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Rainer Juriatti aus Graz: „Schock und die Sorge um seine Kinder“

12.06.2025 • 15:59 Uhr
Rainer Juriatti aus Graz: „Schock und die Sorge um seine Kinder“
Der gebürtige Bludenzer Autor Rainer Juriatti lebt in Graz und schildert, wie er die tragischen Ereignisse erlebt hat. APA, Privat

Der gebürtige Bludenzer Autor und Schauspieler Rainer Juriatti lebt seit 2011 in Graz. Mit der NEUE spricht der Familienvater darüber, wie er den Tag, der ganz Österreich in Schockzustand versetzt hat, erlebt hat.

NEUE: Wo waren Sie, als Sie vom Amoklauf erfahren haben, und wie haben Sie davon gehört?

Rainer Juriatti: Ich war zu Hause, weil ich von daheim aus arbeite. Ich schreibe gerade an einem neuen Bühnenstück. Zufälligerweise lief an dem Tag das Radio. Als ich die schrecklichen Neuigkeiten hörte, war ich natürlich zutiefst schockiert und auch beunruhigt, weil sowohl meine Schwiegertochter, als auch mein Sohn Lehrer sind. Zwar nicht an dieser Schule, aber ebenfalls in Graz beziehungsweise in Köflach. Und man weiß ja eben, dass es oft zu Nachahmungstätern kommt. Die Problematik von Aggression und Gewalt an den Schulen kennt man aus Schilderungen. Und das macht mich schon sehr nachdenklich. Das war so der erste Impuls. Und gleichzeitig eine zutiefst beunruhigende Sorge um meine Kinder und meine Familie – einfach ein Schockzustand.

NEUE: Wie hat sich die Stimmung in der steirischen Landeshauptstadt seit der Tragödie verändert?

Juriatti: Die kollektive Trauer, die stattfindet, finde ich sehr berührend und zeugt von großer Solidarität. 

NEUE: Gab es in Ihrem Umfeld besondere Reaktionen wie Solidarität oder vielleicht auch eine Form von Rückzug?

Juriatti: Interessanterweise kommt es in solchen Situationen fast schon reflexartig zu Bekenntnissen wie: Wir müssen eng zusammenstehen, wir halten zusammen, wir tragen gemeinsam. Aber die Frage ist doch, was hat diesen Mann bewogen, das zu tun, was er an dieser Schule letztlich ausgeführt hat? Und wer trägt auf Dauer auch diese Familien, die betroffen sind? Man steht jetzt natürlich zusammen, die Kinder werden ehrenvoll begraben. Und in ein paar Monaten werden noch irgendwelche Gazetten oder Hochglanzmagazine rührige Geschichten bringen – und dann ist die Geschichte wieder vergessen. Man muss aber woanders ansetzen, davon bin ich überzeugt.

NEUE: Fühlen Sie sich durch die Behörden ausreichend informiert und geschützt?

Juriatti: Die Verantwortung an Sicherheitskräfte abzugeben, ist der falsche Weg, weil die können gar nichts machen. Die Polizei kann uns nicht beschützen. Sie kann nur eingreifen.

NEUE: Hat sich Ihr persönliches Sicherheitsgefühl seit dem Schulmassaker verändert?

Juriatti: Das Schrecklichste für mich ist, dass ich eigentlich jeden Tag Angst haben muss um meinen Sohn, meine Schwiegertochter und meine Tochter, die alle drei im Bildungsbereich tätig sind. Man weiß nie, wann es bei ihnen in der Schule oder in der Universität zu Eskalationen kommen kann. Das ist schon sehr bedrückend.

NEUE: Was wünschen Sie sich von Stadt, Politik oder Gesellschaft im Umgang mit der Tat?

Juriatti: Man muss woanders ansetzen. Nämlich im präventiven Bereich. Die Schulen und letztlich unsere ganze Gesellschaft müssen eine Kultur entwickeln, in der Mobbing oder Psychoterror nicht vorkommen. In der das „Übereinander-Herfallen“ nicht vorkommt, das „Jemanden-Kleinmachen“ nicht existiert. Wenn wir es schaffen, prophylaktisch eine Gesellschaft zu bauen, die anders funktioniert als die aktuelle, die nur auf Erfolg und Ego-Befriedigung ausgerichtet ist, dann, lassen sich so tragische Vorfälle auf lange Sicht betrachtet eher vermeiden. Gänzlich wird man es nie ausschließen können.

NEUE: Wie beurteilen Sie den Ruf nach einer Änderung im Waffengesetz?

Juriatti: Die aktuelle Forderung greift eben aus diesem Grund auch zu kurz. Weil wir wissen, jedes Küchenmesser kann töten. Das beweisen die vielen Femizide übers Jahr, die meisten davon werden mit Messern begangen. Man kann mit allem töten. Dieser Ruf nach einem Waffenverbot, der löst gar nichts.

Rainer Juriatti aus Graz: „Schock und die Sorge um seine Kinder“
Rainer Juriatti.

Zur Person

Rainer Juriatti, geboren am 24. November 1964 in Bludenz, ist österreichischer Schriftsteller und Schauspieler. Nach beruflichen Stationen in der Suchtarbeit und als Internatsleiter ist er seit 2001 in der Pressearbeit, Werbung und als Autor tätig. Er lebt mit seiner Familie in Graz. Juriatti ist Mitglied von Literatur Vorarlberg und dem P.E.N.-Club Liechtenstein. Während der Corona-Pandemie absolvierte er eine Schauspielausbildung. Ehrenamtlich engagiert er sich für die Plattform „Dein Sternenkind“ und betreibt eine eigene Agentur im Designbereich.

(NEUE Vorarlberger Tageszeitung)