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Wir haben es in der Hand

16.10.2023 • 09:01 Uhr
Sonntags-Tagebuch von Heidi Salmhofer. <span class="copyright">NEUE</span>
Sonntags-Tagebuch von Heidi Salmhofer. NEUE

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.

Wieder sterben Unschuldige für das absurde Verlangen weniger. Wieder werden Kinder, junge Menschen, Mütter, Väter, Omas und Opas ermordet. Für etwas, worauf sie bis heute so gut wie keinen Einfluss hatten. Man kommt auf die Welt und kennt sein Leben lang nichts als Konflikt und dennoch will man nichts anderes als leben.

Flüchten ist – wie man weiß – nicht immer eine Option. Freundlich in anderen Ländern aufgenommen zu werden, weil es dort, wo man geboren wurde, nicht lebenswert ist, ist ein Lotteriespiel, leider. Außerdem, die Familie ist da, Freunde, Arbeit, die Sprache, die man kennt, Vertrautes. Auch in Ländern in denen Krieg herrscht, putzt man sich morgens die Zähne, küsst seine Kinder, kocht zu Mittag, schneidet sich die Fingernägel, verdient seinen Lebensunterhalt. Sei es Afghanistan, Israel, Palästina, Ukraine, Syrien, Demokratische Republik Kongo, Zentralafrikanische Republik und noch einige mehr – etwa 25 Länder insgesamt.

In all diesen herrschen Terror oder Krieg. Hochgerechnet befindet sich somit jedes achte Land auf der Welt in einem Konflikt, in dem sich Menschen gegenseitig die Köpfe einschlagen. Was für ein Glück, dass ich in einem Land geboren bin, in dem zumindest seit 78 Jahren kein Krieg mehr herrscht. Und ich kann gar nichts dafür! Genauso wie viele Menschen nicht dieses Glück hatten und in Gesellschaften groß geworden sind, in denen Brutalität, Aggression und Todesangst ein tägliches Erleben ist. Dann stehe ich da, rat- und machtlos und frage mich, inwiefern all meine Probleme überhaupt welche sind, im Angesicht von soviel Schmerz auf der Welt. Ich kann meine zwei Mädels in die Schule schicken und mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass keine Rakete im Schulgebäude einschlägt oder eine Gruppe brutaler Männer sie entführt und zum Verkauf anbietet. Ich kann mir die Zähne am Morgen putzen und über Dates am Abend sinnieren und nicht, ob ich vielleicht doch im Bombenkeller sitze und auf den nächsten Morgen hoffe. Ich kann genüsslich mittagessen und hab mich vor keinen Sirenen zu fürchten, sondern nur über den Baulärm vor meinem Fenster zu ärgern. Meine einzigen Ängste sind die vor dem Fliegen, dem Zahnarzt und dem Finanzamt.

Ich darf diese haben, glaube aber daran, dass ich mir auch bewusst sein muss, dass solche Ängste ein absolutes Privileg sind. Dieses Privileg sollte jedes Kind, jeder Mensch haben dürfen. Ich wünsche mir auf der ganzen Welt Kinder, deren einzige Sorge der Fünfer im Zeugnis ist und ob Mama zu Hause Kaiserschmarren macht oder doch Spinatknödel. Ich glaube noch immer daran, dass wir das alle gemeinsam in der Hand hätten. CC: allepolitikerdieserwelt@erde.com; allereligionendieserwelt@erde.com

Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.