Vor Virus sind nicht alle gleich

Corona trifft Ärmsten am härtesten und lässt Druck auf Familien steigen.
Die Folgen der Corona-Krise sind nicht nur gesundheits- und wirtschaftspolitisch schwerwiegend. Sie stürzen auch zahlreiche Menschen, die bereits vor der Krise wenig hatten, in eine akute Notsituation. Zudem kommen immer mehr Familien an ihre Belastungsgrenze. Caritas-Direktor Walter Schmolly sprach im Rahmen eines Pressegesprächs von „schwerwiegenden sozialen Auswirkungen“. Corona verschärfe die Not in Vorarlberg. „Deshalb braucht es mehr denn je den sozialen Zusammenhalt für jene Menschen, die die Krise am härtesten trifft.“
In ihrer Entwicklung ausgebremst werden laut Schmolly etwa Kinder und Jugendliche. Der Caritas-Direktor beruft sich auf mehrere Studien, die belegen, „dass Corona die Chancenungleichheit für Kinder an den Schulen vergrößert“. Das decke sich auch mit der Erfahrung in den Caritas-Lerncafés. Auch die wachsenden Wartelisten in den Caritas-Jugendbeschäftigungsprojekten „startbahn“ deuten offenbar darauf hin, dass Corona besonders jene Jugendlichen hart trifft, die Schwierigkeiten haben, nach der Schule in die Erwerbsarbeit einzusteigen.
„Die Selbstständigkeit unserer Klienten ist zu ihrem Schutz enorm eingeschränkt. Sie leiden darunter.“
Helga Sartori, Caritas-Werkstätte Bludenz
Chancen verschlechtert
Deutlich verschlechtert haben sich auch die Chancen für Langzeitarbeitslose und benachteiligte Menschen, auf dem regulären Arbeitsmarkt nachhaltig Fuß zu fassen. Wie berichtet, liegt die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen im September 2020 um zwei Drittel über dem Vergleichsmonat im Vorjahr. Speziell für Familien, die vor Corona bereits mit einem geringen Haushaltseinkommen auskommen mussten, bringt eine weitere Kürzung aufgrund von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit das Fass oftmals zum Überlaufen. Hier sei die Caritas ganz besonders gefordert, konstatiert Schmolly: „Einzelpersonen und Familien, die ihre Grundbedürfnisse nicht mehr decken können oder Gefahr laufen, ihre Wohnung zu verlieren, müssen aufgefangen werden.“ Sprunghaft angestiegen ist auch die Zahl jener Menschen, die sich zum ersten Mal an die Caritas wandten. Laut Schmolly waren es im Mai/Juni um 20 Prozent mehr als in den Vergleichsmonaten im Vorjahr. Gleich vervierfacht haben sich im Juni die anonymen Anfragen. „Beide Zahlen zeigen, dass die Krise auch Personen und Familien trifft, die davor nicht auf Hilfe angewiesen waren“, erläutert der Caritas-Direktor.
Schwieriger Alltag in Werkstätten
Einen Einblick in ihren durchaus anspruchsvollen Alltag in einer Werkstätte für Menschen mit Beeinträchtigung gab Stellenleiterin Helga Sartori. Gemeinsam mit ihrem Team muss die Leiterin der Werkstätte Bludenz täglich einen Spagat zwischen Normalität und Sicherheit bewältigen. „Viele unserer Klienten kommunizieren mit Handzeichen, Gebärden und durch Lippenlesen. Durch das Tragen der Masken wird diese Kommunikation quasi unmöglich gemacht.“ Die Selbstständigkeit der Klienten sei zu ihrem Schutz stark eingeschränkt. „Darunter leiden sie“, stellt Sartori fest. Aus Angst vor einer Ansteckung würden zahlreiche Klienten zu Hause bleiben.
„Wir müssen vor allem diejenigen in den Blick nehmen, die am meisten gefährdet sind, weil die Pandemie sie am härtesten trifft.“
Walter Schmolly, Caritas-Direktor
Familienhilfe gefordert
Auch Doris Jenni, Stellenleiterin der Familienhilfe der Caritas, bemerkt, dass der erste Lockdown im Frühjahr bei vielen Familien Spuren hinterlassen hat siehe linke Spalte). Besonders herausfordernd sei die Situation für Eltern, deren Kinder – etwa durch eine Beeinträchtigung – einen hohen Betreuungsaufwand haben. „Diese Kinder können auch nicht ohne Weiteres etwa einer Oma oder einem Opa anvertraut werden, da sie sich die Pflege oftmals nicht zutrauen.“ Finanzielle Einbußen durch Kurzarbeit oder Jobverlust seien für viele Familien ein zusätzlicher Stressfaktor.
Drei Fragen an…Doris Jenni, Caritas Familienhilfe
1: Mit welchen Problemen haben die Familien, die sie betreuen, am meisten zu kämpfen?
Doris Jenni: Die Energiereserven scheinen aufgebraucht zu sein. Das sind erschöpfte Familie, die teilweise nicht mehr wissen, wie sie ihren Alltag meistern sollen. Dazu kommt die große Unsicherheit, sie fragen sich, was der zweite Lockdown mit sich bringen wird. Sie haben große Angst davor, dass Kindergärten und Schulen wieder schließen. Für Eltern mit beeinträchtigten Kindern ist die Situation besonders herausfordernd.
2: Wie konnte bzw. kann die Familienhilfe die Familien unterstützen?
Jenni: Unser Fokus liegt auf der Kinderbetreuung. Wir schauen auch, dass gekocht wird, dass frische Wäsche da ist, dass einkaufen gegangen wird. Die Eltern können sich regenerieren, während wir die Kinder betreuen. Zudem höre ich immer wieder, wie froh die Eltern darüber sind, dass sie eine erwachsene Ansprechperson haben.
Spenden und Beratung
Caritas Spendenkonto
Caritas-Spendenkonto – Raiffeisenbank Feldkirch,
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Kennwort: Inlandskampagne, Online-Spenden:
Anonyme Beratung
Die Caritas Vorarlberg bietet auch Hilfesuchenden die Möglichkeit, anonyme Anfragen zu stellen.
Kontakt: beratung@caritas.at
3: Wie schwierig ist die Betreuung in Zeiten von Corona?
Jenni: Das Arbeiten mit Mund-Nasen-Schutz ist teilweise sehr mühsam. Auch die Familien mussten sich zuerst daran gewöhnen, dass wir mit Masken kommen und sie selbst eine tragen müssen, wenn der Abstand nicht eingehalten werden kann. Dazu kommt, dass es Kinder mit Beeinträchtigung gibt, die keine Maske aufsetzen wollen.