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Evangeliumkommentar: Denk mal

15.11.2025 • 09:00 Uhr
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Über Jahrhunderte hinweg durch Kriege und Brände erschüttert, bleibt die Kathedrale von Reims ein Symbol für Glauben, Wiederaufbau und europäische Kulturgeschichte.
afp

In unseren wöchentlichen Evangelienkommentaren geben Geistliche, Religionslehrerinnen, Theologinnen und andere ihre Gedanken zum Sonntagsevangelium weiter. Heute mit Andrea Geiger, Projektassistentin im Pastoralamt der Katholischen Kirche Vorarlberg.

Sonntagsevangelium

In jener Zeit, als einige darüber sprachen, dass der Tempel mit schön bearbeiteten Steinen und Weihegeschenken geschmückt sei, sagte Jesus: Es werden Tage kommen, an denen von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem andern bleibt, der nicht niedergerissen wird. Sie fragten ihn: Meister, wann wird das geschehen und was ist das Zeichen, dass dies geschehen soll? Er antwortete: Gebt Acht, dass man euch nicht irreführt! Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es! und: Die Zeit ist da. – Lauft ihnen nicht nach! Wenn ihr von Kriegen und Unruhen hört, lasst euch nicht erschrecken! Denn das muss als Erstes geschehen; aber das Ende kommt noch nicht sofort. Dann sagte er zu ihnen: Volk wird sich gegen Volk und Reich gegen Reich erheben. Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen. Aber bevor das alles geschieht, wird man Hand an euch legen und euch verfolgen. Man wird euch den Synagogen und den Gefängnissen ausliefern, vor Könige und Statthalter bringen, um meines Namens willen. Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können. Nehmt euch also zu Herzen, nicht schon im Voraus für eure Verteidigung zu sorgen; denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können. Sogar eure Eltern und Geschwister, eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern und manche von euch wird man töten. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden. Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen. Lukas 21,5–19

Denk mal

Ach ja, ich bewundere auch gerne die schönen Tempel und Kathedralen. Diesen Sommer war ich in Reims, Frankreich. Die Kathedrale von Reims – was für ein Gebäude! – Verdichtete Glaubens- und Weltgeschichte. Stundenlang kann ich mich davor und darin staunend bewegen und mich mit der Kunst des Bauwerks, europäischer Geschichte und dem zu Stein gewordenen Glauben unzähliger Menschen beschäftigen. Durch Feuer und Bomben immer wieder zerstört und wieder aufgebaut – das große Ganze und die unzählbaren Details. Faszinierend wie das Licht der Sonne durch die bunten Fenster auf den grauen Steinen die schönsten bunten Fresken malt. Und ich denke mir, nach all der Geschichte: Das bleibt, das kann nicht vergehen. Das ist ja auch der Sinn von einem Denkmal, von in Stein gemeißelter Erinnerung. Und auch Gott sperren wir so gerne hinter dicken Mauern ein, da ist er geschützt; möglicherweise mehr, die ihn verehren und anbeten.

Doch Jesus scheint das anders zu sehen. Er sagt: „Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben.“ Zack – alle Bewunderung verpufft. Jesus ist Realist. Er weiß, dass alles Äußere – so fest und prachtvoll es scheint – vergänglich ist. Tempel, Mauern, Systeme, auch Lebenspläne. Und dann malt er kein rosiges Zukunftsbild: Kriege, Katastrophen, Verfolgung. Nicht gerade das, was wir uns von einer Frohen Botschaft erwarten. Sein Plan ist eine Einladung: Verlier dich nicht in Angst – hab Mut und Vertrauen. Ich mag die Haltung, die Jesus zeigt für Zeiten, in denen nichts mehr sicher scheint. Er sagt sinngemäß: „Wenn alles wankt, bleib standhaft – dein Halt kommt nicht von außen, sondern von innen.“ Wie aktuell ist das! Wir leben in einer Welt, in der so vieles bröckelt – Sicherheit, Klima, Frieden, Gewissheiten. Und doch gibt es da diese leise, tröstliche Botschaft: Du brauchst keine Angst haben, wenn du weißt, wer du bist und worauf du vertraust. „Ich selbst werde euch Worte und Weisheit geben“, verspricht Jesus. Das heißt: Du musst nicht alles wissen, nicht immer stark sein. Du darfst darauf vertrauen, dass dir in den entscheidenden Momenten das Richtige einfällt, dass du geführt wirst.

Vielleicht ist das die eigentliche Schönheit, die bleibt – nicht die glänzenden Steine, sondern die innere Standhaftigkeit. Nicht der äußere Tempel, sondern der innere Mut. Vertrauen. Und wenn Jesus am Ende sagt: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“, dann klingt das wie ein Zuspruch: Bleib dir treu. Halte durch. Hab Vertrauen – selbst wenn um dich herum alles wackelt. Manchmal muss etwas einstürzen, damit Neues wachsen kann. Vielleicht ist das gar kein Weltuntergang, sondern ein Neuanfang. Und vielleicht ist genau das der Moment, in dem Glaube nicht nur eine alte Geschichte ist – sondern ein stilles, starkes jetzt.

Andrea Geiger
Andrea Geiger ist Projektassistentin im Pastoralamt der Katholischen Kirche Vorarlberg.