Schlaflose Nacht aus lauter Freude

Obmann der Vorarlberger Aleviten über Anerkennung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft.
Die Anerkennung der „Frei-Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich“ als religiöse Bekenntnisgemeinschaft war auch in Vorarlberg ein Grund zum Feiern. Vor gut einer Woche trafen sich die Mitglieder und zahlreiche Gäste aus diesem Grund im Kulturzentrum in Weiler. Obmann Rifat Özmen durfte dabei etwa den Bürgermeister der Gemeinde Dietmar Summer, Hans Rapp von der Diözese Feldkirch, den Nationalratsabgeordneten Reinhold Einwallner (SPÖ), die Landtagsabgeordnete und Alevitin Vahide Aydin (Grüne), Eva Grabherr von „okay.zusammen leben“ oder Altlandesrat Erich Schwärzler (ÖVP) begrüßen.
Historisch
„Mit diesem Schritt sind wir in Österreich angekommen“, betont der Obmann. Die Freude über die Entscheidung ist ihm auch noch mehr als zwei Monate nach der offiziellen Verkündung deutlich anzumerken. „Als ich davon erfahren habe, konnte ich in der Nacht vor Freude nicht schlafen“, sagt Özmen und grinst. Wie der Bundesvorsitzende der Freien Aleviten Özgür Turak hält auch er die Entscheidung für eine historische. Schließlich sei es nun möglich, ganz offiziell die Religion auszuüben.

Denn schon vor der Anerkennung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft hatte der Obmann so manche schlaflose Nacht. Jedoch nicht aus Aufregung über ein erreichtes Ziel, sondern aus Sorge. Sorge darüber, dass es wegen einer Gebetsveranstaltung im Kulturzentrum eine behördliche Strafe nach dem Islamgesetz geben könnte. Doch diese Angst ist nun Geschichte. Zu recht findet Özmen: Die Aleviten hätten keine Berührungspunkte mit dem Islam. Man sei Religionen wie etwa dem Christentum deutlich näher. So gebe es beispielsweise keine strikten Regelungen, wie oft und wann gebetet werden muss. Auch der Koran spiele keine Rolle. Die Anerkennung als religöse Bekenntnisgemeinschaft sieht der Obmann der Vorarlberger Aleviten daher durchaus auch als bedeutend für die Abgrenzung zum Islam.
“Mit breiter Brust”
Rund 430 Mitglieder hat der Alevitische Kulturverein in Vorarlberg. Und auch ihnen hat die Entscheidung vor zwei Monaten Auftrieb gegeben. „Wir können jetzt mit breiter Brust herumlaufen“, meint Özmen. Gerade angesichts der Geschichte der Glaubensgemeinschaft, die von Verfolgung und Diskriminierung geprägt ist, sei die Anerkennung durch den österreichischen Staat eine besondere Genugtuung. Schließlich verstehen sich die Gläubigen als österreichische Aleviten, die hier ihre Heimat haben und sich auch in die Gesellschaft einbringen. Gerade die Vorarlberger Mitglieder der Glaubensgemeinschaft sind diesbezüglich sehr aktiv. So wurde während der Pandemie das Kulturzentrum mehrfach für Coronatest- und später für Impfaktionen genutzt – nicht nur für Mitglieder, sondern auch für die Bevölkerung aus Weiler und der Umgebung.
Vorbild für andere
Doch die Vorarlberger Aleviten sind nicht nur im Land gut vernetzt. Auch weit über die Grenzen hinaus pflegen sie zu Aleviten in ganz Europa gute Beziehungen. „Sie schauen jetzt natürlich alle auf Österreich, denn wir sind nach der staatlichen Anerkennung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft Vorbilder. Darum bin ich auch sicher, dass noch in 100 Jahren über diese Entscheidung gesprochen werden wird“, meint Özmen.
Hintergrund: Ein jahrzehntelanger Kampf
Ein langer Kampf ist am 13. April für die Mitglieder der „Frei-Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (Freie Aleviten) zu Ende gegangen. An diesem Tag wurde die Gruppierung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft staatlich anerkannt. Damit sei eine „einzigartige, wegweisende und historische Entscheidung“ gefällt worden, meinte damals Özgür Turak, Bundesvorsitzender der Glaubensgemeinschaft.

Alevitinnen und Aleviten würden nach wie vor in einigen Staaten der Welt aufgrund ihres Glaubens verfolgt und diskriminiert. Lediglich in einigen europäischen Ländern wie etwa Deutschland, Großbritannien, Dänemark oder der Schweiz genieße man auf regionaler Ebene einen rechtlichen Status. Mit der Anerkennung in Österreich sei es erstmals gelungen, dass der Glaube auf einer gesamtstaatlichen Ebene gewürdigt werde.
Eigenständige Glaubensrichtung
ie Turak im Gespräch mit Kathpress erklärte, gehe damit auch ein jahrzehntelanges rechtliches Ringen zu Ende, das bereits 2009 begonnen habe. Hintergrund ist, dass die Freien Aleviten sich nicht als islamische, sondern als eigenständige Glaubensrichtung sehen. Zwei alevitische Gruppierungen sind in Österreich seit 2013 bereits als religiöse Bekenntnisgemeinschaft beziehungsweise als Religionsgemeinschaft anerkannt. So hat die Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ) den Status einer religiösen Bekenntnisgemeinschaft. Die Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Alevi) ist sogar eine anerkannte Religionsgemeinschaft.
Bei der Frage der Anerkennung der Freien Aleviten sei es vor allem darum gegangen, ob sie eine islamische Glaubensrichtung seien und damit unter das Islamgesetz fielen und ob die Namensgebung zu Verwechslungen mit den beiden anderen Gemeinschaften führen könnte, sagte Turak gegenüber Kathpress.
“Vollkommener Mensch”
In einer Darstellung der Glaubensinhalte habe man deutlich gemacht, dass man nicht zum Islam gehöre. So sei der Glaube nach Auffassung der Freien Aleviten der Weg zum „vollkommenen Menschen“. Ziel des Vervollkommnungsprozesses sei im Endstadium die Einigung mit „Hakk“ (Gott beziehungsweise göttliche Wahrheit). Ebenso sind Frauen und Männer gleichgestellt. Die Glaubensgemeinschaft ist in Kleinasien und im Mittleren Osten entstanden. Wie Turak erklärte, könne man auf Glaubenslehrer aus dem 13. Jahrhundert zurückblicken, habe aber lange Zeit die religiösen Inhalte nur mündlich tradieren können. Erst in den europäischen Ländern habe sich das Alevitentum jedoch frei entfalten können.
Wertschätzung
Die nunmehrige Anerkennung der Gemeinschaft und Religion ist für den Bundesvorsitzenden „ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung unserer Lebens- und Weltanschauung“ und gebe die Möglichkeit, diese frei und öffentlich auszuüben. „Ebendiese Freiheit der Religionsausübung wird auch einen wesentlichen Beitrag zur Integration der Alevitinnen und Aleviten in die österreichische und europäische Wertegemeinschaft leisten“, ist sich Turak in seiner Aussendung sicher.
Ein erster Schritt
Doch die nunmehrige Anerkennung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft soll nur ein erster Schritt sein, erzählt Rifat Özmen, Obmann der Freien Aleviten in Vorarlberg. Ziel sei es, in den kommenden Jahren auch die Anerkennung als Religionsgemeinschaft zu erlangen. Zu diesem Zweck seien bereits mehrere Arbeitsgruppen eingerichtet worden, an denen alle alevitischen Vereine in Österreich beteiligt seien. Wie lange es bis zu dieser Anerkennung dauern werde, sei schwer zu sagen. Özmen hofft jedoch, dass es weniger als 13 Jahre sein werden.