Wie es den Jungstörchen in Vorarlberg geht

In Teilen Österreichs schadete das verregnete Frühjahr den Storchenjungen.
Am Freitag im Lustenauer Ried: Mitten auf einer Wiese steht ein circa zehn Meter hoher Holzstamm, gekrönt wird er von einem Storchennest. Rund 1,20 Meter hoch ist das Nest und misst im Durchmesser etwa 1,5 Meter. Die Storcheneltern stehen auf dem nächstgelegensten Baum in einigen Metern Entfernung und äugen zum Nest, auch Horst genannt. Walter Niederer, Obmann vom Naturschutzverein Rheindelta, hat sich von einem Steiger auf Höhe des Nestes bringen lassen. Denn heute ist die Beringungsaktion des Vereines. Dabei schauen die sechs Beteiligten auch, wie der heurige Bruterfolg war.
Können erfrieren
Wenn die Storchenkinder sehr jung sind, ist nasses Wetter schlecht für sie. Es ist kalt, und da sie relativ große Küken sind, können die Eltern nicht auf sie draufsitzen und sie wärmen. Manche Storchenjunge erfrieren deshalb. Ein weiteres Problem bei viel Regen ist das nasse Gras, das der Nachwuchs zu fressen bekommt. Es kann Koliken auslösen, die tödlich enden können. In Burgenland setzte der Dauerregen des Frühjahrs den Storchenjungen zu.
In Vorarlberg nicht unbedingt, weiß Walterer Niederer am Abend des Beringungstages: „Einigen hat das Wetter geschadet. Doch da die Tiere zu unterschiedlichen Zeiten mit der Brut begonnen haben, waren einige Jungvögel zur Zeit des Dauerregens schon größer und kräftiger. Zudem war der Starkregen im Rheintal regional verteilt und ist nicht bei allen Standorten von Storchenhorsten aufgetreten.“ Der Obmann des Naturschutzvereines Rheindelta kann deshalb folgende Bilanz ziehen: „Der Bruterfolg heuer war durchschnittlich.“ Zwischen einem und vier Jungen wurden in den Nestern gesichtet, das sind normale Werte.

Nestducker
Solange die Storchenkinder klein sind, ist immer eines der Elternteile – hier kümmern sich übrigens Mama und Papa – im Nest. Sind die Kleinen etwas größer, gehen beide erwachsenen Adebars auf Futtersuche. Wenn den Jungen dann Gefahr droht, wenden sie als Nestducker folgende Taktik an: Sie ducken sich ins Nest und stellen sich tot. Als Walter Niederer am Freitag beim Horst ankommt, liegen zwei Junge dort, die tatsächlich wie tot aussehen: Die Augen sind geschlossen, der Hals langgestreckt, und sie wirken steif.
Glücklicherweise sind sie aber quicklebendig. Das wird ersichtlich, als der Tierfreund eines der Kleinen hochhebt und es den Flügel spreizt. Mit raschen Handgriffen befestigt er einen schwarzen Ring, der mit weißen Nummern versehen ist, an einem Storchenfuß und wiederholt die Prozedur dann beim anderen Jungtier.
Brut- und Zugverhalten
Jede Nummer eines Ringes wird von den Mitgliedern und Helfern des Naturschutzvereins Rheindelta aufgeschrieben samt dem Standort des Horstes. In einer anderen Aktion werden die Jungtiere dann mit einem Sender am Rücken versehen. Durch Ringe und Sender können die Naturschützer sehen, ob sich das Brutverhalten verändert. Zudem lässt sich dadurch das Zugverhalten beobachten.

Anhand der Daten, die bereits gesammelt wurden, ist nun bekannt: Die Vorarlberger Störche sind im Gegensatz zu ihren Artgenossen in den anderen Bundesländern Westzieher. Im Herbst fliegen sie um den Alpenbogen herum nach Frankreich oder Spanien. Manche bleiben dort, einige schweben weiter nach Gibraltar oder bis nach Mali. Die Jungstörche unternehmen diese Reise, auf der die Haupttodesursache Stromleitungen sind, nach wie vor. Geändert hat sich jedoch: Ab dem Brutalter, das mit drei, vier Jahren erreicht ist, bleiben die Tiere hier. Denn: „Durch das wärmere Wetter gibt es im Rheintal kaum mehr geschlossene Schneedecken und deshalb genug Futter. Zudem werden die Felder früher im Frühling und später im Herbst noch gemäht. Der Storch, der sich hauptsächlich von Regenwürmern und Mäusen ernährt, profitiert davon“, erklärt Walter Niederer.
Die großen Vögel haben sich sehr gut an den Menschen gewöhnt: Der Obmann des Naturschutzvereines erzählt, dass einige Störche im Rheintal fünf bis sechs Meter hinter Traktoren auf den Feldern hinterherlaufen und Futter suchen. Generell haben sich diese Tiere gut an unsere Kulturlandschaft angepasst. Deshalb – und wegen des wärmeren Wetters – nimmt die Population zu.

Immer öfter auf Bäumen
Rund 90 Storchenpaare leben im Land. Die schönen Tiere sind ansässig im Rheintal bis hinauf nach Rankweil, aber auch im Leiblachtal. Die Störche brüten auf Masten, Strommasten und immer öfter auf Bäumen. Auf manchen Strommasten stört das Nest die Stromversorgung, dann wird es, nachdem die Jungen flügge sind, vom Naturschutzverein Rheindelta im Auftrag der Vkw entfernt.
Als die Naturschützer in Lustenau abgezogen sind, sind bald die Köpfchen der Jungtiere im Nest zu sehen. Sie sind wieder aufgestanden. Wenig später fliegt eines der Elternteile – mit bloßem Auge erkennt auch ein Experte das Geschlecht nicht – zu seinen Jungen. Kurz danach kommt das zweite. Familie Storch ist wiedervereint.