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Kanadischer See bezeugt Beginn eines neuen Erdzeitalters

11.07.2023 • 19:46 Uhr
Der Crawford Lake in Kanada soll Referenzpunkt für das neue Erdzeitalter werden
Der Crawford Lake in Kanada soll Referenzpunkt für das neue Erdzeitalter werden. Conservation Halton

Der Mensch hat die Welt so stark verändert, dass Forscher ein neues Erdzeitalter angebrochen sehen: das Anthropozän.

Er hat eine Wasseroberfläche von gerade einmal 2,4 Hektar und liegt versteckt zwischen Bäumen in einem Schutzgebiet. Doch der Crawford Lake in der kanadischen Provinz Ontario ist dabei, sich zu weltgeschichtlicher Bedeutung aufzuschwingen. Forscher haben ihn am Dienstagabend als jenen zentralen Messpunkt ausgewählt, anhand dessen ein neues Erdzeitalter ausgerufen werden soll. Die Welt befindet sich demnach nicht länger im seit fast 12.000 Jahren andauernden Holozän, sondern ist ins Anthropozän gedriftet – in die ganz vom Menschen geprägte Epoche.

Bereits seit der Jahrtausendwende wird unter Wissenschaftlern diskutiert, ob die mannigfaltigen und massiven Eingriffe des Menschen ins Erdsystem die Ausrufung eines neuen geologischen Zeitalters rechtfertigen. Zur Klärung dieser Frage richtete die Internationale Kommission für Stratigraphie, die über die Einteilung der Erdzeitalter wacht, 2009 eine Arbeitsgruppe an Forschern ein. Diese sind sich inzwischen weitgehend einig: Die Folgen des menschlichen Wirkens sind inzwischen so gravierend und irreversibel, dass die Welt auch in geologischer Hinsicht für immer eine andere geworden ist. So haben sich etwa die Atomtests in der Frühphase des Kalten Kriegs für alle Zeit in Form von Plutonium-239 in den Sedimenten verewigt. Mikroplastik hat sich in allen Teilen der Welt abgelagert, Aerosole aus der Luftverschmutzung lassen sich in den Gesteinsschichten nachweisen, die Artenzusammensetzung auf dem Planeten ist folgenreich durcheinandergeraten, die Eisschichten der Erde schmelzen dahin, Rohstoffvorkommen werden geplündert.

Die Erdzeitalter

Die Erdgeschichte überspannt rund 4,6 Milliarden Jahre. Die Internationale Kommission für Stratigraphie (ICS) hat dafür einheitliche Unterteilungen etabliert: die sogenannte Geologische Zeitskala.

Auf dieser Skala wird die Erdgeschichte in Abschnitte unterteilt. Derzeit befindet sich die Welt im Holozän, das vor etwa 11.700 Jahre mit dem Ende der letzten Kaltphase begann. Vorgänger des Holozäns war das Pleistozän (auch als Steinzeit bekannt).

Holozän und Peistozän sind Teil des rund 2,6 Millionen Jahre alten Quartär. Dieses wiederum bildet gemeinsam mit dem Tertiär das Känozoikum (auch als Erdneuzeit bekannt), das vor etwa 65 Millionen Jahren einsetzte.

Die Zeitmaschine unter Wasser

Doch trotz all dieser Belege lässt sich die etablierte Zeitskala nicht ohne Weiteres abändern. Erforderlich ist dafür ein konkreter Ort auf der Welt, der die Veränderungen präzise und nachvollziehbar wiedergibt. Mit dem Crawford Lake nahe der Millionenstadt Toronto glauben die Forscher, diesen idealen Ort gefunden zu haben. “Es handelt sich dabei um ein 24 Meter tiefes Karstloch, das es uns erlaubt, die erdgeschichtlichen Änderungen in Jahresauflösung nachzuvollziehen”, sagt Francine McCarthy, die den See für die Arbeitsgruppe federführend untersucht hat. Die Geowissenschaftlerin an der kanadischen Brock-University hat ihre Ergebnisse am Dienstagnachmittag gemeinsam mit ihren Kollegen beim Internationalen Stratigraphiekongress im französischen Lille öffentlich gemacht.

Die Besonderheit des Sees ist laut McCarthy, dass sich seine Wasserschichten nicht vermischen und der Seeboden damit von unmittelbaren Umwelteinflüssen abgeschottet bleibt. Jahr für Jahr lagert sich am Grund eine weitere Sedimentschicht ab und wird für immer konserviert. “Wir können hier klar die Auswirkungen der ,großen Beschleunigung’ erkennen, die in den 1950er-Jahren eingesetzt hat”, sagt die Forscherin. Die erwähnten Plutonium-Radionukleide sind für die Wissenschaftler das stärkste aller Signale für das Einsetzen des Anthropozäns. “Das Jahr 1950 hat sich deshalb als deutlichster Punkt für den Beginn der neuen Epoche erwiesen”, sagt McCarthys Kollege Roger Waters, Geologe an der Universität Leicester und Vorsitzender der Arbeitsgruppe. “Von da an hat sich die Entwicklung massiv beschleunigt und der Mensch hat seine Spuren immer deutlicher in den Sedimenten hinterlassen.”

Kein Weg zurück

In trockenen Tüchern ist die offizielle Ausrufung des neuen Zeitalters allerdings noch nicht. Mehrere Obergremien bis hin zur Stratigraphie-Kommission selbst müssen noch zustimmen. “Diese Prozesse laufen extrem konservativ ab und das wohl aus gutem Grund”, sagt Waters. Für den Wissenschaftler ist jedenfalls klar: “Wir haben das Anthropozän vor rund 70 Jahren verlassen und es gibt keinen Weg mehr zurück dorthin.”