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“Niemand kommt als Arsch zur Welt”

23.04.2024 • 12:02 Uhr
nterview mit Eva Hammerer (Grüne) und Schauspieler Hubert Dragaschnig über “Streitkultur” im Zuge der gleichnamigen Diskussionsveranstaltung.
Hubert Dragaschnig und Eva Hammerer im Theater Kosmos. hartinger

Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe „Streit:Kultur“, welche heute im Theater Kosmos beginnt, sprach die NEUE mit Politikerin Eva Hammerer und Schauspieler Hubert Dragaschnig.

Wie ist die Idee zur Veranstaltung entstanden?
Eva Hammerer: Ich habe schon länger den Eindruck, dass Künstler sehr viel zu sagen haben und hätten. Sie sagen ja auch prinzipiell, was sie denken. Gerade, wenn man die heutigen verhärteten Fronten betrachtet, fand ich, es wäre interessant, ein Format zu schaffen, in dem man über Streitkultur diskutieren kann und Künstler als tolerante und offene Menschen einbindet.

Wie wichtig sind Streit und Diskurs in der Kunst?
Hubert Dragaschnig: Ich finde prinzipiell, dass alle Kulturschaffenden immer eine Position evozieren. Im Streit, wie auch im Betrachten von Kunst, nimmt man eine Position ein. Und das Austauschen dieser Positionen ist, glaube ich, ein ureigenes Anliegen von Künstlern, die ihre Sicht der Welt anderen zeigen wollen, aber auch auf Feedback angewiesen sind. Das ist also eine ganz wichtige und große Bastion der Kulturschaffenden.

nterview mit Eva Hammerer (Grüne) und Schauspieler Hubert Dragaschnig über “Streitkultur” im Zuge der gleichnamigen Diskussionsveranstaltung.

Kann Kunst auch als Katalysator oder Vermittler fungieren?
Dragaschnig: Das glaube ich weniger. Es ist aber ein Anlass. Wenn ich zum Beispiel ins Theater gehe, treffe ich Menschen, ich tausche mich aus, ich diskutiere. Dort wird also ein Rahmen geschaffen, in dem was passiert. Und wenn ich mich innerhalb dieses Rahmens mit Respekt austausche, entsteht auch Mündigkeit. Und diese ist die Basis einer demokratischen Gesellschaft.

Wann und warum wird Diskurs denn eigentlich zum Streit?
Hammerer: Ich denke, das hat ganz viel damit zu tun, dass man schon gar nicht mehr zuhört. Man wartet nur, bis der Andere fertig ist, um dann die eigene Meinung abzuladen. Das wird uns Politikern ja auch gerne empfohlen: Mehr zuhören. Ich denke, wir werden auch bei der Veranstaltung viel Wichtiges hören. Jeder von uns braucht ja Feedback, um mit den Menschen in Verbindung zu bleiben. Auch, wenn es respektlos und menschenverachtend wird, wenn es nur noch Dafür und Dagegen gibt, wird Diskurs zum Streit. Wenn man im Austausch bleibt, geht es aber auch ums Dazwischen.

nterview mit Eva Hammerer (Grüne) und Schauspieler Hubert Dragaschnig über “Streitkultur” im Zuge der gleichnamigen Diskussionsveranstaltung.

Kann man das Zuhören wieder lernen?
Eva Hammerer: Aber sicher. Das ist, wie alles, eine Gewohnheit. Gewohnheit hat eine riesengroße Macht. Man rutscht in etwas hinein, ohne es zu merken. Ich denke aber, es würde gar nicht so viel brauchen, um einmal innezuhalten und sich das Zuhören wieder anzugewöhnen. Sich zu fragen: Ist an dem, was mein Gegenüber sagt, etwas dran? Und ist es wirklich so schlimm, wenn ich einmal nicht recht habe?

Dragaschnig: Die große Überschrift ist: „Ein gutes Gespräch“. Das hat nichts damit zu tun, der gleichen Meinung zu sein, aber damit, die Meinung des Anderen zu bewerten, als wäre es meine eigene. Das ist ja auch eine Form von Empathie. Und lernen – auch Zuhören lernen – ist ein ganz wichtiger Faktor. Streitkultur, eine Meinung haben, Position beziehen, das hat unmittelbar mit Ausbildung und Erziehung zu tun. Und ich glaube, ein ganz wichtiger Schritt zu einer Gesellschaft, die solidarisch leben kann, und zwar nicht nur regional und national, sondern global, ist, dass Kindern wieder beigebracht wird, zu denken und zu formulieren. Wenn ich formulieren und selbstständig denken kann, wenn das Freude macht, dann ist gesellschaftlich eine ganz andere Dynamik möglich. Man kann gestalten, nicht nur verwalten.

Ist es auch das eigene Ego, der uns von einer guten Streitkultur abhält?
Hammerer: Ganz sicher. Vor allem in der Politik sind die Egos ja auch nicht klein (lacht). Das Ego schreit sofort: „Verteidige dich.“ Aber dann muss man sich halt einmal zurückhalten – auch das kann man lernen.

Gibt es Themen, die für Sie indiskutabel sind?
Dragaschnig: Ich denke, wenn jemand ein Gespräch sucht und will, wüsste ich nicht, wieso ich das verweigern sollte. Auch, wenn das zum Beispiel ein FPÖ-Politiker ist, mit dem ich nicht auf einer Schiene bin. Gesprächsbereitschaft, auf den Anderen zuzugehen, das finde ich gut. Das ist ja auch eine der Qualitäten von uns Menschen, über alles reden zu können. Aber eben in einer Form, die dem Gegenüber Respekt entgegen bringt.

nterview mit Eva Hammerer (Grüne) und Schauspieler Hubert Dragaschnig über “Streitkultur” im Zuge der gleichnamigen Diskussionsveranstaltung.

Es gibt derzeit viele politische, soziale und gesellschaftliche Reizthemen. Immer wieder wird von der „Spaltung der Gesellschaft“ gesprochen. Wie gespalten ist sie wirklich?
Hammerer: Ich habe in letzter Zeit viel darüber gelesen, angeblich ist die Gesellschaft ja gar nicht so gespalten, wie man ihr einreden will. Und sobald man jemanden kennenlernt und ihm näherkommt, merkt man oft, dass man ja gar nicht so weit auseinander ist. In dem, was wir Menschen grundsätzlich wollen, sind wir uns schon ähnlich.

Dragaschnig: Es wollen schluss­endlich alle in irgendeiner Form ihr Leben gestalten, so gut es geht. Niemand kommt als Arsch zur Welt, jeder versucht, sich zurechtzufinden. Der große Aspekt dabei ist, Menschen zu treffen. Nicht nur die eigene Blase. Man muss raus, man braucht andere Blickwinkel, um sich weiterzuentwickeln. Darum sind ja kulturelle Veranstaltungen auch so wichtig. Der Diskurs, der dort stattfindet. Aber natürlich braucht es auch da Offenheit. Da sind wir dann wieder beim Werkzeug des Formulierens und Denkens, das wir vor allem Kindern beibringen müssen. Denken ist geil!

Welchen Stellenwert haben Kompromisse?
Hammerer: In einer Demokratie sind Kompromisse enorm wichtig. Denn die Alternative wäre eine Diktatur. Wir leben vom Kompromiss, er ist ja der Inbegriff davon, dass nicht nur ein Einzelner die Weisheit gepachtet hat.

Keiner kommt als Arsch zur Welt, alle versuchen, sich zurechtzufinden.”

Hubert Dragaschnig

In der Politik fällt in letzter Zeit immer wieder der Begriff der „Leitkultur“.
Dragaschnig: Die haben wir ja auch. Nehmen Sie die Menschenrechte, die sind eine Leitkultur. Und zwar eine, die für alle gültig ist. Alles andere ist national. Das braucht man meiner Meinung nach nicht, und es dient dem globalen Zusammenleben der Menschen nicht. Und alles, was fundamentalistisch oder dogmatisch ist, ist ja auch gegen die eigentliche Natur der Menschen.

Hammerer: Die Leitkultur, wie sie jetzt überlegt wird, soll ja vorgeben, was richtig und was falsch ist. Streitkultur stellt aber den Austausch in den Vordergrund. Es braucht kein Ergebnis dafür, wer wie wann wo zu leben hat, sondern vielmehr gegenseitiges Verständnis.

Worüber diskutieren Sie wahnsinnig gern?
Hammerer: Ich diskutiere selbstverständlich wahnsinnig gerne über Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und wie man das zusammenbringt.

Dragaschnig: Über die massive Erhöhung des Kulturbudgets in Vorarlberg (lacht).

STREIT:KULTUR

  1. April, 19.30 Uhr, Theater Kosmos
    Die Auftaktveranstaltung der „Streit:Kultur“ findet am Mittwoch im Theater Kosmos statt. Vorarlberger Politiker, Künstler und Publikum diskutieren gemeinsam im Fishbowl-Format über Streitkultur. Der Eintritt ist kostenlos.