Vom Jagen, Sammeln und ersten Advent

Heidi Salmhofer mit Ihrer Sonntags-Kolumne in der NEUE am Sonntag-
Es heißt landläufig, dass sich der Homo Sapiens als sehr anpassungsfähiges Lebewesen auf der Erde behaupten konnte. Nahezu jedem Klima kann er trotzen, aus fast allem kann er Essbares produzieren (inzwischen können wir aus „was weiß ich was“ fleischlose Wurst herstellen, wenn das kein Wunderwerk ist!) und wenn er will, kann er sich über mehr als Hunger, Schlafen und Fortpflanzung unterhalten. Eigentlich recht erstaunlich.
Ich aber zweifle im Moment, ob ich mich jener Spezies zuordnen darf. Ich kann mich nämlich überhaupt nicht an diesen zweiten Lockdown gewöhnen. Als es hieß: Leute, zu Hause bleiben, es wird brenzlig, dachte ich mir noch: ‚Easy! Hatten wir schon mal, kenn ich, gar kein Problem.‘ Mein (wahrscheinlich mutierter) Homo-Sapiens-Körper verweigert jedwede Form der Anpassung.
Man stelle sich vor, ich hätte zu jener Zeit gelebt, als der Mensch meinte, dass dieses Herumwandern, Jagen und Beerenpflücken auf die Dauer sehr unbefriedigend ist und er, aufgrund von besseren Überlebensmöglichkeiten, sich dazu entschloss, kleine Unterkünfte zu bauen und sesshaft zu werden. Heidi (damals wohl eher unter dem Namen „Frau mit dem unruhigen Hinterteil“ bekannt) hätte sich damit nicht zurechtgefunden. Ich wäre ziemlich sicher beim Getreidesamenstampfen an akuter Langweile gestorben. Heute stampfe ich zwar keine Getreidesamen, aber das „Jagen, Beerensammeln und Lagerfeuer“ vermisse ich sehr. Mir fehlt die Arbeit da draußen in der großen weiten Kulturwelt, mir fehlt das „Pflücken“ von Blümchenkleidern in den Kaufhäusern und mir fehlt das gemeinsame Tratschen rund um einen großen Tisch mit Nähe, Lachen und Umarmungen. Außerdem kommt noch hinzu, dass ich nicht in der Lage bin, aus unterschiedlichen Zutaten Essbares zu zaubern. Inzwischen gibt es zum sechsten Mal während des Lockdowns Spaghetti, und nicht einmal die Soße variiert. Wehe mir, Nudeln würden jemals Mangelware werden. Ich beruhige mich mit dem Gedanken, dass so ein Lockdown nichts derart Endgültiges ist, wie die Sesshaftwerdung des Menschen.
Und wie toll! Es ist jetzt erster Advent. Ich werde jetzt mein unruhiges Hinterteil auf den Dachboden schieben, um sämtliches Weihnachtsdekomaterial auszugraben, das zu finden ist. Wenn ich schon an meine Behausung gebunden bin, dann soll diese jetzt möglichst viel Bling-Bling und Weihrauchduft hinaustragen. Als visuelle und duftende Umarmung an alle da draußen. Wir dürfen bald wieder Mammuts jagen. Ganz sicher!
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.