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“Verteilungsschlüssel wird interessant”

14.10.2021 • 19:29 Uhr
IG-Kultur-Vorarlberg-Geschäftsführerin Mirjam Steinbock (im Bild mit Hündin Kilia). <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
IG-Kultur-Vorarlberg-Geschäftsführerin Mirjam Steinbock (im Bild mit Hündin Kilia). Klaus Hartinger

Mirjam Steinbock über die Erhöhung des Kulturbudgets und Fair Pay.

Das Bundes-Kulturbudget steigt im nächsten Jahr um 61 Millionen Euro. Sind Sie überrascht von der Erhöhung?
Mirjam Steinbock: Es hätte mich überrascht, wenn es nach diesen aufreibenden 19 Monaten keine Erhöhungen gegeben hätte. Der Großteil des Kunst- und Kultursektors wurde an sein existenzielles Limit gebracht. Und vor allem auch nach dem groß angelegten Fairness-Prozess des Bundes, der sich endlich Fair Pay, also fairer Bezahlung, im Kunst- und Kulturbereich widmet. Das ist ohne Budgeterhöhung nicht umsetzbar.

Wie beurteilen Sie die Erhöhung?
Steinbock: Um die präsentierten Zahlen solide einordnen und für regionale Kultureinrichtungen und Vereine übersetzen zu können, fehlen uns von der IG Kultur noch die Details. Es heißt, zehn Millionen Euro fließen in die Kulturförderung. Darin sei laut Staatssekretärin auch die Schließung des Fair-Pay-Gap enthalten – jene Lücke zwischen Fair-Pay-Löhnen und -Gehältern und tatsächlich ausgeschütteten Mitteln. Die Studie zum Fair-Pay-Gap ist in Bearbeitung, die entsprechenden Zahlen liegen noch nicht vor. Kurz gesagt, unsere mittlerweile zehnjährige Expertise für eine Mittelverwendung zur Umsetzung von Fair Pay wurde nicht eingeholt. Daher müssen wir noch warten, ob wir uns über einen ersten wichtigen Schritt freuen sollen oder weitere Fakten unseres Argumente-Fundus diskutieren müssen.

Budgetiert sind auch Gelder für die Sanierung von Festspielhaus und Seebühne.   <span class="copyright">Hartinger</span>
Budgetiert sind auch Gelder für die Sanierung von Festspielhaus und Seebühne. Hartinger

Der Großteil der Gelder wird in Wien bleiben. Was ist für Vorarlberg zu erwarten?
Steinbock: Da sind wir beim Verteilungsschlüssel, der wird auch noch interessant. Wie Sie sagen, wird ein Großteil dieser Gel­der den Bundeseinrichtungen und den Sanierungen bei den Festspielen in Salzburg und Bregenz (14 Millionen Euro, Anm.) zukommen. In dem Zusammenhang spricht man von Investitionen, während es auf der Seite der autonomen Kulturarbeit die Bezeichnungen „Kulturförderung“ oder auch „Unterstützung“ gibt. Das eine bezieht sich auf die Fülle, das andere auf den Mangel – was sich auf die Lust des Gebens oder Aufteilens auswirken dürfte. Wir werden das spätestens bei den jeweiligen Budgets sehen.

Wie würden Sie sich die Verteilung vorstellen?
Steinbock: Mir gefällt das Bild des Kulturstraßenbaus, in den investiert werden sollte. Das bezieht auch die kleineren Kultureinrichtungen in ländlichen Gebieten und in den Städten mit ein. Also jene, die mit viel freiwilligem Einsatz permanent daran arbeiten, Kultur erlebbar zu machen, die den Grundstock legen, Bewusstsein schaffen, vermitteln und vielfältig beteiligen. Schon interessant, dass selbst in Bundesmuseen Fair Pay über Kollektivverträge implementiert werden muss und das nicht State of the Art ist. Da gibt es noch viel zu tun. Aber es passiert auch schon etwas auf Landesebene.

Was passiert da?
Steinbock: Wenn ich beispielsweise auf einer Vorarlberger Kulturklausur aus dem Mund des Vorarlberger Kulturabteilungsleiters das Wort „Fair Pay“ höre und sich engagierte Kollegen gegenüber Gemeindevertretern für den Einsatz von fairer Bezahlung im Kulturbereich aussprechen, sollte das eigentlich selbstverständlich sein. War es aber lange nicht. Daher geht mir das Herz auf, wenn das passiert. Wie und ob sich das in Vorarlberg in Zahlen niederschlagen wird, darauf bin ich sehr gespannt.

Seit 2017 Geschäftsführerin IG Kultur Vorarlberg: Mirjam Steinbock.  <span class="copyright">Niklas Koch</span>
Seit 2017 Geschäftsführerin IG Kultur Vorarlberg: Mirjam Steinbock. Niklas Koch

Wie schaut es mit den Arbeitsbedingungen im Kulturbereich in Vorarlberg aus?
Steinbock: Auch hier im Land soll eine Studie Aufschluss über prekäre Arbeitsbedingungen geben. Wir sind zwar im Austausch mit der Fachhochschule Vorarlberg, die diese Studie verantwortet, allerdings sonst nicht involviert ist. Es hieß, es werden nur die Arbeitsbedingungen von Künstlern erhoben, nicht aber die der Kulturarbeiter. Was einen maßgeblichen Datenverlust in der Fair-Pay-Betrachtung darstellt. Immer wieder ist von Vertretern aus Kulturpolitik und Verwaltung zu hören, dass man einfach weniger Projekte machen solle, es gebe ohnehin viel zu viel.

Gibt es zu viel?
Steinbock: Um diese Frage geht es dabei nicht, sondern um die fehlende Berücksichtigung einer jahrzehntelang gewachsenen Förderpraxis. So lang Strukturarbeit nicht angemessen honoriert wird und Gehälter über Projekte finanziert werden müssen, geht der Knopf nicht auf. Weniger Projekte hieße auch weniger Engagements von Künstlern.

Wo ist hierzulande im Kulturbereich der Bedarf am größten?
Steinbock: Ob auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene: Es geht im ersten Schritt um ein Bekenntnis zu Fair Pay und das bedeutet höhere Budgets. Das ist längst notwendig. In dem Bereich wurde ewig nicht valorisiert und die Inflation ignoriert, da braucht es dringend Reparaturen. Es gibt Vorarlberger Kultureinrichtungen mit europäischem Renommee und von gesellschaftlicher Tragweite, die um Strukturkosten ringen, weil Ehrenamt und unbezahlte Arbeit endlich sind und Förderungen auch. Da frage ich mich schon, wie das in einem Land möglich ist, das Milliarden in Straßenbau steckt. Es braucht zudem Formate für die Zukunft. Ausschreibungen und Calls unterstützen das engmaschige Geflecht zwischen Einrichtungen und Akteuren. Vorarlberg kann da mutiger werden. Wir sollten noch mehr zusammenrücken, Netzwerke bilden, und wir dürfen auch viel selbstkritischer werden, wenn wir auch über unsere Landesgrenzen hinaus etwas bewirken wollen. Stiftungen und weitere Initiativen der privaten Kulturinvestition sind auch noch ebenfalls unbeackerte Felder in Vorarlberg und Österreich. Ideen und der Wille der Szene sind ja schon da.