„Ich war zu leichtgläubig und einfach gierig“

Wie ein Vorarlberger 55.000 Euro bei einem perfiden Liebes- und Investmentbetrug namens „Schweine schlachten“ verlor.
Es begann mit einer scheinbar harmlosen Nachricht. Eine asiatische Frau, die sich „Cherry Sweat“ nannte, kontaktierte Reinhard Ender (Name von der Redaktion geändert) im Mai des vergangenen Jahres auf der Job-Plattform LinkedIn. Der 57-jährige Vorarlberger, der in der Schweiz wohnt und dort als Verfahrenstechniker tätig ist, hatte zwar von Anfang an ein komisches Gefühl, schrieb aber dennoch zurück. Sehr rasch entwickelte sich aus dem oberflächlichen Small-Talk ein intensiver Austausch über das Leben, Schicksalsschläge und angeblich todsichere Investitionen. Gut zwei Monate lang ging das so.
Intensiver Chat
Das Chatprotokoll, das der Vorarlberger mit der NEUE am Sonntag teilte, umfasst 63.000 Wörter auf 180 Din-A4-Seiten. Die Korrespondenz zeigt eindrücklich, wie Ender zunächst in eine gewisse emotionale Abhängigkeit geriet und schließlich den Versprechungen vom großen Geld erlag. „Sie war die erste, mit der ich am Morgen chattete, und auch am Abend, bevor ich ins Bett ging“, erzählt er im NEUE-Gespräch. Am Ende gab es ein bitterböses Erwachen. 55.000 Euro, die Ender in mehreren Tranchen über seine Vorarlberger Hausbank an einen betrügerischen Broker mit Sitz in Hongkong überwies, sind weg – höchstwahrscheinlich für immer. Das Geld hatte er sich von einer Schweizer Bank geliehen.





Betrugsmasche “Pig Butchering”
Die hierzulande noch relativ unbekannte Betrugsmasche, auf die der Vorarlberger hereinfiel, nennt sich „Pig Butchering“ (zu Deutsch: Schweine schlachten). Die perfide Online-Abzocke hat seinen Ursprung in China und ist eine Abwandlung des „Romance Scams“. Die Opfer werden mit Aussicht auf Reichtum und Romantik gemästet und anschließend ausgenommen. Die Betrüger verwenden dubiose Trading-Plattformen und manipulierten Apps, die gefälschte Echtzeit-Kurse anzeigen und das Potenzial der Investition verdeutlichen sollen.

Menschenhandel
Die mafiaähnlich organisierten Betrügerbanden sind sehr erfolgreich: Bereits im Jahr 2021 meldete das Beschwerdezentrum für Internetkriminalität des FBI mehr als 4300 Fälle von Pig Butchering und einen Gesamtschaden von rund 430 Millionen Dollar. Doch die betrogene Person, die ihr Geld verliert, ist nicht das einzige Opfer. Denn jene, die per Chat versuchen, Vertrauen aufzubauen, sollen Opfer von Menschenhandel sein, wie unter anderem schon der „Spiegel“ berichtete. Sie werden mit falschen Versprechungen angelockt und anschließend in Betrugsfabriken festgehalten, wo sie andere Menschen quasi am Fließband täuschen.

Beim Vorarlberger Landeskriminalamt (LKA) ist die perfide Masche bekannt. Eine statistische Auswertung der Fälle sei nicht möglich. Erfahrungsgemäß, so heißt es im LKA, werden in Vorarlberg etwa zwei bis fünf derartige Delikte pro Jahr bekannt, wobei die Schadenssummen vereinzelt über 200.000 Euro liegen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen, da sich viele Opfer aus Scham nicht bei den Behörden melden.
Selbstkritisch
Reinhard Ender hat seinen Fall bereits im vergangenen Jahr zur Anzeige gebracht und sich an verschiedenste internationale Behörden und Institutionen gewandt, die ihm bis dato nicht helfen konnten. Manche – darunter betrügerische Recovery-Dienstleister – wollten ihn ein weiteres Mal ausnehmen.
Ender macht seine Geschichte publik, um andere Menschen zu warnen. Dabei zeigt er sich durchaus selbstkritisch. „Ich war zu leichtgläubig und einfach gierig. Ich spürte zwar von Anfang an, dass etwas nicht stimmt, aber ich habe es verdrängt“, gibt der 57-Jährige offen zu.
„Cherry Sweat“, die Ender am Abend des 8. Mai 2022 zum ersten Mal auf LinkedIn kontaktierte, stellte sich als erfolgreiche Geschäftsfrau dar, die jeden Morgen joggt und Yoga betreibt. Sie gab vor, Besitzerin eines Schönheitsgeschäfts zu sein und bei ihrem Onkel in Texas zu leben. Dem Vorarlberger gefiel die Offenheit und Freundlichkeit der unbekannten Schönheit. Cherry nannte ihn von Anfang an „honey“ und „darling“. Sie schickten sich Fotos, sprachen über ihre Liebe zu Katzen, Berufliches und darüber, was ihnen in einer Partnerschaft wichtig ist. „Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein“, schrieb Cherry.
Zweifel
Schon zwei Tage nach dem ersten Kennenlernen kam Cherry auf das Thema Online-Trading zu spreche. Sie erzählte Ender, dass ihr Onkel früher Chefanalyst bei einer großen Bank war und immer wieder gute Insidertipps parat habe. Auch sie selbst habe schon gute Geschäfte mit Online-Trading gemacht. Ender – im Online-Trading komplett unerfahren – zeigte sich zunehmend fasziniert, hatte aber auch seine Zweifel. „In solchen Momenten schickte sie mir dann immer wieder Fotos, unter anderem Screenshots von ihrer Trading-App, auf der man ihre hohen Gewinne sehen konnte.“



Sie ermutigte Ender, es selbst zu versuchen. Zunächst musste der 57-Jährige die Aktienhandels-App Metatrader 5 herunterladen, die bis September 2022 noch im AppStore von Apple gelistet war, im Hintergrund aber manipuliert werden konnte. Alles, was Ender auf dieser App in weiterer Folge zu sehen bekam, war Fiktion. Auch die Online-Broker-Plattform, auf der er sich nach Anweisung von Cherry anmeldete, war gefälscht.
Blut geleckt
Am 14. Mai 2022 überwies Ender die ersten 5000 Euro. Cherry schien das zu wenig zu sein und drängte ihn dazu, höhere Beträge einzuzahlen. Sie köderte ihn mit ihren eigenen großen Gewinnen, die sie mit gefälschten Screenshots belegte. Wenige Tage später wagte Ender seinen ersten Trade. In nur wenigen Minuten wurden unter Anleitung seiner Internetbekanntschaft aus 5000 Euro rund 5600 Euro. Ab diesem Zeitpunkt hatte Cherry den Vorarlberger an der Angel. „Ich will mehr Geld machen , schrieb er ihr auf WhatsApp. Gesagt, getan: Ender überwies gleich am nächsten Tag weitere 5000 Euro und wenig später noch einmal 15000 Euro. Nach einem weiteren angeblichen Insidertipp des ominösen Onkels folgte der zweite Trade. Ender durfte sich über weitere 3000 Euro Gewinn freuen. Die Freude währte aber nur kurz. Da er, aber immer noch etwas skeptisch war, versuchte er, drei kleinere Beträge auf sein Konto in der Schweiz zu überweisen. „Das war nicht so einfach, da das Geld in Bitcoins umgewandelt worden war.“ Aber es gelang, und Enders Skepsis verflog. Was er damals nicht wusste: Seine 25.000 Euro waren längst in die Taschen der Betrüger gewandert.

Als Ender kurz darauf wieder eine kleine Summe zurücküberweisen wollte, ließ der Online-Broker plötzlich wissen, dass das Konto gesperrt sei und weitere 10.000 US-Dollar hinterlegt werden müssten, um das Konto wieder zu aktivieren. Der Vorarlberger überwies die Summe und weitere 20.000 US-Dollar, da das Geld danach noch immer nicht floss. Die einst so gesprächige „Cherry Sweat“ war zu diesem Zeitpunkt nur noch kurz angebunden.
Als es irgendwann hieß, dass Ender noch einmal 58.000 US-Dollar deponieren müsse, um sein Konto zu aktivieren, wurde ihm endgültig klar, dass er Betrügern aufgesessen war. „Es ist alles über mich hereingebrochen. Ich bin vor allem von mir selbst enttäuscht, weil ich es ja eigentlich von Anfang an geahnt habe.“
Mit Grauen erinnert sich Ender an eine der letzten Nachrichten von Cherry: „Sie schrieb mir, dass das Geld jetzt bei anderen Leuten ist, wir hier jetzt fertig sind und uns treffen können. Das muss man sich einmal vorstellen.“
Vorgeschichte
Eigentlich hätte es Ender besser wissen müssen. Schon einmal hatte ihn eine junge Chinesin auf LinkedIn kontaktiert. Auch sie präsentierte sich als erfolgreiche Geschäftsfrau, auch sie schlug ihm einen großartigen Gold-Handel vor, auch sie wollte, dass er die Metatrader-App runterlädt: „Sie machte aber schon gleich zu Beginn sehr viel Druck, weshalb ich den Kontakt abbrach.“ Von dieser Begebenheit erzählte Ender sogar seiner Cherry, die daraufhin meinte: „Wahrscheinlich habt ihr einfach nicht zusammengepasst. Ich glaube, sie hatte gute Absichten. Denn wir chinesischen Frauen wollen gute Dinge mit unseren Liebsten teilen.“
Die Chancen, dass Ender sein Geld je wieder bekommt, tendieren gegen null. Aufgeben möchte er trotzdem nicht. Der Vorarlberger überlegt, jeweils einen Anwalt in den USA und Hongkong einzuschalten. Seinen Plan, ein neues Motorrad anzuschaffen und mit 60 Jahren etwas weniger zu arbeiten, hat er bereits ad acta gelegt. „Das geht sich jetzt nicht mehr aus.“