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Ein Bludenzer Bahnbeamter als Meuchelmörder

15.05.2023 • 07:00 Uhr
Der Bludenzer Bahnhof nach der vorletzten Jahrhundertwende<span class="copyright">volare</span>
Der Bludenzer Bahnhof nach der vorletzten Jahrhundertwendevolare

Die Ehefrau eines Bahnbeamten wird im November 1931 tot aufgefunden. Die Engelmacherin und ihr Mann führten eine alles andere als harmonische Ehe.

Als der Bludenzer Eisenbahner Rudolf Walser am Morgen des 6. November 1931 nach seiner Nachtschicht nach Hause kommt, findet er seine Frau Mathilde tot auf dem Küchenboden. Er ruft die Gendarmerie, die aber bald Zweifel an seiner Geschichte hegt.

Die Engelmacherin

Mathilde Walser stammt aus dem Arbeitermilieu und wird bereits mit 17 Mutter eines unehelichen Kindes. Hilde, wie die Frau meistens genannt wird, ist eine Engelmacherin. Sie führt bei Frauen illegale Abtreibungen durch. Auch Ärzte führen damals die verbotenen Schwangerschaftsabbrüche durch, allerdings lassen sie sich das strafrechtliche Risiko gut bezahlen. Frauen aus ärmeren Schichten gehen zu Hilde. Das medizinische Risiko ist bei solchen nicht fachgerechten Eingriffen hoch. Die junge Engelmacherin wird angezeigt und zu 18 Monaten Haft verurteilt.
Nach ihrer Entlassung heiratet sie mit 27 Jahren den Eisenbahner Rudolf Walser. Er züchtet Kakteen. Beide engagieren sich im 1927 gegründeten Bludenzer Tierschutzverein, Rudolf zunächst als Obmann, dann als Stellvertreter und Hilde als Schriftführerin. Sie nimmt erneut illegale Abtreibungen vor und wird wieder verurteilt.

Keine harmonische Ehe

Die Ehe verläuft nicht harmonisch. Immer wieder kommt es zu Streitigkeiten und Gewalt in der Beziehung. Mathilde, so berichten Nachbarinnen, schlägt ihren Mann regelmäßig. Dieser habe mitunter aus Angst vor ihr in Eisenbahnwaggons übernachtet. Er bedroht sie mit dem Umbringen. Im September 1931 reicht Rudolf nach neun Jahren Ehe die Scheidung ein. Gemeinsame Kinder gibt es keine.
Noch bevor sich die beiden trennen, kommt es am 5. November 1931 neuerlich zum Streit. Eine Nachbarin hört, wie die Tür zugeworfen wird. Walser klagt ihr anschließend sein Leid, seine Frau sei davongelaufen, gibt er an. Ihr fallen dabei Würgemale an seinem Hals auf.
Rudolf Walser geht an diesem Abend in den Nachtdienst und verrichtet seine Arbeit wie gewohnt. Am Bahnhof in Bludenz ist er für die Beschriftung von Waggons zuständig. Als er am nächsten Morgen nach Hause kommt, so behauptet der Eisenbahner jedenfalls gegenüber der Gendarmerie, findet er seine Frau tot am Boden liegen, daneben einen Strick. Das Fenster steht offen. Selbstmord schließen die Ermittler rasch aus, der Verdacht fällt auf den Ehemann.

Wechselnde Aussagen

Der Eisenbahner leugnet die Tat. Vom Gefängnis aus schreibt er jedoch einen Brief: „Du mußt so schreiben, daß er die Frau um 5 Uhr im Keller erwürgt, sie dann in die Küche heraufgetragen und den Strick daneben gelegt habe“, steht darin. Die Justiz konfisziert das Schreiben. An wen es gerichtet ist, lässt sich nicht eruieren. Man legt es Walser als Anstiftung zur falschen Zeugenaussage aus. Bei einer weiteren Einvernahme gibt dieser schließlich an, seiner Frau während des Streits den Mund zugehalten und sie dadurch unabsichtlich erstickt zu haben.
Mit den Spuren am Opfer stimmen aber auch diese Angaben nicht überein. Mathilde Walser ist erdrosselt worden. „Die Möglichkeit, daß der Erstickungstod durch Zuhalten von Mund und Nase eintrete, sei nicht auszuschließen, im vorliegenden Fall aber sei dies unwahrscheinlich“, wird der Gutachter zitiert. Er hält es aber für möglich, dass es vor der Tat zu einer körperlichen Auseinandersetzung kam, und kein Mord, sondern ein Totschlag vorliegt. Die Staatsanwaltschaft erhebt dennoch Mordanklage.

Erster Schuldspruch

Am 8. Juni 1932 beginnt in Feldkirch die Geschworenengerichtsverhandlung gegen Rudolf Walser. Der Prozess wird zur Gänze unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Walser widerruft darin sein Geständnis und behauptet erneut, mit der Tat nichts zu tun zu haben. Den Geschworenen wird vom Gericht wie üblich eine Liste mit möglichen Delikten vorgelegt. Sie können sich aber nur zwischen verschiedenen Mordvarianten entscheiden. Ein Antrag der Verteidigung, auch nach einem möglichen Totschlag zu fragen, wird vom Gericht abgelehnt. Der Angeklagte habe während des Prozesses „ein durchaus auffallendes Benehmen“ an den Tag gelegt, vermerkt die „Vorarl­berger Landes-Zeitung“. Elf der zwölf Geschworenen halten Walser des Meuchelmordes an seiner Gattin für schuldig. Auch der Anstiftung zur Falschaussage und als Mittäter bei den Abtreibungen, die seine Frau durchgeführt hat, wird er schuldig gesprochen. Das Geschworenengericht verurteilt Walser zu 20 Jahren schwerem Kerker.

Neu aufgerollt

Gegen diese Entscheidung erhebt die Verteidigung Nichtigkeitsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof (OGH) in Wien. Sie beklagt nicht nur den Ausschluss der Öffentlichkeit vom Verfahren, sondern auch die Weigerung des Schwurgerichtshofes, die Eventualfrage nach dem Totschlag zuzulassen. Der OGH hebt das Urteil im Oktober 1932 tatsächlich auf und ordnet eine neuerliche Verhandlung an. Aufgrund der Aussagen des Angeklagten vor dem Prozess hätten die Geschworenen durchaus auch auf Totschlag entscheiden können, so die Argumentation.
Im zweiten Verfahren, das bereits im Dezember stattfindet, ist die Öffentlichkeit wieder weitgehend ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft zieht das Ergebnis des medizinischen Gutachtens abermals in Zweifel und plädiert erneut auf Mord. Nach vier Tagen Verhandlung fällt der Wahrspruch der Geschworenen einstimmig aus: Alle zwölf Laienrichter erkennen auf Mord, neun Geschworene bejahen auch die Frage nach dem Meuchelmord. Walser wird wieder zu 20 Jahren schwerem Kerker verurteilt.
Das neuerliche Urteil, so schrieb eine Zeitung, „konnte jeder voraussehen, der die Sache kannte und der insbesondere Bedeutung und Zweck des Strickes am Halse der, bis in den Tod geliebten‘ Gattin richtig verstehen wollte.“