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Der Kühlschrank, ein kaltes Mysterium

22.01.2024 • 09:10 Uhr
Sonntags-Tagebuch von Heidi Salmhofer. <span class="copyright">NEUE</span>
Sonntags-Tagebuch von Heidi Salmhofer. NEUE

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.

Mein Kühlschrank ist ein Ort des Vergessens, ein Mysterium und manchmal auch ein Versuchslabor für neue Lebensformen. Eine ganz erstaunliche Auswirkung hat er auf Menschen im Teenageralter. Er zieht sie an und stößt sie auch gleichzeitig ab. Womöglich eine Art magnetische Intoleranz. So ist es ein unglaublich Leichtes für meine Mädels, etwas aus dem Kühlschrank herauszunehmen, aber eine nahezu unüberwindbare Hürde, etwas hineinzustellen.

Ganz erstaunlich auch das Schrödinger-Phänomen, welches ebenfalls nur von Menschen unter 18 wahrnehmbar ist. Der Kühlschrank ist voll, aber gleichzeitig ist „nix zum Essen da“. In den meisten Fällen wächst sich das aber später aus, selten bleibt es bis ins hohe Alter bestehen, dann sind aber – laut Eigenstudien – großteils Männer davon betroffen.

Ich selbst bin seit Jahren auf mentaler Forschungsreise rund um das Thema Kühlschrank. Ganz im Griff habe ich dieses Teil nämlich noch immer nicht. Nach einem erfolgreichen Einkauf verräume ich – wie es das Handbuch einer guten Haushaltsführung empfiehlt – die leichter verderblichen Lebensmittel in den Kühlschrank. Wurst zu Wurst, Käse zu Käse, Milch zu Milch und die ganz besonderen Sachen, die ich mir ausnahmsweise gekauft habe, lagern links mittig in meinem Sichtfeld. Besonderheiten, die nicht zum alltäglichen Ernährungsbrauch gehören, will ich mir nämlich vor Augen führen, um nicht zu vergessen, dass ich mir etwas Spezielles gegönnt habe. Sicher 253 Mal wird im Anschluss der Kühlschrank geöffnet und Käse, Wurst, Milch verzehrt. Das Besondere bleibt unberührt. Ungesehen. Dem Schicksal des Vergessens überlassen. Obwohl ich meine extra für mich gekaufte Trüffelbutter täglich sehe.

Ähnliches erleidet unser „Restlessen“. Übriggebliebenes vom Mittagessen wird vorbildlich in Tupperware gepackt und ansehnlich im Kühlschrank gestapelt. Hier schlägt Schrödinger erbarmungslos zu. Meine Kinder finden nichts zu Essen und begnügen sich mit Nutella-Toast. Mutter Heidi ist es aber nach dem dritten Tag leid, noch immer Spaghetti Bolognese zu essen. In der Hoffnung, dass sich einmal die rosa Plastikschüssel vor den Augen meiner Mädels wieder materialisiert, wird diese tunlichst nicht verräumt. Manchmal vergesse ich dann Zeit und Raum, und es kann passieren, dass die Spaghetti schon kurz davor sind, als neue Lebensform
eigene Stadtstaaten zu gründen.

Ich brauche tatsächlich keinen Kühlschrank, der mir mitteilt, was fehlt, sondern der kundtut, was er im Moment alles beinhaltet. Und das so laut, dass es auch Teenieohren nicht überhören können.

Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalis­tin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.