Diese Frau ist verrückt nach Juppen

Livia Neutsch (37), die Wurzeln in Bezau hat, hat eine alltagstaugliche Version der Juppe geschaffen und eigene Juppenkleider hergestellt.
Livia Neutsch, 37 Jahre alt und studierte Germanistin sowie Juristin, lebt seit fast 20 Jahren in Wien. Aufgewachsen ist sie in Lauterach und Hörbranz, ihre Mutter aber stammt aus Bezau. In dieser Familie wurden – wie wohl bei fast allen Wälderinnen – die Juppen von Frauengeneration zu Frauengeneration weitergegeben. Noch heute gibt es bei der Mutter zwei Juppen und zwei Scheahüte (siehe kleines Bild rechts). Außerdem ist Livia Neutsch quasi mit Juppen aufgewachsen, weil sie als Kind oft bei ihrer Bezauer Oma – einer fleißigen Juppenträgerin – auf Besuch war.

Immer schon, sagt die Leiterin der juristischen Bibliothek an der WU Wien, habe sie von einem Alltagskleid geträumt, das Merkmale dieser Tracht aufgreift und sie modern interpretiert. Denn: Wirklich bequem ist eine Juppe ja nicht. Außerdem ist das Anziehen aufwändig und das Kleidungsstück sehr festlich, so dass die Anlässe, es zu tragen, dünn gesät sind. „Ich fand es immer sehr schade, dass die Juppe so selten angezogen wird. Deshalb wollte ich ein Kleid haben, das bequemer als eine Juppe ist, das aber durch gewisse Merkmale – etwa den blauen Streifen oder den ‚Bleatz‘ – an die Tracht erinnert. Da es ein solches Kleid nicht gab, habe ich es schließlich selbst gemacht.“

Prototyp
Mit einer Maschine nähen kann die sympathische Frau allerdings nicht. Deshalb wollte sie einen Prototypen entwerfen und ihn dann einer professionellen Näherin geben. Doch es sollte anders kommen. Livia Neutsch kaufte einen schwarzen Faltenrock und eine Bluse mit Puffärmeln. An den unteren Teil des Rocks klebte sie einen Streifen eines blauen Isolierbandes gemäß dem indigoblauen Streifen auf der Juppe. Sticken und von Hand nähen kann sie, und so stellte sie mit rotem Filz, mit Goldfäden, Garn und einem schwarzen Samtbändel einen „Bleatz“ (siehe Foto rechts oben) her. Auf der Rückseite versah sie ihn mit einem Klettband, damit er nicht nur an einem Kleidungsstück, sondern an verschiedenen Oberteilen befestigt werden kann. „Ich habe mit einfachen Mitteln die Teile so gestaltet, dass manche Elemente wie von einer Juppe aussehen“, erklärt die 37-Jährige. Dabei verwendete sie kein Material von alten Juppen.
Als die Bibliothekarin die Ergebnisse sah, stand für sie fest: Ihre Juppenkleider – es sind zwei, die sich miteinander kombinieren lassen – sind fixfertig anziehbar und benötigen keine Näherin mehr. Also trug sie die Kleider bereits, etwa bei einer Taufe oder einer Hochzeit.

Dieses – wie sie sagt – Modeexperiment hat sie im Sommer 2022 umgesetzt. Wie eingangs erwähnt, beschäftigt sie sich aber schon viel länger mit der Idee. Nur: Die Zeit zur Umsetzung fehlte oder war einfach noch nicht reif dafür. Das war sie erst, als die gebürtige Vorarlbergerin in Karenz und ihre Tochter Margarethe vergangenen Sommer neun Monate alt war.
Ist das „ghörig“?
Die erste Ansprechperson war damals ihre Mutter. Obwohl diese schlussendlich begeistert mitarbeitete, war ihre erste Reaktion: „Ist das schon ‚ghörig‘?“ Denn es gibt Menschen, die das Tragen einer Juppe und die alten Regeln dazu sehr ernst nehmen. Für die in Wien lebende Livia Neutsch ist dieses Thema aber kein großes Problem: Einerseits hat sie mit diesen Menschen nichts zu tun. Andererseits: „Ich habe die Juppe nur weiterentwickelt, arbeite nicht mit Teilen von richtigen Trachten und verschandle nichts.“ Die Reaktionen von ihren aus Bezau stammenden Tanten, die sie mit einem Juppenkleid bei der Taufe gesehen haben, waren jedenfalls sehr positiv. „Sie fanden es super cool, wie ich die Juppe weiterentwickelt habe. Ich glaube, viele Menschen im Bregenzerwald wären so offen und sähen das genauso. Dennoch weiß ich nicht, ob ich mich trauen würde, mit einem Juppenkleid in Bezau in die Kirche zu gehen.“

Nicht nur ihre Bregenzerwälder Verwandtschaft, auch andere Menschen reagierten sehr positiv auf die Juppenkleider. „Wow, wo gibt es solche Kleider zu kaufen?“, war etwa eine Reaktion. Mehrere Personen zeigten großes Interesse an dieser Kleidung, und wenn sie wollte, könnte die 37-Jährige wohl ein Geschäft daraus machen. Aber dazu fehlt ihr die Zeit. Außerdem seien die Juppenkleider nur ein Hobby. „Mein verrücktes Hobby“, fügt sie hinzu und lacht.
Von Thres und Mikatrin
Ein weiteres Hobby von ihr: Sie häkelt kleine Püppchen mit Bregenzerwälderinnen-Tracht und Kopfbedeckungen und macht daraus Schlüsselanhänger oder Schmuck für den Weihnachtsbaum. Bisher hat sie circa 15 dieser Püppchen hergestellt. Jedes bekam einen Namen, Thres, Rosa oder Mikatrin zum Beispiel, und die allermeisten verschenkte sie an Freunde, Bekannte und Verwandte. Kurz vor Weihnachten 2022 seien überall in ihrer Wohnung solche Püppchen gehangen und gelegen. „Ich glaube, ich bin juppenverrückt geworden“, sagt Livia Neutsch und schmunzelt.

Warum die Tracht sie nicht loslässt, beantwortet sie so: „Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass mich die Bregenzerwälder Frauen faszinieren. Sie sind humorvoll, lebenstüchtig und klug. Meine Oma zum Beispiel hatte fünf Kinder und hatte es nicht immer einfach, da sie früh Witwe wurde. Die Bregenzerwälderinnen sind bewundernswerte Frauen, und in ihren Juppen ganz besonders.“
Weitere Infos über die Juppenkleider und Püppchen gibt es unter www.ziug.home.blog