Die Taube wird wachgeküsst

200-jähriges Gasthaus in Andelsbuch, das lange geschlossen war, wird von Freiwilligen wiederbelebt und bald für Veranstaltungen bereitgestellt.
Im Zentrum von Andelsbuch, neben der Gaststätte Jöslar und gegenüber der Kirche, steht ein altes, geschindeltes Gasthaus. Dieses Haus ist ein Juwel. Denn es ist voller regionaler Geschichte und bietet Platz für unterschiedliche Veranstaltungen und Aktionen. Eine Initiative kümmert sich seit Kurzem darum, die Geschichte sichtbar und die Räume zugänglich zu machen.

Doch zuerst zur jüngeren Geschichte: Bis Anfang der 2000er-Jahre wurde die „Taube“ als Gasthaus von den Geschwistern Geser betrieben. Als sie in Pension kamen, wurde es ruhig in dem Haus. Dort, wo vor mehr als 100 Jahren die Andelsbucher Handwerkerzunft einkehrte, wo einst viele Menschen aus- und eingingen, wo Hochzeiten gefeiert wurden und Gäste übernachtet hatten, lebte fortan nur noch Theresia Geser, in den vergangenen Jahren mit 24-Stunden-Pflegerinnen. Im März 2022 starb sie und das Haus kam in den Besitz ihrer Nichte, der Andelsbucher Bäurin Anna Geser.

Als ihre Bekannte Bianka Franz das Haus anschauen durfte, war sie fasziniert davon – auch wenn fast alle Räume mit alten Gegenständen, Schachteln und Möbeln vollgestellt waren. Spontan bot sie Anna Geser Hilfe beim Aufräumen an, begann gleich damit und holte ihren Mann Herbert Franz sowie weitere Freiwillige mit ins Boot. Das war im Februar 2022, und als Theresia Geser – die letzte Bewohnerin der „Taube“ – einen Monat später starb, konnte dank der ersten Aufräumaktion das Totenmahl in dem Gasthaus stattfinden.

Besitzerin Anna Geser war begeistert vom Ergebnis, und unter der Führung von Bianka und Herbert Franz haben Mitglieder des Theatervereins Egg und der Hans Bach Lichtspiele das Aus- und Aufräumen weitergeführt. Bisher haben sie circa 2000 Stunden – das sind umgerechnet rund zweieinhalb Monate – dafür aufgebracht. Unter anderem haben sie den Saal mit Bühne und eigener Ausschank auf Vordermann gebracht und ihn durch eine Probe-Veranstaltung auf seine Bespielbarkeit geprüft: Der Verein Hans Bach Lichtspiele und der Theaterverein Egg zeigten Anfang Dezember den Film „Grand Budapest Hotel“. An zwei Abenden lief der Film, der Saal war beide Male voll besetzt.
Kein Gegenpart
Was genau hat die Initiative weiters mit dem denkmalgeschützten Gebäude vor? Simone Voppichler vom Theaterverein Egg erklärt: „In der Zeit, als wir aufgeräumt haben, haben wir immer mehr das Potenzial dieses Hauses erkannt. Wir wollen hier Raum schaffen für Vieles, das sonst in dieser Größe und mit diesem Charme keinen Platz hat.“ Das heißt, dass die „Taube“ kein Gegenpart zu Bestehendem in Andelsbuch, wie der Kulturstätte Bahnhof oder dem Gasthaus Jöslar werden soll. Vielmehr soll das Haus, wie Simone Voppichler sagt, eine Wirkungsstätte werden für Vereine oder ehrenamtliche Organisationen, die sonst keinen fixen Raum für ihre Veranstaltungen haben – so, wie es bei den Filmvorführungen bereits der Fall war. Aber auch Einzelpersonen oder Bands können die „Taube“ beleben: Als die NEUE am Sonntag auf Besuch in dem Haus ist, schaut sich Musiker Ulli Troy gerade den Saal für den Auftritt seiner Band Hanskaspas Enkel an. „Ideal“, urteilt er über den Veranstaltungsraum, der circa 130 Personen Platz bietet.

Vielfältige Ideen
Da es in der „Taube“ neben den Wirtsstuben und dem Saal ehemalige Gästezimmer, einen Gewölbekeller und einen Dachboden gibt, sind auch die Ideen vielfältig: Im Keller könnte beispielsweise Raum für Ausstellungen entstehen, im Dachboden vielleicht eine Art Museum – mit den Gegenständen, die aus der „Taube“ stammen. Das wäre vor allem für Kinder und Jugendliche spannend, denn sie kennen mehrere der Dinge, die beim Aufräumen gefunden wurden, nicht mehr: mechanische Schreibmaschinen oder Kassettenrekorder etwa.

Aber auch Menschen ab 40 rätseln bei so manchem Gegenstand, was er sein könnte. Zum Beispiel steht im Keller ein brusthohes, schmales Holzgestell mit zwei Holzrollen und einem drehbaren Hebel (siehe Foto rechts oben). Früher, als es noch keine Waschmaschinen gab, wurde die gewaschene, triefende Bettwäsche durch die zwei Rollen gepresst, wodurch sie einen Großteil der Feuchtigkeit verlor. Heute erledigt das das Schleuderprogramm.

Damit zum zweiten Aspekt der „Taube“ als geschichtliches Schatzkistchen. Herbert Franz sagt: „Das Haus ist unglaublich spannend, weil es 200 Jahre alt ist. Durch die vielen alten Dinge, die wir beim Aufräumen gefunden haben, haben wir einen Einblick bekommen, wie die Menschen früher in dieser Region gelebt haben und was ihnen wichtig war. Sie haben sehr viel behalten, denn sie dachten, eines Tages könnten sie es wieder brauchen, selbst wenn das erst in 20 Jahren sein sollte. Das Haus bietet die Chance, die Geschichte jeden Tag aufleben zu lassen.“
Unterschiedliche Gegenstände
Gefunden haben die engagierten Aufräumer alte Münzen, sehr viel Heiligenlektüre, tonnenweise Kleidung, alte Juppen, zahlreiche Bücher, alte Wärmflaschen, Kacheln, Nachttöpfe, geschichtliche Dokumente über Jodok Fink (aus Andelsbuch stammender Vizekanzler der Ersten Republik), Stiche von Leopold Fetz (Bregenzerwälder Maler) und vieles, vieles mehr. Zum Vorschein kamen zudem Hunderte Belege und Briefe der früheren Besitzer, der Geschwister Geser. Sie haben alles achtsam und sorgfältig aufbewahrt und jeden Brief, den sie verschickt haben, abgeschrieben und behalten. Einige der Dokumente, die jetzt gefunden wurden, werden dem Bregenzerwald- oder Landesarchiv übergeben, andere bleiben in dem Haus.

Momentan prüft das Team, das das Haus wiederbelebt, die Nutzungsmöglichkeiten und klärt ab, in welcher Form – etwa einem Verein – das Vorhaben umgesetzt werden kann. Finanziert werden soll es durch die Bespielung. Besitzerin Anna Geser hat der Initiative eine freie Nutzung zugesagt und freut sich, dass die „Taube“ wiederbelebt wird. Wenn umgebaut oder renoviert werden sollte, wird das sehr behutsam gemacht, sagt Herbert Franz und erklärt: „Die Idee ist aber, vor allem mit dem Bestand klarzukommen.“