„Die KV-Verhandlungen nicht missbrauchen“

IV-Präsident Elmar Hartmann blickt auf seine ersten Monate im Amt zurück und gibt seine Einschätzung zum Jahr 2024.
Sie sind seit Juli Präsident der Industriellenvereinigung Vorarlberg. Wie waren die ersten Monate?
Elmar Hartmann: Die Präsidentschaft der IV-Vorarlberg ist für mich ein sehr erfüllendes Ehrenamt. Die ersten Monate waren vor dem Hintergrund der KV-Verhandlungen und der wirtschaftlichen Rezession, in der wir uns gerade befinden, herausfordernd. Ich freue mich aber, dass ich in der Position sein darf, mitanzupacken und mich für einen starken Vorarlberger Wirtschafts- und Lebensraum einzusetzen.
Zur Person
Elmar Hartmann wurde 1969 geboren, ist verheiratet und hat drei Kinder. Der studierte Wirtschaftspädagoge ist seit 1996 beim Unternehmen Gantner Electronic tätig und seit 2003 Alleingeschäftsführer. Der Betrieb ist auf elektronische Zutritts- und Abrechnungssysteme spezialisiert. Im vergangenen Juli hat er das Amt von Martin Ohneberg als Präsident der Industriellenvereinigung Vorarlberg.
Zwei wichtige Themen im Bereich Infrastruktur waren der ÖBB-Rahmenplan sowie die Volksbefragung zur S 18 in Lustenau. In beiden Bereichen gab es keine guten Nachrichten für die IV. Wie sehr schmerzt das Ergebnis der Volksbefragung zur S 18? Welche Investitionen seitens der ÖBB braucht es aus Ihrer Sicht in den kommenden Jahren in Vorarlberg?
Hartmann: Das Ergebnis der fragwürdigen S-18-Volksbefragung erkennen wir natürlich an, allerdings sollte man sich auch über die schweigende Mehrheit – fast zwei Drittel – Gedanken machen, die keine Position bezogen hat. Zum Schienenverkehr: Hier braucht es einen Ausbau auf mehreren Ebenen, vorrangig die Dreigleisigkeit von Bregenz bis Feldkirch für einen qualitativ hochwertigen Güterverkehr, mittelfristig ein viertes Gleis im Rheintal, ganz zu schweigen von dem vieldiskutierten Ausbau in Richtung Deutschland. Insgesamt kann man sagen, dass wir beim Personenverkehr sehr gut aufgestellt sind, beim Güterverkehr gibt es aber noch viel Verbesserungspotential.
Sie haben zu Ihrem Amtsantritt gesagt, es gehe darum, anzupacken anstatt zu jammern. Haben Sie vor dem Hintergrund des Ergebnisses der Volksbefragung in Lustenau Verständnis für das Dilemma, in dem die Politik teilweise steckt, wenn es darum geht, anzupacken und Dinge umzusetzen? Haben Unternehmer es leichter, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen?
Hartmann: Natürlich verstehe ich, dass man die Regierungsgeschäfte nicht wie ein Unternehmen führen kann. Die Politik muss schließlich die Schnittmenge von hunderten Partikularinteressen finden, während Unternehmen sich ihren Kundenkreis aussuchen können. Unabhängig davon – wenn wir gestalten wollen, müssen Entscheidungen getroffen werden und hier braucht es den Mut und den Willen die notwendigen und sinnvollen Projekte umzusetzen.

Im Zuge der Debatte um den ÖBB-Rahmenplan haben Sie sich auch einen Schlagabtausch mit den Grünen geliefert. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen IV und Politik?
Hartmann: Der große Vorteil der Industriellenvereinigung im Vergleich zu manch anderen Interessensvertretungen ist ihre parteipolitische Unabhängigkeit. Das erlaubt uns, alle Parteien gleichermaßen kritisch unter die Lupe zu nehmen. Dazu gehört aber auch ein regelmäßiger, sachlicher Austausch mit der Politik, den wir sehr schätzen.
Die KV-Verhandlungen waren heuer herausfordernd. Im Bereich der Metallbranche etwa wurde zwar eine Einigung erzielt, allerdings gab es zuvor teilweise scharfe Worte zwischen den Gesprächspartnern und Streiks. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern?
Hartmann: In Vorarlberg ist das Verhältnis in meinen Augen sehr gut, nicht zuletzt, weil Vorarlberg von Familienbetrieben geprägt ist. Ich habe von vielen Seiten mitbekommen, dass die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie sogar Betriebsrätinnen und Betriebsräte heuer volles Verständnis für die wirtschaftlich angespannte Lage ihrer Betriebe und kaum Verständnis für die Streiks hatten. Sie sind sich vollkommen bewusst, dass eine starke Industrie ein Garant für sichere und attraktive Arbeitsplätze ist. Dieses Bewusstsein müssen wir weiter stärken und gemeinsam an der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs und vor allem Vorarlbergs arbeiten.

Wie stehen Sie zum System der KV-Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern? Funktioniert es oder bräuchte es Änderungen?
Hartmann: Das monatelange, ritualisierte Verhandeln kostet alle Seiten natürlich viel Energie und Nerven und ist sicherlich ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert, gleichzeitig hat es sich aber auch als Mittel gegen chaotische Massenstreiks, wie wir sie aus anderen Ländern kennen, bewährt. Wo es auf alle Fälle Änderungen braucht, ist, dass die KV-Verhandlungen nicht ausschließlich das vergangene Jahr abbilden dürfen, sondern auch das kommende. Unternehmen analysieren den Status Quo und schauen in die Zukunft. Lohnerhöhungen wirken in die Zukunft und müssen daher auch in Zukunft bezahlt und erwirtschaftet werden. Zudem dürfen die KV-Verhandlungen nicht als Werbekampagne für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft missbraucht werden.
Wie schätzen Sie die Entwicklung im kommenden Jahr ein?
Hartmann: Im Gespräch mit unseren Mitgliedsbetrieben sagen mir viele, dass 2024 für sie nicht einfach werden wird. Einerseits durch die nach wie vor geringe Nachfrage, andererseits aber auch aufgrund der abnehmenden Wettbewerbsfähigkeit Österreichs. Diese Verschlechterung im internationalen Standortwettbewerb ist dramatisch und sehr besorgniserregend – das zeigen auch mehrere internationale Rankings. So sind etwa seit dem Jahr 2005 die Lohnstückkosten in Österreich um 13 Prozent stärker gestiegen als in der Eurozone. Für österreichische Unternehmen wird es damit auf Dauer zu teuer, sie können ihre Produkte am Weltmarkt nicht mehr zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten und das führt zum Verlust von Arbeitsplätzen.

Welche Maßnahmen seitens der Politik wünscht sich die Industrie in den kommenden Monaten?
Hartmann: Neben dem schon genannten notwendigen Ausbau unserer Infrastruktur muss die Politik die Vollzeitarbeit und das Arbeiten im Alter attraktiveren, die Steuern- und Abgabenlast schleunigst auf unter 40 Prozent reduzieren, wettbewerbsfähige Energiekosten gewährleisten und schnellere, weniger bürokratische Verfahren bei Investitionsprojekten ermöglichen, um nur einige der brennenden Themen zu nennen.
Im Herbst 2024 stehen Landtagswahlen und Nationalratswahlen an. Was muss die Politik bis dahin noch umsetzen? Wie sehen Sie die Chancen, dass dies trotz der Vorbereitungen auf die Wahlen und den Wahlkampf noch tatsächlich passieren wird?
Hartmann: Vergessen wir nicht die ebenso wichtigen Europa-Wahlen. Natürlich ist es nicht optimal, wenn im Jahr der stärksten realwirtschaftlichen Rezession seit 1951 (abgesehen von der Corona- und Finanzkrise) alle Reformen quasi gestoppt werden, weil wahlgekämpft wird und noch schnell Wahlzuckerl verteilt werden. Wahlen sind aber auch eine Chance, dass die Gesellschaft ausverhandelt, welchen Weg sie überhaupt einschlagen will: Wollen wir überhaupt noch eine starke Industrie und dadurch Wohlstand oder ruhen wir uns auf unseren Lorbeeren aus und gehen offenen Auges in die Rezession? In diesem Sinne bin ich zuversichtlich, dass die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger sowie Österreicherinnen und Österreicher diese Chancen nutzen und ihre Verantwortung in den drei Richtungswahlen wahrnehmen werden.
Hinweis: Das Interview wurde aus Termingründen schriftlich geführt.