Koalition öffnet Weg zur Todespille

Verbot der Beihilfe zum Suizid: Koalition einig über Nachfolgeregelung.
Nur wenige Wochen bevor die Beihilfe zum Suizid durch einen Spruch des Verfassungsgerichtshofes völlig außer Strafe gestellt würde, hat sich die türkis-grüne Koalition auf eine Nachfolgeregelung geeinigt.
Aus dem Erkenntnis des Höchstgerichts folgt ja, dass es keine “Pflicht zum Leben” gibt – und der Gesetzgeber eine klare Willensbekundung eines Sterbewilligen auch dahingehend achten muss, dass dieser sich legal bei der Selbsttötung helfen lassen können muss; etwa, indem er sich ein tödliches Medikament verschreiben lässt, dieses in einer Apotheke kauft und dann selbsttätig einnimmt.
Bisher wären in diesem Fall der verschreibende Arzt und die Apothekerin strafbar gewesen. Nachdem eine Reihe Sterbewilliger das entsprechende Verbot – den zweiten Fall des §78 Strafgesetzbuch – vor dem Verfassungsgerichtshof erfolgreich angefochten hatte, entfällt das.
In einer ersten Reaktion begrüßt der für Lebensschutz zuständige Bischof Hermann Glettler die restriktive Regelung für das neue Sterbeverfügungsgesetz. Auch die Vorsitzende des österreichischen Hospizverbandes und ehemalige steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic meint: Die Vervielfachung der Mittel für Hospiz- und Palliativmedizin sei “ein entscheidender und wichtiger Schritt, um Menschenwürde bis zum Lebensende zu gewährleisten”
Sterbeverfügung für Straffreiheit
Die Neuregelung durch die Koalition, verhandelt von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) – letztere betont widerwillig, ihr und der ÖVP “wäre es lieber gewesen, uns nie mit dieser Frage auseinandersetzen zu müssen” – steht nun auf zwei Beinen: Einer Anpassung des §78 StGB und einem neuen “Sterbeverfügungsgesetz”.
Strafbar ist wegen Mitwirkung an der Selbsttötung nach §78 StGB ab 1. Jänner 2022 demnach nur mehr, wer entweder 1. Minderjährigen, 2. aus verwerflichen Beweggründen (etwa um sich ein Erbe zu sichern), 3. jemandem der nicht schwer krank ist oder 4. jemandem, der nicht nach dem Sterbeverfügungsgesetz aufgeklärt worden ist, physisch Hilfe leistet, sich selbst zu töten.
Das Sterbeverfügungsgesetz wiederum enthält eine Reihe von Regeln, nach denen ein Sterbewilliger die Menschen rechtlich absichern kann, die ihm helfen, aus dem Leben zu scheiden.
Wichtig ist dabei: Es geht nicht um Tötung auf Verlangen – die verboten bleibt. Ein Arzt darf also keine Todesspritze geben, es muss die letzte Handlung (etwa die Einnahme einer Todespille) immer vom Sterbewilligen selbst gesetzt werden. Sollte man nicht in der Lage sein, das Mittel oral einzunehmen (etwa, weil man nicht mehr schlucken kann), ist auch eine andere Gabe, etwa über eine Sonde möglich. Allerdings muss auch in diesem Fall der Betroffene selbst diese Sonde auslösen.
Zwei Ärzte müssen Entscheidungsfähigkeit beurkunden
Der Prozess ist mehrstufig: Um die Helfer abzusichern, muss der Sterbewillige bei einem Notar oder Patientenanwalt eine Sterbeverfügung (ähnlich der Patientenverfügung) errichten. Dazu sind folgende Schritte notwendig, um die freie Entscheidung sicherzustellen.
- Aufklärung durch zwei Ärzte: Davon kann einer der Hausarzt sein; ein weiterer braucht eine Qualifikation in Palliativmedizin
- Bestätigung der Krankheit: Es muss entweder eine unheilbare, tödliche Krankheit vorliegen oder eine schwere, dauerhafte Krankheit, deren Symptome den Patienten in seiner gesamten Lebensführung beeinträchtigen.
- Bestätigung der Entscheidungsfähigkeit: Beide Ärzte müssen unabhängig voneinander die Entscheidungsfähigkeit des Sterbewilligen attestieren
- Absicherung durch Psychiater oder Psychologen: Hat einer der Ärzte Zweifel, muss ein Experte das beurteilen
- Wartefrist: Um die Dauerhaftigkeit der Entscheidung sicherzustellen, muss der Sterbewillige zwölf Wochen warten, bevor die Verfügung eingetragen wird. Bei tödlichen Krankheiten im Endstadium kann das auf bis zu zwei Wochen verkürzt werden.
Die Sterbeverfügung wird dann in einem zentralen, vom Gesundheitsministerium verwalteten Register eingetragen. Mit diesem Eintrag können sich die Sterbewilligen dann ein (vom Gesundheitsminister per Verordnung festgelegtes) Präparat in einer Apotheke abholen oder von ihr zustellen lassen. Das können sie dann in einem frei gewählten Rahmen einnehmen.
Wichtig sei, betonen beide Ministerinnen, dass niemand gezwungen sei, an einer solchen Selbsttötung mitzuwirken. Weder Ärztinnen noch Apotheker noch sonst jemand sei verpflichtet, niemand dürfe einer Weigerung wegen benachteiligt werden. Darüber hinaus gilt ein Werbeverbot für die Selbsttötung sowie ein Verbot, sich durch irgendeinen Schritt in diesem Prozess zu bereichern.
Ausbau der Hospizversorgung ebenfalls fixiert
Begleitend zum Sterbeverfügungsgesetz kommt es zu einem Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung. Dazu soll ein eigener Fonds errichtet werden. Ab dem Jahr 2022 stellt der Bund den Ländern jährlich einen Zweckzuschuss zur Verfügung, vorgesehen ist eine Drittelfinanzierung durch Bund, Länder und Gemeinden. 2021 gibt es vom Bund 21 Mio. Euro, 2023 dann 36 Mio. Euro und 2024 51 Mio. Euro. Schöpfen Länder und Gemeinden die vollen Mittel aus, stünden damit etwa 2024 insgesamt 153 Mio. Euro zur Verfügung. Aktuell gibt es laut Regierungsinformationen seitens des Bundes sechs Mio. Euro pro Jahr, inklusive Land – und Gemeindemitteln also 18 Mio. Euro.
In Kraft treten soll die Neuregelung laut den Plänen per 1. Jänner 2022. Für die Umsetzung ist noch der Beschluss im Parlament notwendig, der im Dezember erfolgen soll. Davor wird es, weil die Vorarbeiten lange gedauert haben, nur eine kurze Begutachtung ab heute geben, schon Anfang November soll das Gesetz im Plenum behandelt werden.