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Ende einer Ära: Der Mann, der immer zuhörte

20.12.2025 • 13:00 Uhr
Ende einer Ära: Der Mann, der immer zuhörte
Ein starkes Duo: Sepp Gröfler und Stellvertreterin Barbara Moser-Natter. Stiplovsek

Nach 26 Jahren als Leiter der Telefonseelsorge Vorarlberg tritt Sepp Gröfler Ende Februar in den Ruhestand. Im Gespräch mit der NEUE zieht er Bilanz, spricht über gesellschaftliche Trends, Herausforderungen und darüber, worauf er sich in seiner neuen Lebensphase freut.

Wie sieht die Bilanz für das Jahr 2025 aus?
Sepp Gröfler: Wir werden 2025 rund 17.000 Anrufe erreichen. Das sind rund fünf Prozent weniger als im Jahr davor. Auch die Krisenanrufe sind um etwa sechs Prozent zurückgegangen.

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Sepp Gröfler im Gespräch mit der NEUE am Sonntag. Stiplovsek

Welche Themen dominierten 2025 die Gespräche?
Gröfler: Insgesamt ist die psychische Gesundheit bei vielen Anrufern und Mailern ein immer größeres Thema. Einsamkeit ist nach wie vor das Thema mit den meisten Anrufern. Mir scheint, dass die Bevölkerung sich mit der aktuellen Lage wieder besser arrangiert hat, oder ein Gewöhnungseffekt eingetreten ist. „Man kann eh nix ändern“, ist ein Fazit für viele. Es wird die große Aufgabe der Politik und von uns allen als Gesellschaft sein, wieder mehr Selbstwirksamkeit zu entwickeln.

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Zeigen sich Auswirkungen von Social Media oder Digitalisierung auf die Art der Gespräche und die Anliegen der Anrufer?
Gröfler: Für ältere Mitbürger wird es zunehmend schwieriger, nicht abgeschnitten zu werden. Die digitale Welt ist nicht die ihre und sie mögen oder können da nicht mehr mithalten. Bei Kindern und Jugendlichen merken wir aber schon, dass telefonieren in den Hintergrund tritt. Sie kommunizieren doch merklich mehr über die schriftliche Form: Whatsapp, Facebook, Instagram. Unsere verschiedenen neuen Onlineangebote werden von dieser Altersgruppe eher angenommen.

Zur Peson

Name: Sepp Gröfler
Geboren: 1961
Familienstand: Verheiratet, drei Kinder, vier Enkelkinder
Beruf: Seit 1. Februar 2000 Leiter Telefonseelsorge Vorarlberg
Hobby: Theaterspielen, wandern, schreiben, ­Menschen zum Lachen bringen


Weihnachten steht vor der Tür. Welche Themen dominieren an den Feiertagen?
Gröfler: Hier ist nach wie vor die Einsamkeit und die Angst vor den innerfamiliären Krisen. Die hohen Erwartungen an das Fest des Friedens und der Familie werden dabei auf eine harte Probe gestellt.

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Die Telefonseelsorge erfolgt auf ehrenamtlicher Basis. Wie sieht es mit dem Personal aus?
Gröfler: Wir sind in der glücklichen Lage, viele engagierte Mitarbeitende zu haben. Sie schenken der Bevölkerung jeweils rund 200 Stunden im Jahr – das ist enorm. Aktuell sind 94 ehrenamtliche Mitarbeiter tätig, zehn davon arbeiten zusätzlich in der Onlineberatung.

Auch an den Feiertagen?
Gröfler: Wir haben ein hochmotiviertes Team. Selbst an diesen Tagen stellen sie ihre Zeit für die Mitmenschen zur Verfügung. Die Dienste sind alle besetzt.

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Arbeiten Sie auch an den Weihnachtsfeiertagen?
Gröfler: Ich bin über die Feiertage ganz regulär im Dienst, meine Stellvertreterin Barbara Moser-Natter macht auch selber an sensiblen Tagen Nachtdienst.

Was hat Sie während Ihrer 26-jährige Tätigkeit als TS-Leiter besonders beeindruckt?
Gröfler: Es hat mich immer wieder beeindruckt zu erleben, wie sehr die Mitarbeit in der Telefonseelsorge die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen fördert und wie nebensächlich persönliche Eitelkeiten dabei werden. Und: Wie wenig es braucht, um Menschen in Not ein guter Anker zu sein, der Halt gibt und Mut macht, den nächsten Schritt zu setzen. Oft bleibt nach dem Auflegen das Gefühl zurück: „Es ist gut, dass ich da war.“ Beeindruckt hat mich auch, dass ein Team aus Ehrenamtlichen diesen Dienst rund um die Uhr leisten kann, auch nachts. Die Begegnungen am Telefon und in der Onlineberatung finden zudem auf Augenhöhe statt und schaffen einen Lernprozess für beide Seiten.

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Die Telefonseelsorge ist das ganze Jahr über rund um die Uhr erreichbar. NEUE

Gab es Momente, die Sie besonders berührt haben?
Gröfler: Ja, mehrere. Etwa das Gespräch mit einem achtjährigen Mädchen, das glaubte, Schuld an der Trennung der Eltern zu sein. Nach kurzer Zeit war sie beruhigt und wusste, dass sie keine Schuld trägt und beide Eltern sie gleich gernhaben. Auch eine hochschwangere Frau hat mich sehr berührt. Sie wollte nicht mehr leben und war eine Zeit lang täglich in Kontakt mit uns. Beim letzten Telefonat war ihr Kind bereits geboren – sie war glücklich und dankbar, dass wir sie durch diese schwere Zeit begleitet haben. Oder eine Frau, die von häuslicher Gewalt betroffen war: Sie hat ihrem Mann während des Telefonats klar gesagt, dass sie nicht mehr schweigen und keine Ausreden für die blauen Flecken liefern wird – dass jetzt Schluss ist mit dem Dulden.
Und schließlich die vielen Gespräche mit Menschen, die niemanden mehr haben und unsere Unterstützung regelmäßig brauchen. Für sie leisten wir einen wichtigen Dienst, und kein Anliegen ist uns zu gering.

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Ihre schwersten Momente?
Gröfler: Die Begleitung eines jungen Mädchens in der Onlineberatung durch den Sterbeprozess ihrer Mama und die Zeit danach. Auch die Androhung eines Amoklaufs, oder der Suizid eines Referenten, der in der Suizidprävention gearbeitet hat. Aber natürlich auch die Welle von Scherzanrufen Mitte der 2000er-Jahre.

Zukünftige Herausforderungen?
Gröfler: Die Digitalisierung, die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz, die Besetzung von Nachtdiensten, den Wert des ehrenamtlichen Engagements zu transportieren und Menschen für ein Ehrenamt zu motivieren. Natürlich auch die finanzielle Grundlage, gut weiter arbeiten zu können.

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Sepp Gröfler und Barbara Moser-Natter. Stiplovsek

Ende Februar gehen Sie in Pension. Ihr Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin steht bereits fest, wird aber erst im Jänner öffentlich vorgestellt. Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit zu übergeben?
Gröfler: Natürlich schwingt ein wenig Wehmut mit, aber in der Gewissheit, eine gute Nachfolge geregelt zu haben, ist es ein gutes Gefühl. Alles hat seine Zeit und das Leben reift vor sich hin. Da gibt es dann auch einen guten Zeitpunkt alles loszulassen und der ist für mich genau jetzt. Da kommt eine große Dankbarkeit auf, mit diesem Team eine so schöne Aufgabe mitgetragen zu haben. Und natürlich Glück, diese Aufgabe machen zu dürfen und im Nachhinein die Gewissheit, einen sehr großen Teil meines Lebens sehr sinnvoll verbracht zu haben. Schöner kann es nicht sein.

Konkrete Pläne im Ruhestand?
Gröfler: Mein erstes großes Projekt ist eine Auszeit von sechs Wochen, die der Sepp, der Gröfler und ich miteinander verbringen werden. Meine Frau und meine Familie als Pensionist nicht allzu sehr zu nerven. Mehr staubsaugen und zu kochen. Vor allem nicht zu viele Pläne zu schmieden, vielleicht noch eine einfache Boulevardkomödie für das Theater zu schreiben. Eigentlich schon wieder viel zu viel …!

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Sepp Gröfler leitete 26 Jahre die Telefonseelsorge Vorarlberg. Stiplovsek

Worauf freuen Sie sich am meisten in der neuen Lebensphase?
Gröfler: Auf ein großes leeres Blatt Papier, das von meinem Leben wieder neue beschrieben werden will.

Werden Sie der TS in irgendeiner Form verbunden bleiben?
Gröfler: Ich werde mit dem Herzen immer ein Telefonseelsorger bleiben, aber physisch werde ich mich ganz herausnehmen. Wobei zu einem Ausflug im Sommer bin ich schon eingeladen (lacht).

Zum Abschluss. Ihr Wunsch/Botschaft zum Jahreswechsel?
Gröfler: Bringt mehr Lächeln unter die Leute!