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Hilfe am anderen Ende der Leitung

22.12.2024 • 18:00 Uhr
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TS-Leiter Sepp Gröfler im Intervieiw mit der NEUE am Sonntag.Klaus Hartinger

Telefonseelsorge Vorarlberg (TS): Leiter Sepp Gröfler berichtet über aktuelle Zahlen, Herausforderungen und neue Entwicklungen. Ein Thema ist auch seine immer näher rückende Pensionierung.

Wie schauen die Zahlen für 2024 aus?

Sepp Gröfler: Mit erwarteten 17.200 Anrufen verzeichnen wir rund drei Prozent weniger als im Jahr 2023. Aufgeteilt sind das 7000 Anrufe von Männern – ein Rückgang von drei Prozent – und 10.200 von Frauen. Diese Zahl ist ähnlich hoch wie im Vorjahr.

Gibt es weitere Zahlen?

Gröfler: 600 Kinder und Jugendliche haben uns in diesem Jahr kontaktiert. Damit bleibt die Anzahl ungefähr auf dem Niveau von 2023. Betrachtet man die vergangenen Jahre, sind diese Anrufe jedoch insgesamt rückläufig. 250 Mal ging es um Suizid oder die Sorge um suizidgefährdete Angehörige. In der Chatberatung zeigt sich dieses Thema sogar noch stärker.

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Sepp Gröfler leitet seit 25 Jahren die Telefonseelsorge. Hartinger

Im ersten Halbjahr sind die krisenhaften Anrufe leicht zurückgegangen. Hat sich dieser Trend fortgesetzt?

Gröfler: Nein, dieser Trend hat sich im zweiten Halbjahr umgekehrt. Die krisenhaften Anrufe sind wieder gestiegen. Am Ende des Jahres erwarten wir insgesamt eine Steigerung auf mehr als 800 akut krisenhafte Gespräche.

Gab es 2024 weitere auffällige Themen?

Gröfler: Ein wachsendes Thema ist die Scham. Viele Menschen möchten nicht, dass ihre Umgebung bemerkt, wie sehr sie mit den Belastungen des Lebens kämpfen. Es fällt ihnen zunehmend schwer, offen über ihre Sorgen zu sprechen.

Zahlen

600 Kinder und Jugendliche haben dieses Jahr die Telefonseelsorge kontaktiert. Die Anzahl blieb damit ungefähr auf dem Niveau von 2023.

25 Jahre ist Sepp Gröfler Leiter der Telefonseelsorge Vorarlberg. Anfang 2026 geht er in den wohlverdienten Ruhestand.

97 Mitarbeiter zählt das TS-Team. Jeder leistet ehrenamtlich rund 200 Stunden pro Jahr für den Dienst am Nächsten.

Im Sommer herrscht Hochsaison, gefolgt vom Winter. Wie oft klingelt das Telefon derzeit?

Gröfler: Aktuell steigen die Zahlen wieder etwas und wir führen gut 50 bis 60 Gespräche pro Tag. Dazu kommen noch die Kontakte in der Mail- und Chatberatung.

Das Niveau der Anruferzahlen bleibt also hoch?

Gröfler: Ja, trotz eines leichten Rückgangs bleibt die Zahl der Anrufe noch immer etwa 20 Prozent höher als vor der Pandemie.

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Die Telefone sind das ganze Jahr über rund um die Uhr besetzt. Hartinger

Gibt es im kommenden Jahr Neuigkeiten?

Gröfler: Ja, wir ergänzen die Onlineberatung – also Mail und Chat – um eine Messenger-Beratung. Wir befinden uns aktuell in der Testphase und bilden dafür zusätzliche Mitarbeiter aus dem bereits bestehenden Team aus.

Weihnachten steht vor der Tür. Welche Themen dominieren an den Feiertagen?

Gröfler: Nach einem etwas ruhigeren Herbst ist bedingt durch die schlechten Nachrichten der letzten Wochen wieder mehr los. Die wirtschaftliche und weltpolitische Lage macht vielen Menschen Angst. Die Sorge vor einer ungewissen Zukunft führt zu Unsicherheit und teilweise zu Resignation. Zusätzlich belasten Themen wie der Verlust eines geliebten Menschen, Trennungen oder altersbedingte Gebrechen besonders zum Jahresende die Seele. Psychische Belastungen, Beziehungsprobleme und Einsamkeit sind seit Jahren die großen Themen unserer Anrufer. Zu Weihnachten drücken diese Sorgen noch intensiver auf das Gemüt.

Die Telefonseelsorge erfolgt auf ehrenamtlicher Basis. Wie sieht es mit dem Personal an Weihnachten aus?

Gröfler: Heuer haben wir einen neuen Ausbildungskurs abgeschlossen. Mit elf neuen Kollegen können wir nun auf 97 hoch motivierte Mitarbeiter zählen. Unser Team lebt eine beeindruckende Form der Selbstorganisation. Jede und jeder leistet rund 200 Stunden Freizeit pro Jahr für den Dienst am Nächsten. Zu Weihnachten sind alle genauso engagiert wie an jedem anderen Tag im Jahr – der Dienstplan ist bereits vollständig besetzt.

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Sepp Gröfler zeichnet auch sein Humor aus. Hartinger

Arbeiten Sie auch an den Weihnachtsfeiertagen?

Gröfler: Ja, meine Stellvertreterin Barbara Moser-Natter und ich sind ebenfalls über die Feiertage im Einsatz. Es ist wichtig, dass nach schwierigen Gesprächen jemand da ist, bei dem unsere Mitarbeiter Belastungen abladen können, die während intensiver Gespräche entstehen können.

An der Vereinsspitze gab es kürzlich einen Wechsel.

Gröfler: Richtig, Helga Kohler-Spiegel ist die neue Obfrau. Sie hat die Agenden von Albert Lingg übernommen, der den Verein 27 Jahre lang mit großer Umsicht geleitet hat.

Ihre Pensionierung rückt näher. Empfinden Sie Wehmut oder Freude?

Gröfler: In den letzten 25 Jahren bin ich keinen einzigen Tag ungern arbeiten gegangen. Es war immer eine Freude, mit so motivierten ehrenamtlichen Persönlichkeiten zusammenzuarbeiten. Natürlich verspüre ich Wehmut und habe ein wenig Angst vor dem Abschied. Gleichzeitig freue ich mich aber darauf, nach 48 Arbeitsjahren eine neue Tür zu öffnen. Ich hoffe auf viele schöne Stunden mit meiner Frau, unseren Kindern und Enkelkindern. Vielleicht finde ich auch Zeit für spannende Theaterprojekte, literarische Aufgaben oder einfach Momente für Freunde und mich selbst. Der Gröfler, der Sepp und ich – wir kommen gut miteinander aus.

Damit wird es auch in der Geschäftsführung zu einer Veränderung kommen. Wie ist der Stand der Dinge?

Gröfler: Nach meiner Pensionierung Anfang 2026 wird es einen neuen Geschäftsführer geben. Die Suche nach einer geeigneten Persönlichkeit startet in der ersten Hälfte 2025. . Ich habe ein sehr gut bestelltes „Nest“ übernehmen dürfen, das ich gerne so übergeben möchte, wie ich es vor 25 Jahren selbst vorgefunden habe.