Wein und Videotelefonie: Ländle im Lockdown

Vor exakt vier Jahren ging Österreich in den ersten Corona-Lockdown. Unsere Redakteurin erinnert sich.
Für mich begann der Lockdown auf WhatsApp. Ich war gerade mit einigen Freunden in der Bregenzer Innenstadt unterwegs, als einer von uns die Sprachnachricht bekam, die an diesem Abend wohl abertausende Vorarlberger erhielten, hörten und weiterleiteten: „Es kummt an Lockdown.“ Wir starrten einander über den Tisch hinweg an, großteils kopfschüttelnd. Ein Lockdown? Niemals. Panikmache. Das ganze Land runterfahren? Unvorstellbar. Keiner glaubte es. Unwohl war uns dennoch – und auch den Menschen rund um uns. Die Stimmung war seltsam.
Alles explodiert
Am Tag darauf, Freitag, den 13. März 2020, wurde die Sprachnachricht dann Realität: Sebastian Kurz, damals ÖVP-Bundeskanzler, verkündete den Lockdown. Ich saß im Büro vor meinem Computer und fixierte in einer Art Schockstarre den Bildschirm. Mein Handy explodierte. Das Firmenhandy explodierte. Das Mail-Postfach explodierte, und mein Gehirn wahrscheinlich auch. Drei Tage später, am 16. März, also von heute aus betrachtet vor exakt vier Jahren, sollte Österreich quasi geschlossen werden.
Das Wochenende vor dem Lockdown verbrachte ich, wie wahrscheinlich die meisten, mit panischem Großeinkauf und dem raschen Abgrasen aller verfügbaren Familienmitglieder, Freunde und Lieblingslokale. Schon da zeichnete sich übrigens ein Teil des Wahnsinns ab, an den wir uns wohl immer erinnern werden: Es gab schlicht nirgends mehr Toilettenpapier. Und dann machte das Land zu.
Ziellos, freudlos
Der erste Tag des Lockdowns war absolut unwirklich. Meine Firma stellte auf Kurzarbeit um. Wir waren keine „Systemerhalter“. Ich verbrachte ein paar Stunden im Büro, sammelte ziellos einige Ordner zusammen und verfrachtete sie an meinen Esstisch, wo ich dann saß und erstmal eine Stunde lang treudoof die Wand anschaute. „A traurige G’schicht“, quasi. Home Office war eigentlich etwas, das ich immer genossen hatte. Aber jetzt war es Zwang. Und ich hatte auch nicht die Aussicht, auf ein Feierabendbier in die LuSt Bar zu gehen, auf eine Pizza ins Bäumle oder schlicht auf einen Kaffee zu meiner Mutter. Andererseits: Endlich mal Zeit für mich und dafür, den Stapel ungelesener Bücher durchzugehen. Hurra!
Das Hurra dauerte ungefähr vier Tage lang, dann hatte ich eigentlich genug. Ich wollte meine Freunde sehen, meine Familie, einen Barkeeper und ein Büchergeschäft. Stattdessen durfte ich nicht mal zum Spar, denn mein damaliger Partner, seines Zeichens Soldat, erledigte das. Gleichzeitig wurden wir beide Ende der ersten Woche – die Zahl der Covid-Fälle stieg weiter und weiter – auf eine ungute Weise wirklich panisch. Wir dekontaminierten die Einkäufe. Wir trugen eine Maske, wenn wir den Biomüll rausbrachten. Wenn mein Partner abends heimkam, sprühte ich ihn literweise mit zweierlei Desinfektionsmittel ein, bevor er die Wohnung betrat. Es war, im Rückblick, wirklich lächerlich. Zumindest habe ich noch nie gehört, dass jemand von einer Ananas angesteckt wurde.


Hassen, shoppen, trinken
Ende der zweiten Woche war der Punkt erreicht, an dem ich langsam, aber sicher durchdrehte. Ich hasste alles, wirklich alles in meiner Wohnung, weil ich es 24 Stunden am Tag betrachten musste. Ich betrieb Online-Shopping wie eine Irre und gab abartige Summen für Zeug aus, das kein Mensch jemals brauchen würde. Ich stand morgens auf, trank einen Kaffee und machte mir zum Mittagessen – ich habe viel Zeit mit Kochen verbracht – eine der zahlreichen Weinflaschen auf, die ich bei Freunden aus dem Weinhandel bestellt hatte. Je mehr leere Flaschen, desto größer die Chance auf einen Ausflug zum Glasmüll – der einzige Grund, das Haus zu verlassen, und dementsprechend ein absolutes Highlight. Und bei Gott – ich wollte raus. Mit unseren Freunden Steffi, Johnny und Momo gründeten wir einen fast täglichen Online-Stammtisch, der jeweils Stunden dauerte und nur von leeren Handy-Akkus unterbrochen wurde. Und dann reichte es mir
Ein grober Regelverstoß
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion und nach gefühlten 27 Covid-Tests schlich ich mich ein paar Straßen weiter zu Freunden. Wir umarmten uns nicht, aber ich brach trotzdem in Tränen aus, weil ich echte Menschen sah und echte Stimmen hörte, und zwar nicht nur über einen Bildschirm. Dieser grobe Verstoß gegen die Auflagen des Lockdowns sicherte meine geistige Gesundheit für dessen restliche Dauer.
Ich habe den Lockdown gut überstanden. Ich hatte das große Glück, finanziell abgesichert zu sein, nicht allein zu leben, videotelefonieren zu können. Ich lernte, gerne Zeit allein zu verbringen. Ich war nicht einsam. Viele andere hatten dieses Glück nicht. Sie lebten mit niemandem zusammen, konnten vielleicht nicht einmal mit jemandem telefonieren. Mit niemandem reden. Kein Wunder, dass Depressionen und Verzweiflung sich häuften. Ganz zu schweigen von jenen, die im Krankenhaus oder daheim allein sterben mussten, weil ihre Liebsten nicht zu ihnen durften. Mir kommen heute noch die Tränen, wenn ich daran denke.
Ob wir die Maßnahmen nun befürworteten oder nicht, geimpft sind oder nicht, mit Aluhut oder ohne: Hoffentlich haben wir etwas daraus gelernt.
Interview
Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher (ÖVP) blickt im Gespräch zurück auf den Beginn der Covid-19-Pandemie.

Vor vier Jahren begann der erste Lockdown in Österreich. Was haben Sie gedacht, als Sie davon erfuhren?
Martina Rüscher: Der erste Lockdown war sehr eindrücklich, weil mir bewusst war, wie tief diese Maßnahme in die Lebensrealitäten von vielen Menschen eingreifen wird, nicht wissend, wie stark das Pandemiegeschehen wirklich gebremst werden kann. Zudem begleitete uns die Unsicherheit, ob die Maßnahme von der Bevölkerung mitgetragen wird und ob sie hilft wie erhofft.
Hätten Sie damals erwartet, dass Corona so enorme, langfristige Auswirkungen haben wird?
Rüscher: Wir hatten bereits damals Fachpersonen, die uns die verschiedenen Szenarien deutlich aufgezeigt haben. Aber niemandem war klar, wie genau sich die Pandemie entwickeln wird.
Für mich war die Pandemie rückwirkend betrachtet wie ein „Brandbeschleuniger“, der viele Probleme, die es bereits vor der Pandemie gab, noch schneller an die Oberfläche gebracht hat. Das hat meiner Meinung nach auch positive Seiten, da man zum raschen Handeln veranlasst wurde.
Welche waren Ihre wichtigsten Erkenntnisse aus der Pandemie?
Rüscher: So eine Situation gab es in den letzten 100 Jahren nicht – wie all meine Kollegen habe auch ich viel gelernt. Vor allem ist meine Zuversicht sehr stark gestiegen, weil ich enorm viel Kompetenz, Engagement und Zusammenhalt in Vorarlberg erlebt habe. Bei uns gibt es viele Menschen, die, wenn sie Probleme sehen, diese auch anpacken. Das beruhigt, dass man in diesem Land leben darf. Ich habe großen Respekt vor den Vorarlbergern, die viele einschneidende Maßnahmen mitgetragen haben. Es war enormer Zusammenhalt spürbar.
Ihre größte Herausforderung in dieser Zeit?
Rüscher: Das waren wohl die Anfeindungen, die bis in mein persönliches Umfeld reichten, und die Wissenschaftsskepsis, die auch jetzt noch zu großen Herausforderungen führt, etwa im Bereich der Kinderimpfungen.
Blick in die Zukunft: Wäre Vorarlberg für eine weitere Welle gerüstet?
Rüscher: Wir haben die Coronazeit über alle Ressorts hinweg intensiv evaluiert. Sollte wieder eine Pandemie auf uns zukommen, ist Vorarlberg gerüstet. Wir haben viele Erfahrungen sammeln dürfen. Das Virus hat deutlich an Gefährlichkeit verloren, durch Mutationen und auch die hohe Immunisierung der Bevölkerung. Die Spitalsstrukturen sind nicht mehr so stark bedroht. Dennoch werden uns etwa Folgeerkrankungen auch in Zukunft fordern.