir im Mai mit den ÖBB die Hypo-Unterführung, die ja auch sehr attraktiv geworden ist“, sagt Ritsch und bricht eine Lanze für die Stadtvertretung: „Ich bin total happy und muss mich wirklich bei allen politischen Fraktionen bedanken. Natürlich auch bei den 50 Experten, die alles untersucht haben.“

Tempo 30

Ein weiteres Projekt, das erst kürzlich und ebenfalls einstimmig umgesetzt wurde: Tempo 30. „Ich finde das extrem spannend – auf allen Gemeindestraßen hatten wir seit Jahren Tempo 30“, so Ritsch. „Die Senkung des Geschwindigkeitslimits betraf nur vier Straßen. Und der Vorteil, da muss man mit mir nicht diskutieren, ist einfach, dass die Sicherheit höher ist. Jede Studie zeigt, dass Tempo 30 in Gebieten, wo Menschen, Schulen, Kindergärten und so weiter sind, zu weniger Toten führt. Dort, wo der Mensch lebt, muss er auch im Mittelpunkt stehen, nicht das Auto.“

"Wo der Mensch lebt, muss er im Mittelpunkt stehen"

Neben Bahnhof und Tempo 30 befinden sich noch viele andere Vorhaben und Projekte in der Umsetzungsphase, auch große, wie das neue Hallenbad oder das Festspielhaus. Die eine oder andere Stimme – auch aus verschiedenen politischen Lagern – munkelt dazu, Ritsch schmücke sich mit den Lorbeeren seines Vorgängers Markus Linhart (ÖVP), der vieles angeschubst habe. „Auf die Diskussion darüber, wer Mutter und Vater eines Projektes ist, lasse ich mich gar nicht ein“, sagt der Bürgermeister. „Wir haben in den letzten dreieinhalb Jahren über 200 Millionen Euro in die städtische Infrastruktur gesteckt, es laufen auch noch diverse Prozesse und Bauphasen. Ein Teil war vorbereitet, ein Teil nicht, aber es war und ist ein massives Programm, das wir fahren.“ Dass dies den politischen Mitbewerbern nicht immer so passe, sei für ihn verständlich, so Ritsch, „aber am Ende sollte man es sich gegenseitig gönnen.“
Von der Bregenzer Bevölkerung bekomme er jedenfalls viel Lob: „Ich höre ganz oft, dass wieder mehr Schwung darin ist. Den möchte ich natürlich beibehalten und trete darum auch wieder zur Wahl an. Hoffentlich auch mit einer anderen Mehrheit.“
Dies deshalb, weil man sich als Bürgermeister leichter tue, wenn man nicht auf Koalitionen angewiesen sei: „Mit einer stärkeren Hausmacht ist es einfacher. Wobei ich schon sagen muss, dass meiner Meinung nach grundsätzlich schon die Sache im Mittelpunkt der Stadtvertretung stand und nicht die Parteien. Über 90 Prozent der Beschlüsse waren einstimmig.“ Manche der vielen Projekte seien aber auch nur dank wechselnder Mehrheiten gelungen.

Tempo herausnehmen

Apropos „viele Projekte“: eine Schraube, an der Ritsch noch drehen will. „Ich höre etwa von meinem Baudirektor ganz oft: ‚Bürgermeister, zieh deine Turnschuhe aus! Wir kommen nicht hinterher.‘“ Dass er ab und zu ein wenig Tempo herausnehmen müsse, um sein Team nicht zu überfordern, spüre Ritsch selbst. Aber: „Ich habe jetzt 15 Jahre lang vier Mal kandidiert und so viele Ideen gesammelt – die will ich auch umsetzen.“
In seiner bisherigen Amtszeit als Bürgermeister habe er viel gelernt, sagt der 55-Jährige. „Ich glaube, man lernt jeden Tag dazu. Gerade auch zwischenmenschliche Dinge, die oft ganz wichtig sind. Da macht jeder Fehler, auch ich. Aber ich glaube, die großen Entscheidungen haben gepasst.“ Was er aber unterschätzt habe: „Zeitlich ist das Amt eine große Herausforderung. Neben der Verantwortung für viele Mitarbeiter, viel Budget und viele Bürger gibt es ja auch noch 280 Vereine in Bregenz und diverse Veranstaltungen – im letzten Jahr waren es allein 300 Abendtermine. Das ist schon sehr fordernd, auch wenn es natürlich Spaß macht.“

"Wo der Mensch lebt, muss er im Mittelpunkt stehen"

Andererseits gebe es wenig Berufe, in denen man so viele direkte Rückmeldungen bekomme: „Auf jeder Veranstaltung, auch wenn ich einfach nur durch die Stadt gehe, werde ich angesprochen.“ 19 von 20 Gesprächen seien positiv, so Ritsch. Negative gebe es natürlich ebenfalls, die er auch ernst nehme, aber: „Man muss sich die Frage stellen, wohin man seinen Fokus legt, und ich lege ihn auf das Positive.“
Auch den kommenden Bürgermeister-Wahlen in knapp einem Jahr blickt Ritsch guten Mutes entgegen, da man viele „Hinkebeine“ ausgeräumt habe. Nur eines macht ihm Sorgen: „Wir haben davor noch die Europa-, Nationalrats- und Landtagswahl. Ich hoffe, dass die Leute wählen gehen, es wäre so wichtig.“ Er rechnet mit einer Stichwahl: „Ich denke, es werden sechs oder sieben Kandidaten antreten, da ist das fast nicht anders vorstellbar. Und dann schauen wir, ob es gut geht oder nicht.“

Lage der Landespartei

Noch ein Wort zur Lage der roten Landespartei? „Den Landesparteivorsitzenden Mario Leiter halte ich für einen sehr attraktiven Kandidaten. Er hat ein gewisses Alter, bringt viel Erfahrung mit und ist meiner Meinung nach ein unfassbar netter, smarter Typ, der sicher einen Zugewinn verzeichnen wird.“ Die ÖVP sehe er eher in einer Verlustsituation, „und das ist auch richtig, denn was in den letzten Jahren gelaufen ist – sei es bundesweit mit Kurz oder auch auf Landesebene mit dem Wirtschaftsbund und Konsorten – ist einfach nicht okay“.
Wünsche für die Zeit vor den Wahlen hat der Bürgermeis­ter auch noch: „Das Hallenbad möchte ich gerne noch eröffnen, das wird aber zeitlich eher knapp. Jedenfalls planen wir in der Bauphase aber noch Führungen. Und: Ich hoffe, ich sehe noch als Bürgermeister, wie die Bagger anrollen und den alten Bahnhof abreißen.“