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Über jugendliche Sprachbasteleien und Wortentwicklungen

30.10.2021 • 17:42 Uhr
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Heidi Salmhofer mit ihrer Sonntags-Kolumne in der Neue am Sonntag.

Cringe ist das Jugendwort des Jahres. Was für ein spannendes Beispiel, wie Wörter einer anderen Sprachkultur in die unsrige einverleibt werden und sich zu etwas Neuem entwickeln. Im Englischen verwendet man dieses Wort für „zusammenzucken“, etwa wenn man eine Schlange sieht, „cringed“ man. Im deutschen Gebrauch wird es als Ersatz für „fremdschämen“ verwendet.
Ich finde interessant, wie wir uns Wörter zu eigen machen, die aus einer anderen Sprache kommen oder manchmal glauben, es zu tun. „Handy“ zum Beispiel. Klingt wie englisch, ist es aber nicht. Dort sagt man eher cell phone oder mobile. „Handy“ ist eigentlich die Abkürzung für „Handie-Talkie“, dem Handfunkgerät. Nicht ganz so oft wie in Deutschland, aber doch ab und an sagen wir hier mal: „das ist mir echt Banane“ oder: „das ist mir wirklich wurscht“. Kommt unser „wurscht“ noch von der wahrhaftigen Wurst, also dem Überbleibsel aus der Fleischverarbeitung, hat die Banane bei der Redewendung eigentlich nichts mit der gelben Frucht zu tun. Höchstwahrscheinlich leitet es sich vom türkischen Wort ­„banane“ für „ist mir doch egal“ ab. Irgendwann sind in den 70ern in Berlin ein paar ­Jugendliche verschiedener Nationalität zusammengesessen. Einer von ihnen hatte ein gelangweiltes „Banane“ in den Raum geworfen, und die Deutschsprachigen unter ihnen hatten aufgehorcht. „Jö, das ­kennen wir! Das nehmen wir jetzt auch“ – und schon war „alles Banane“ geboren.
Noch ein schönes Beispiel ist: wenn jemand „großkotzig“ tut, hat das nichts mit übermäßiger Speiberei zu tun, sondern kommt vom hebräischen „kozin“, was so viel wie reich und vornehm bedeutet. „Kotzen“ im Sinne von „sich übergeben“ entstammt aber dem ebenfalls hebräischen Wort „qoz“ für Ekel. Ich gehe davon aus, dass auch damals die Jugend dafür verantwortlich war, dass sich unser Wortschatz auf diese Weise erweitert hat. Aber das ist jetzt Eigeninterpretation.
Im Zuge dieser Gedankengänge bin ich natürlich nicht umhin gekommen, ein bisschen darüber zu sinnieren, welche Jugendwörter ich damals mitgetragen und womöglich etabliert habe. Willkommen in den 80ern! Eines der wichtigen Jugendwörter war damals sicherlich „cool“. Heute ein Wort, das meine Kids schon wieder total uncool finden, hatte ich es mir damals hart erkämpfen müssen. „Was ist schon wieder kalt?“, war die übliche Reaktion erwachsener Mitmenschen. Das war echt uncool. Darauf hatte ich damals null Bock und fand das so was von cringe.

Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalis­tin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.