Die unmögliche Vermessung Europas

Ensemble unpop zeigt Thomas Köcks „dritte republik (eine vermessung)“.
Das Ziel erscheint unerreichbar: In Franz Kafkas „Schloss“ ist es ebendieses, in Thomas Köcks „dritte republik (eine vermessung)“ sind es die Grenzen Europas. Damit sind schon die zwei Hauptaspekte des Stücks vereint, welches das Ensemble unpop auf die Hinterbühne im Kulturhaus Dornbirn bringt. Einerseits geht es um eine Geschichte Europas, die hier Anfang des 20. Jahrhunderts einsetzt und ihre Fühler bis in die Gegenwart ausstreckt. Andererseits ist es die surreale Odyssee einer Landvermesserin, die im Widerstand eines tobenden Schneesturms eine schier unmögliche Aufgabe zu erledigen versucht, und dabei auf kafkaeske Figuren trifft. Klingt wie ein perfekt geeignetes Stück für das Vorarlberger Ensemble, das sich auf zeitgenössische Werke junger Theaterautoren konzentriert – das Stück wurde 2018 uraufgeführt. Morgen wird Premiere gefeiert.
Kleinkariertheit
Erfreut sind die künstlerischen Leiter Stephan Kasimir und Caro Stark darüber, dass Köck aus Kafkas Landvermesser K. eine Landvermesserin gemacht hat, wie Regisseur Kasimir im Gespräch erzählt – schließlich sei ja auch Europa eine Frau, sagt er mit Verweis auf den antiken Mythos. Mit der Darstellerin Jeanne Marie Bertram steht nun eine junge Frau im Zentrum, die nach dem Ersten Weltkrieg die Außengrenzen Europas vermessen soll, ein Kutscher soll sie dorthin führen. So wie für K. das Schloss unerreichbar bleibt, ist auch dies eine unmögliche Aufgabe. Diese Grenzen könnten als geografische, europäische Grenzen gedacht werden, aber auch als metaphorische Grenzen, die den menschlichen Handlungsradius definieren, meint der Regisseur.

Zusätzlich erschwert wird die Mission durch den Sturm, in dem „wie im Purgatorium“ (Kasimir) auch die Zeiten durcheinandergewirbelt werden. Die Protagonistin trifft auf schräge Figuren, die eigentlich aus dem Heute entsprungen sein könnten. Das leuchte ein, so Kasimir, denn seit damals habe sich auch das Denken in Grenzen und in Nationalstaaten gehalten, wie der Regisseur zu bedenken gibt: „Der Nationalismus ist keine Geschichte von gestern.“ Geschickt würde der Autor im Schneegestöber die Jahrzehnte vermengen. Die Landvermesserin trifft etwa auf traumatisierte Soldaten, eine desertierte Fallschirmspringerin oder einen suizidalen Reeder – „und das alles am fürchterlichsten und menschenfeindlichsten Gebiet der Geschichte: der österreichischen Provinz“, wie Köck selbst sein Werk beschreibt. Wohl auch dort ist die „Kleinkariertheit des Nationalismus“ zu spüren, wie sie Kasimir diagnostizert. Dass Europa es noch nicht geschafft hat, über seine inneren Grenzen hinauszudenken und in einer globalisierten Welt Weitblick zu gewinnen, zeige als jüngstes Beispiel das „Dichtmachen“ der Grenzen in der Corona-Pandemie, meint der Regisseur. Auch der Rechtsruck auf dem Kontinent sei hier erwähnt.

„Schon fast poetisch“ sei Köcks Text, der sich hier ein wenig reduzierter zeige als in den übrigen Werken des Autors – am Theater Kosmos war 2018 ein Gastspiel von Köcks „Die Zukunft reicht uns nicht (Klagt, Kinder, klagt!)“ im Rahmen der Theaterallianz zu erleben. Wohl spielt bei dem jungen Oberösterreicher, der musikalische Wurzeln aufweist, auch Rhythmus eine Rolle.
Caro Stark hat das Bühnenbild konzipiert, das zusammen mit dem Licht von Mathias Zuggal atmosphärische und schöne Bilder verspricht. In weiteren Rollen sind Maria Fliri, Simone Loser, Joachim Rathke und Jens Ole Schmieder zu erleben.
Zum Stück
Ensemble unpop: „dritte republik (eine vermessung)“ von Thomas Köck. Premiere morgen, 1. April, 18 Uhr im Kulturhaus Dornbirn. Weitere Termine: 2., 3., sowie 7. 8. und 9. April, jeweils um 18 Uhr. Infos und Kartenreservierung unter www.unpop.at.