Fehlende Erntehelferinnen

In unseren wöchentlichen Evangelienkommentaren geben Geistliche, Religionslehrerinnen, Theologinnen und andere ihre Gedanken zum Sonntagsevangelium weiter. Heute mit Katharina Weiss, Schriftleitung „Dein Wort – Mein Weg“.
Sonntagsevangelium
Danach suchte der Herr 72 andere aus und sandte sie zu zweit vor sich her in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte. Er sagte zu ihnen: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden! Geht! Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemanden auf dem Weg! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist euch nahe! Lukas 10,1-12.17-20
Fehlende Erntehelferinnen
Ein Kapitel vor dem heutigen Evangelium schickt Jesus seine zwölf Jünger aus, mit den gleichen, lediglich etwas weniger detaillierten Angaben. Auf diesen ausgewählten Kreis berufen sich Kirchenvertreter u.a., um die Weihe von Frauen abzulehnen. Die Zahl zwölf steht sinnbildlich für die zwölf Stämme Israels.
Bemerkenswert ist, wie ehrlich uns die Evangelisten davon berichten, wie Jesus seine Ansichten reflektiert und den Herausforderungen angepasst hat. Jesus sendet ursprünglich seine zwölf Weggefährten aus, jeweils zu zweit. Es waren also ursprünglich sechs Grüppchen, die auf den Weg geschickt wurden, um das Reich Gottes zu verkünden und die Kranken zu heilen. Offensichtlich spürte Jesus, dass die Not – heute würde man vielleicht sagen, der Bedarf – an Seelsorge weit größer war und dass seine Replik auf die damals bereits zerbrochenen zwölf Stämme Israels eine Antwort auf längst nicht mehr aktuelle Fragen war.
Er selbst hatte noch einige Ortschaften und Städte auf seiner To-do-Liste, aber auch er musste erkennen, dass sein Tag nur 24 Stunden hatte und die Woche sechs Arbeitstage. Daraufhin suchte er zweiundsiebzig andere aus und schickte sie wieder „zu zweit vor sich her in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte“. Aus sechs Gruppen für sechs Tage der Woche werden nun sechs Gruppen pro Tag. Die Zahl 72 steht biblisch für die Zahl der Vollständigkeit der Völker. Keine und keiner ist damit von der Verkündigung und der Heilung von Menschen ausgeschlossen.
Derzeit gibt es in der Diözese Feldkirch ca. 20 Priester unter 50 Jahren ohne Migrationshintergrund. Man behilft sich in der Not mit ausländischen Priestern, damit sind es ca. 40 Priester. Einige schaffen den Einstieg mit Bravour, andere zerbrechen. Das Vorarlberger Landestheater verwies zuletzt mit der Aufführung des Stückes „Fremde Seelen“ auf die reale Tragik eines vietnamesischen Pfarrers in der benachbarten Schweiz, der aus Verzweiflung Suizid beging.
Auf den Bericht von der erfolgreichen Rückkehr der 72 Jünger folgt die Anfrage eines Gesetzeslehrers an Jesus, der ihn auf die Probe stellen möchte. Jesus erzählt daraufhin das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ein Levit und ein Priester eilen Richtung Jerusalem zu ihrem Tempeldienst und haben auf Grund ihrer Verpflichtungen keine Zeit für den Verletzten. Ein damals von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossener Samariter eilt dem Bedürftigen zu Hilfe.
Wird bei den zahlreichen kirchlichen Gremien und Räten, die teilweise personenident besetzt sind, in denen Themen doppelt und dreifach behandelt werden, die Anzahl der Priester nicht zu klein und damit ihre Eile zu groß? Bleiben mit der Berufung auf „das Gesetz“ damit nicht zu viele am Wegesrand unbetreut liegen? Jesus verschwendete offenbar keinen Gedanken daran, statt seiner, „zweiundsiebzig andere“ auszusenden. Wie mächtig ist derzeit „das Gesetz“, die Bitte nach der Aussendung von Arbeiterinnen für die Ernte abschlägig zu beantworten?
