Der blaue Wolf im schwarzen Schafspelz

Rasierklingenritt auf dem Scheideweg der Demokratie? Ein Kommentar zu den aktuellen blau-schwarzen Koalitionsverhandlungen.
Was lange für undenkbar galt, könnte nun bald zur Realität werden. „Sie werden sich noch wundern, was alles geht“ – dass das inzwischen berühmt, berüchtigte Zitat des damaligen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer auf die Machtübernahme durch einen „Volkskanzler“ umgemünzt werden könnte, hätte man aber wohl nur schwer für bare Münze genommen.
Wie schnell der Wind dreht, zeigen die aktuellen Koalitionsverhandlungen. Nach dem Scheitern des schwarz-rot-pinken Kurzzeit-Bündnisses gegen den Wahlsieger und ganz im Sinne der Demokratie, hat die ÖVP alle Bedenken hinter sich gelassen und ergreift den letzten Strohhalm zum Machterhalt. Was auf Länderebene mit „gemäßigten“ Freiheitlichen zwar widerwillig abgenickt wurde, könnte auf Bundesebene den wohl größten Tabubruch der österreichischen Volkspartei seit ihrer türkisen Umfärbung bedeuten. Und hier liegt der Teufel im Detail. Denn während man auf Länderebene immer genau mit dem Vokabular argumentiert hat, dass die jeweiligen blauen Landesvertreter längst nicht so radikal in Wortwahl und Ausrichtung wie Herbert Kickl seien, legt sich die Bundes-ÖVP nach dem Rücktritt von Karl Nehammer mit genau dieser „Persona non grata“ ins warme „Koalitionsbett“. Natürlich nur unter Einhaltung der demokratischen Grundregeln, einer klaren Ablehnung des russischen Angriffskriegs und einer proeuropäischen Haltung. Dem „blauen Wolf“ wird ein „schwarzer Schafspelz“ umgehängt. Und die Volkspartei wird am Nasenring durch die Arena gezogen.
Man darf gespannt sein, ob im Falle erfolgreicher Verhandlungen die FPÖ ein anderes Gesicht zeigt. Staatsmännisch, einem ÖVP-Moralkodex unterworfen und damit nahezu sämtliche Inhalte, mit denen man erfolgreich die letzten Urnengänge dominierte, über Bord schmeißend. Und wohl den eigenen Wählern und Wählerinnen in den Rücken fallend.
Oder ob es umgekehrt sein könnte, und die Volkspartei ihre christdemokratischen Werte an den „Volkskanzler“ verkaufen wird. Und damit an den Grundpfeilern der eigenen Partei rüttelt. Was sich auch am Unmut vieler althergebrachter Partei-Granden wie Franz Fischler äußert, die wohl ihren angekündigten Austritt aus der Volkspartei im Falle eines Pakts mit dem „Teufel“ vollziehen werden.
Es könnte ein kurzes, aber desaströses Experiment werden. Ein kurzer Tanz auf dem glatten Parkett des Machterhalts, zugunsten einer Aufgabe der unerschütterlichsten Grundwerte der eigenen Couleur? Das Ende der Christdemokraten, wie man sie bisher kannte.
Und vielleicht auch wieder eine bis dato dem Vernehmen nach wenig willkommene Einladung an einen zunächst gescheiterten Messias? Denn eine radikale Neuausrichtung oder Spaltung der Partei könnte im Falle von Neuwahlen einem anderen „Kurzen“ die Rückkehr in die Politik ermöglichen. Genug der Kaffeesudleserei, lieber Elvis Presley hören, der vor wenigen Tagen seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte. „You’re the Devil in Disguise“ – oder ein „blauer Wolf im schwarzen Schafspelz“.
(NEUE Vorarlberger Tageszeitung und NEUE am Sonntag)