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Vom Moskauer Hörsaal nach Vorarlberg: Ein junger Russe über Krieg, Flucht und Frieden

03.07.2025 • 07:35 Uhr
Krieg und/oder Frieden
Aus Gründen der Sicherheit des jungen Russen wird an dieser Stelle kein Bild von ihm gezeigt, sondern eines aus der Ausstellung im Kunstforum Montafon: „Peace Plan“, der ukrainischen Künstlerin Inna Shevchenkoi. Das Werk lege die Leere von Bekenntnissen offen, wenn Aggressoren nicht gestoppt, Opfer schuldig gesprochen oder im Stich gelassen werden“, steht in der Beschreibung. Kunstforum Montafon

Er hatte alles: eine Wohnung in Moskau, ein fast abgeschlossenes Studium, Familie, Freunde. Dann kam der Krieg. Roman Rachmaninov* floh, weil er nicht in Putins Armee kämpfen wollte. Heute lebt er in Vorarlberg – zwischen Hoffnung, Heimweh und der Frage, was Heimat eigentlich ist.

Von Kurt Bereuter
neue-redaktion@neue.at

Roman Rachmaninov* ist 26 Jahre alt, Russe, und floh vor dem Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Jetzt studiert er in Vorarlberg und will bald seinen Masterabschluss machen. Zeitgleich wird im Kunstforum Montafon eine kleine, aber feine und anrührende Ausstellung zum Thema „Krieg und/oder Frieden“ gezeigt. Die Buchautorin Sabine Grohs las im Rahmen der Ausstellung aus ihrem Buch „Dönz. So weit man weiß“ aus Briefen ihres Großvaters, dessen Brüder und dessen Schwester vor. Die Brüder dienten im Zweiten Weltkrieg in der Deutschen Wehrmacht. Ein junger Russe, den wir getroffen haben, erzählt uns von seinem Leben zu einer Zeit, in der sein Mutterland, in dem er aufwuchs, Krieg gegen das Nachbar- und Vaterland, die Ukraine, führt. Dies gibt uns Einblicke in die „Welt“ eines jungen Menschen heute, dessen Land Krieg führt. Tatsächlich ist seine Mutter Russin und die Familie seines Vaters stammt aus der Ukraine. Keine ganz einfache Konstellation, aber nicht innerfamiliär, sondern politisch.

Vom Studium zur Flucht

Die Vorfahren von Sabine Grohs kämpften in jener Armee, die andere Länder überfiel und der Aggressor war. Die von der deutschen Wehrmacht überfallenen Länder waren die, die ihr Heimatland gegen den Aggressor verteidigten. Heute verteidigt sich die Ukraine gegen den Aggressor Russland unter Putin. Wie er erzählte, ging es ihm gut in Russland. Er studierte in Moskau, stand vor dem Abschluss und hatte sich sogar in Moskau eine Wohnung gekauft, in der er zufrieden lebte. Er hatte seine Familie, seine Freunde im Umfeld und sein Leben schien in guten und geordneten Bahnen zu laufen. Das sollte sich am 24. Februar 2022 schlagartig ändern.

Die “Spezialoperation”

Es begann die „Spezialoperation“ Russlands gegen die Ukraine. Putin wollte diesen Krieg nicht Krieg nennen und verbot – eigentlich bis heute – ihn so zu nennen. Es war oder wurde aber ein Krieg, denn die Ukraine verteidigte sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und hat sich seit Februar 2022 erfolgreich verteidigt, wenn auch mit großen Gebietsverlusten und vielen, vielen Opfern. Rachmaninov glaubte zuerst an einen „Fake“, dass es nicht wahr ist, so unglaublich schien ihm dieser Überfall auf ein Nachbarland. Zeitgleich kam es zu einer gesteuerten und zensurierten Medienpolitik. So wie viele andere junge Russen hatte auch er noch Zugang zu internationalen Medien und erkannte bald, dass sich sein Land im Krieg befindet. Sein nächster Gedanke war, dass diese „Spezialoperation“ bald beendet sein werde, in zwei Wochen oder so. Russland wollte er aber immer noch nicht verlassen, er habe dort alles gehabt, eine Wohnung, die Ausbildung, Familie und Freunde. „Es wird nicht so schlimm werden und bald zu Ende gehen“, war seine Überzeugung. Er konnte sich nicht vorstellen, „zu gehen“, auch wenn die Gefahr eingezogen zu werden jeden Tag größer wurde.

Die Einberufung

Der Krieg ging weiter und immer mehr wehrfähige junge Männer wurden zum Militärdienst einberufen – und eines Tages bekam auch er seinen Einberufungsbefehl. So wie Zehntausende andere junge Russen entschied sich auch Roman Rachmaninov, das Land zu verlassen und dem Militärdienst zu entgehen. Innerhalb von zwei Tagen habe er alles Notwendige gepackt und sich Flugtickets besorgt, nach Israel, wo eine Cousine wohnte. Die Tickets in andere visafreie Länder hätten umgerechnet bis zu 15.000 Euro gekostet, aber so viel Geld hatte er nicht.

Die Wohnung verkauft

Weil er in Israel für sein Leben Geld brauchte, entschied er sich, seine Wohnung in Moskau zu verkaufen, denn Arbeiten in Israel war ihm untersagt. Er konnte mit kleineren Jobs zwar etwas Geld verdienen, aber wohl gefühlt habe er sich in Israel nicht, war er doch weder Jude, noch hatte er die israelische Staatsbürgerschaft, sondern eben die russische, noch konnte er ihre Sprache – er habe sich fremd gefühlt. Er fing an, sich an deutschsprachigen Universitäten und Hochschulen zu bewerben, denn Deutsch konnte er schon recht gut, besuchte er doch in Moskau eine deutsche Schule und war mehrere Male in Deutschland im Rahmen von Austauschprogrammen. Seine Bewerbungen liefen in drei Stufen ab. Zuerst mussten die notwendigen schriftlichen Unterlagen eingebracht werden, dem schloss eine Online-Bewerbung an und er in der dritten Runde erst ein persönliches Vorstellen. Ein Professor, den er über Instagram kennenlernte, habe ihn unterstützt und nachdem er in Deutschland kein Visum bekam, habe es in Vorarlberg geklappt, wo er nun studiert, und nebenbei arbeite er noch in einem Handwerksbetrieb mit.

Seine Zukunft

Lange Zeit habe er von einer Woche in die andere gelebt und jetzt sei er zur Ruhe gekommen und konzentriere sich auf sein Studium und seinen Abschluss. Statt in seiner Moskauer Wohnung lebe er in einem Studentenzimmer in einer Vorarlberger Stadt und seine Eltern und weitere Verwandte würden ihn finanziell unterstützen. Ob er wieder nach Russland zurückwill, kann er nicht sagen, zurzeit könne er nicht einmal darüber nachdenken. Seine Familie und seine Freunde möchte er schon bald wieder sehen, aber für Russland in den Krieg ziehen, das will er nicht. Wäre er Ukrainer und müsste sein Heimatland verteidigen, vielleicht, aber sagen könne er es aus der Distanz heraus nicht, ob er dazu bereit wäre. Vorläufig ist Vorarlberg seine Heimat geworden, wo er studiert und nebenbei arbeitet. Sein größter Wunsch – wie der von vielen, vielen anderen jungen Russen und jungen Ukrainern: Der Krieg möge bald vorbei sein und Heimat wieder das sein, was sich viele von Heimat erwarten: ein sicheres Umfeld, wo man sich mit seiner Familie und seinen Freunden zuhause fühlt – ohne Gewalt, Zerstörung, Leid und Angst.

*Der Name wurde von der Redaktion geändert, um die Sicherheit des Russen und seiner Familie nicht zu gefährden. Schon der Begriff des „Krieges“ kann in Russland zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen, auch wenn ihn Putin und seine Regierung selbst schon verwenden, allerdings immer im Kontext, dass dieser Krieg Russland vom Westen aufgezwungen wurde.